JIMMY MARTIN – Wild at heart

Wer Nachhilfe in Sachen Selbstdarstellung braucht, der sollte mal einen Blick in die neue CD von JIMMY MARTIN werfen: Stolze sechsmal posiert dort der Luxemburger Schmuse-Rocker mit der lässigen Steckdosen-Frisur, dessen Biographie unter anderem bereits eine Teilnahme am Eurovision Song Contest im Jahre 1993 aufweist. Wie ich gerade ergoogelt habe, belegte er damals mit überschaubaren elf Pünktchen den 20. von insgesamt 25 Plätzen und landete somit immerhin nur zwei Plätze hinter „unseren“ Vertretern von der MÜNCHENER FREIHEIT. Dass das Album „Wild at heart“ zu einer echten Bewährungsprobe für mich gerät, dürfte anhand dieser Hintergrundinformation also keine große Überraschung sein. Geht der Opener „Live your dream“ vielleicht noch gerade eben als lascher BON JOVI-Abklatsch durch, so kämpfe ich mich im weiteren Verlauf der CD tapfer von einem Tiefpunk zum nächsten. Bei „Love don´t live here anymore“ könnte man glatt meinen, JIMMY MARTIN hätte den besagten ESC-Auftritt genutzt, um sich in die Garderobe der MÜNCHENER FREIHEIT zu schleichen und dort ein Song-Manuskript der Band zu entwenden. Für „Love somebody“ konnte er hingegen tatsächlich RICK SPRINGFIELD für einen Gastauftritt gewinnen, was ihn allerdings nicht davon abhält, zusätzlich eine seltsame Computer-Stimme in das Lied einzubauen, was dem Song immerhin einen Hauch von 80ies-Trashkino der Kategorie „Nummer 5 lebt“ verleiht. Ein Blick auf die übrigen Songtitel verdeutlicht letztendlich das komplette Ausmaß des Grauens: „I wish you here tonight“, „Love is the answer“, „When your smile fades away“, „Life without love“… Wer da nicht bereits beim Lesen automatisch zusammenzuckt, der verkauft entweder rosa Zuckerwatte auf einem Ponyhof, oder ist durch regelmäßigen NDR1-Konsum bereits dermaßen abgestumpft, dass er selbst MODERN TALKING-Lieder widerstandslos über sich ergehen lassen würde.

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.