Das passiert auch nicht alle Tage: Man mailt mit der Promo-Agentur hin und her, überlegt gemeinsam, ob ein Interview mit JON SPENCER gerade passt – ein persönlicher Engpass, ein bisschen kränklich, die Zeit knapp. Ein Mail-Interview also. Und ach ja, wenn er schon in Hamburg spielt, dann bitte auch Gästeliste mit Fotopass. Klar. Am Ende lässt Promoter Andy dann fast beiläufig fallen: „Ach übrigens, ich spiele bei der Vorband mit. Check uns gerne aus, wenn Du magst!“
Wie sich herausstellt, ist das alles gar nicht ganz so zufällig. Andy – der Mann aus Wales – hat 2005 sein eigenes Label gegründet, veröffentlicht dort seitdem unter anderem Platten von diversen Jon-Spencer-Projekten (JSBX, HEAVY TRASH, BOSS HOG), lässt sein Labelartwork vom großartigen Rick Froberg (RIP) gestalten, und steht jetzt mit seinem neuen Projekt ZOON PHONANTA selbst auf der Bühne.
Und das passt erstmal… gar nicht. ZOON PHONANTA spielen Songs, die locker die Zehn-Minuten-Marke knacken, hypnotisch mäandern, irgendwo zwischen NEU!, KRAFTWERK, CAN und SWANS pendeln – das Gegenteil von Jon Spencers energetischem Garage-Overdrive, sollte man meinen. Aber genau darin liegt letztendlich der Reiz: Statt stumpfer Vorwärmung fürs Hauptprogramm gibt’s hier einen musikalischen Kontrapunkt. Die Tracks verändern sich kaum hörbar, ziehen ihre Kraft aus geduldiger Wiederholung und langsamer Wandlung. Und: Es funktioniert. Das Publikum – deutlich mitgealtert, aber neugierig – lässt sich ein auf Kraut, Psychedelic und eine Prise Disco.
Aber natürlich sind an diesem Abend alle wegen eines Mannes gekommen: JON SPENCER. Der hat mit „Come On!“ kürzlich ein neues Lebenszeichen veröffentlicht – musikalisch nicht weit weg von seiner BLUES EXPLOSION, inhaltlich aber überraschend politisch. Kein Bock auf Trump? Dann sagt’s laut. Spencer tut es jedenfalls.
Für seine aktuelle Tour hat sich der New Yorker zwei Mitstreiter gesucht, die sonst bei THE BOBBY LEES spielen: Bassistin Kendall Wind und Drummer Macky Bowman. Zwei junge Musiker:innen, die ihm nicht nur tight zur Seite stehen, sondern offenbar auch die Energie entfachen, die man sonst eher mit den wilden Crypt-Records-Anfängen verbindet. Bowman am Schlagzeug ist ein Erlebnis: mal lässig, mal clownesk, immer präzise. Wenn er gerade eine Hand nicht braucht, schraubt er in aller Ruhe an der Hi-Hat, lehnt sich zurück, lässt den Arm baumeln – ein bisschen wie der Typ aus dem legendären YouTube-Clip „This Drummer Is At The Wrong Gig“. Und Kendall Wind? Spielt den Bass mit chirurgischer Genauigkeit, übernimmt mühelos die Gitarrenlinien von Judah Bauer, wenn die Band durch das alte JSBX-Material pflügt – und brüllt zwischendurch beherzt ins Mikro.
Dass Spencer gerade seinen 60. Geburtstag gefeiert hat, merkt man ihm kaum an. Die Dynamik auf der Bühne: roh, kompakt, fast wie ein einziges, großes Medley. Kein Song bleibt lang in einem Teil, ständig wird geswitcht – neue Tracks, alte Favoriten, alles ineinander. Das Publikum tanzt verhaltener als früher, die Crowd-Interaktionen holpern manchmal ein bisschen, aber Spencer quittiert das mit einem altersweisen Grinsen.
Zum Finale gibt’s dann noch einmal Nachdruck: „Come On“ – als letzte Zugabe, als klare Ansage, als politischer Weckruf. Ein würdiger Abschluss für einen Abend zwischen Retrospektive, Relevanz und dem Beweis, dass Rock’n’Roll nicht veraltet, solange er sich weiterentwickelt.

photo: Ibi Köster