Das hat man nun davon, wenn man gemeinsam mit einem anderen Blueprint-Redakteur sein Wochenende auf einem Festival verbringt. Da wird einem die Arbeit, die eigentlich der Presseakkreditierte nur zu Recht machen sollte, gleich mal zur Hälfte aufs Auge gedrückt… und das obwohl ich mein ganzes Taschengeld bei Ebay für mein Ticket gelassen hab, naja so ist das nun mal. „Verena, schreib doch mal auf, was dir als Erstimmergutgängerin so erwähnenswert erscheint!“ Zumindest ein klarer Arbeitsauftrag. Um es mir nicht allzu leicht zu machen, werden erst mal die Sektvorräte in den tollen Einwegcocktailgläsern vom Euroshop aus dem Dorf vernichtet. So, nun fällt denken auch schon angenehm viel schwerer, und die ersten Eindrücke können wirken. Bemerkenswert wenig Trubel herrscht überall. Das Zeltplatzsuchen stellte auch eine Gruppe von drei Iglus nicht vor größere Schwierigkeiten, und die Nachbarn sind immer noch weit genug entfernt, um einem das Gefühl einer kleinen Enklave inmitten des eh schon recht kleinen Zeltplatzes zu geben. Der Weg zum Festivalgelände ist kurz und auch der Platz an sich ziemlich überschaubar. Schnell hat man sich zurechtgefunden – Labelzelt, Fress- und Saufbuden abgerundet durch die Hauptbühne sowie das Konzertzelt. Eine perfekte Manege für das kleine Partytier namens Wochenende. In kürzester Zeit hat man herausgefunden, dass die Verkäuferin der wirklich weltbesten Burgerbude Geburtstag hat, Jens, der olle Schleimer, wird ihr morgen tatsächlich ein Präsent kaufen (gab trotzdem nix umsonst), hat man ’ne prima Tasche aus dem Labelzelt als Giveaway erhalten, ist drei mal im Kreis gerannt und liegt sich bei THE WHITEST BOY ALIVE in den Armen. Entgegen all dieser beschaulichen Sommernachtsromantik werden dann noch Audioliths FRITTENBUDE ins Zelt gestellt, und man kann sich nicht mehr ganz einigen, welches Fast Food nun besser war. Der nächste Morgen auf dem Zeltplatz überrascht. -RUHE- verdammt; man könnte glatt vergessen, wo man ist, läge man nicht im Schlafsack neben ein paar signifikant siffigen Plastikbechern, die es nicht mehr zur Pfandrückgabe geschafft haben.
Am Samstag dürfen mir alle danken, habe meinen Teller gestern dreimal aufgegessen, und das Wetter ist schön. Nach einem kleinen Ausflug nach Neustrelitz und dem Versuch, Saufkniffel zu spielen, wobei Kniffeln irgendwann doch zu nervig war, geht’s zurück zum Gelände. Hier sehen wir gerade noch die letzten Takte des SILVESTER-Auftritts, bei dem mir die großartige Performance des Drummers erwähnenswert scheint. Der Rest des Nachmittags ist auch eher gemütlich in der Sonne rumgebracht, die Bands vereinnahmen nicht wirklich, und schon ist auch der zweite Abend gekommen. Nachdem ich meine kleine Schwester bei TOMTE kurzerhand an einen netten Braunschweiger verloren habe, währt der Trennungsschmerz nur kurz. JEANS TEAM überwältigen völlig! Mittlerweile waren sie ja schön öfter in Hamburg, aber noch nie habe ich so einen packenden Auftritt von ihnen erlebt. Allein der wäre das Immergut wert gewesen! Völlig erschöpft kann ich KETTCAR dann auch nur noch ein halbes Ohr widmen, während ich einfach nicht an dieser verdammt guten Burgerbude vorbeikomme. Den Abschluss machen PALE und ich dann gemeinsam, sie von ihrem Bühnenleben, ich von meinem im Publikum des Immergut. Am Ausgang treffe ich meine Schwester, und gemeinsam geht’s zurück ins Zelt zu diesem unglaublich ruhigen Schlafplatz. Als Resumé kann ich nur sagen, nächstes Jahr bin ich wieder mit dabei. Noch nie habe ich mich so erholt nach einem Festival gefühlt.
(jg) Verena, Verena. Wir hatten doch mal die Abmachung, bei blueprint nicht mehr über pubertäre Trinkspielchen zu berichten, aber als Dank für deine literarische Assistenz und deine Bitte, den Text nicht zu verändern, drückt die Chefetage mal ein Auge zu.
Jaja, zehn Jahre Immergut. Kann man da eigentlich noch etwas Neues drüber berichten, wenn man bereits von Beginn an dabei ist? Naja, fast. Mein erstes Mal war vor sieben Jahren. Das war das Jahr, in dem unter anderem SCUMBUCKET, AEREOGRAMME, die BEATSTEAKS und unsere heimischen Lokalmatadore ONE MAN AND HIS DROID mit dabei waren. Und zwei Jahre bevor ich an gleicher Stelle SOMETREE entdeckte, die als Ersatz für irgendeine Band eingesprungen waren und sich von Beginn an in mein eng bemessenes Sortiment an Lieblingsbands mogelten. Woran ganz sicher auch die unglaubliche Stimmung damals im Zelt Schuld war. Überhaupt: die Stimmung. Auf dem Immergut wurden schon immer kleine Bands gepuscht, die irgendwie aus dem Rahmen fielen und dann von Hunderten, manchmal vielleicht sogar von mehr als tausend Zuschauern ekstatisch abgefeiert wurden. Man erinnere sich nur an GREGOR SAMSA oder MALAJUBE, die im Anschluss an ihr Konzert sicherlich hundert Platten mehr hätten verkaufen können … und ja, selbst BERND BEGEMANN. Zumindest für den damaligen Moment, als ich ihn zum ersten Mal sah und zu später Stunde sehr lustig fand. Er damals übrigens auch als Ersatz für irgendwen anders.
Das Vergnügen war dabei meist beidseitig. Dass sich kleine Bands bei einer solchen Euphorie mehr als geehrt fühlen, ist klar, aber auch als Zuschauer gab es dieses tolle Gefühl, gerade eine unbekannte Band für sich entdeckt zu haben, die Freude darüber simultan mit zahlreichen anderen Musiknerds zu teilen und im Anschluss an das Festival den Daheimgebliebenen davon berichten zu können. Dass das Ganze in einer liebevoll gestalteten Atmosphäre stattfand, das Publikum im Vergleich zu anderen Festivals angenehm freundlich und unprollig war und all dies landschaftlich und (fast immer) wettertechnisch perfekt umrandet wurde, sorgte am Ende für das Sternchen hinter der Eins. Ich erinnere mich an Ballspiele im Fürstenseer See, das Eis am Imbiss nebenan, den Neustrelitzer Hafengeburtstag, die Bimmelbahn vom Bahnhof zum Gelände, Unmengen an Mücken und Festivalstaub, Rocco Klein, einzelne Personen, die ich kennengelernt habe und viele andere schöne Momente.
Inzwischen existiert diese kleine, heile Welt also bereits seit zehn Jahren, und offensichtlich hat sich nichts verändert. Oder doch? Ach ja, das Gelände wurde zum Beispiel etwas verlegt und die Bühnen verschoben. Aber sonst?
Auf den ersten Blick erscheinen die Veränderungen marginal. Das Publikum würde ich inzwischen nicht mehr als so modebewusst wie damals bezeichnen, aber das mag daran liegen, dass der Indie-Look ja inzwischen auch bei h&m käuflich zu erwerben ist und selbst TOKIO HOTEL-Fans sich als „Emos“ bezeichnen. Oder sind die Damaligen inzwischen zu alt oder anderswo anzutreffen? Im Forum beschwerten sich vor dem Festival manche „Community-User“ über das Line-Up. Auch ich war in diesem Jahr mehr wegen des Festivals als wegen der Bands da. Es schienen die kleinen Überraschungen zu fehlen, aber es sei den Machern, vor allem „Kemper“ verziehen, wenn er sich nach zehn Jahren aus dem Booking zurückzieht und die Highlights und Freunde der vergangenen Dekade noch mal einladen wollte.
Doch dass meine Begeisterung im Laufe der Jahre etwas nachließ, liegt sicher nicht nur am Immergut selbst, sondern hat auch andere Gründe. Kleine Festivals mit einem mittleren Line-Up sprießen inzwischen wie Unkraut aus dem Boden und werten die oft mäßigen Lokalbands durch sogenannte Headliner wieder auf – Bands, die Leute ziehen, aber die man dafür umso häufiger zu Gesicht bekommt.
Und möglicherweise hat auch myspace, bei all seinen Chancen für kleine Bands, sich eine größere Bekanntheit zu erspielen, dazu beigetragen. Dass man gute Bands verpasst, passiert inzwischen kaum noch. Ein Klick, und schon weiß man mehr. Überraschungsmoment adé.
Ich möchte mich nicht beschweren. Das Immergut gehört selbst nach zehn Jahren noch zu den charmantesten hiesigen Festivals, und auch in diesem Jahr gab es eine Menge toller Momente, aber ein klein wenig Enttäuschung trübt leider doch das damalige Bild der perfekten Liaison. Vielleicht sollte man das Feld nach zehn Jahren aber auch einfach anderen überlassen. So wie Kemper. Und so wie PALE. Aber wahrscheinlich bin ich im nächsten Jahr dennoch wieder dabei. Und freue mich doch. Warten wir’s ab…
Klickt mal hier, denn hier gibt es noch ein Interview mit KATE MOSH zum Jubiläum des Immergut.