Haldern 2005 – ausverkauft! Und das schon eine ganze Weile vorher. Aber wen wundert’s, wenn durchweg grandiose Bands auf dem Plan stehen, man garantiert aus der letzten Reihe auch noch was sieht und der Weg vom Zelt zum Festivalgelände ungefähr drei Minuten dauert. Und nicht zu vergessen: die idyllische Umgebung und die frische Landluft!
Also am Freitag in aller Frühe aufgestanden und bei noch strahlendem Sonnenschein zum Bahnhof aufgemacht. Gott sei Dank ist auf die Deutsche Bahn Verlass, und wir haben nur eine Stunde Verspätung. Da wurde das Zelt halt mal ein bisschen schneller aufgebaut. Und so wie dieses stand, fing es auch gleich erst mal an zu regnen. Die erste Investition war dann auch ein Basecap, damit der geneigte Brillenträger von heute den Durchblick nicht verliert. Und man hat schnell erkannt: Gummistiefel sind was Tolles!
Die erste Band waren MILLIONAIRE aus Belgien. Eröffnet wurde mit „Champagne“ von ihrem 2002 Debüt. Das sollte dann auch der einzige alte Song bleiben, aber immerhin einer, der wohl am ehesten zum neuen Material passt. Man hört doch ziemlich deutlich, dass Tim van Hamel verdammt viel Zeit mit Josh Homme verbracht hat. Dieser hat bezeichnenderweise auch das neue, „Paradisiac“ betitelte Album (VÖ im September) produziert. Ein bisschen schade ist das schon, war es doch gerade das Verschrobene, das MILLIONAIRE so besonders machte. Aber die neue Single „I’m on a high“ gefällt dann doch ganz gut. Darüber hinaus ist Tim van Hamel irgendwie putzig und ein echtes Spektakel auf der Bühne. Insgesamt muss man jedoch sagen, dass ihr Auftritt vor drei Jahren um einiges besser war.
Als nächstes ART BRUT, die für die ausgefallenen OCEAN COLOUR SCENE eingesprungen sind. Zum Glück, kann man sagen, denn ART BRUT waren sicherlich spannender als OCS es gewesen wären. Entertainment at its best. Einzureihen unter MAXIMO PARK, KAISER CHIEFS und ähnlichen Hype-Bands der Stunde aus UK. Und das war jetzt nicht negativ gemeint. Album-Anschaffung bereits vorgemerkt.
Und es regnet übrigens immer noch. Das Festivalgelände gleicht inzwischen eher einem Schlammbad. Als wir zufällig am Festivalguide-Stand vorbeimatschen, nehmen gerade MILLIONAIRE auf der Interview-Couch Platz. Die Tatsache, Tim van Hamel einmal tief in die Augen blicken zu können und außerdem die neue Single samt Autogrammen für lau abgreifen zu können, führen leider dazu, dass THE ROBOCOP KRAUS nur peripher rezipiert werden. Dass die gut sind, kriegt man aber trotzdem mit, und es wird sich schon mal emsig auf die Tour im Herbst gefreut.
Auch die KAISER CHIEFS wissen zu unterhalten, zeigen vollen Körpereinsatz inklusive Publikumsgrabbelei.
NADA SURF sind dagegen weniger spannend anzuschauen, dafür umso schöner anzuhören. Gespielt wird viel vom letzten Album „Let go“, aber auch das eine oder andere neue Stück vom kommenden Album „The weight is a gift“. Kein „Popular“, dafür der erste Preis für die schönste Textzeile („I wanna know what it’s like to be on the inside of love“). Und zu regnen hat es auch aufgehört – und zwar für den Rest des Tages.
Auf KAIZERS ORCHESTRA war man schon besonders gespannt, hat man doch viel von deren Live-Qualitäten und ihrer ganz eigenen Version von norwegischer Volksmusik gehört. Und man wurde auch nicht enttäuscht. Janove Ottesen ist der Frontmann schlechthin – die Mitstreiter hören auf so nette Namen wie Hellraiser oder Killmaster. Zwei Ölfässer gibt es auch, die mit diversem Schlagwerkzeug malträtiert oder als Klettergerüst missbraucht werden. Und nicht nur auf der Bühne, wo sich inzwischen der Oberbekleidung entledigt wurde, auch im Publikum wird geschwitzt und ordentlich das Tanzbein geschwungen.
Und schließlich endlich FRANZ FERDINAND, auf die die meisten Anwesenden wohl schon ungeduldig gewartet haben. Auf der Bühne werden vier riesige Transparente entrollt, auf denen die überdimensionalen Köpfe der vier Glasgower zu sehen sind. Und dann geht es auch schon los – ein Hit nach dem anderen, schließlich wurde ja fast das halbe Debütalbum als Single ausgekoppelt. Alle sind bestens gelaunt. Alex Kapranos lässt seine Ansagen von Gitarrist Nick McCarthy übersetzen, der gerne auch mal frei interpretiert. Eine Zugabe wird auch gespielt. Die Meute ist glücklich.
Die nachfolgenden SAYBIA aus Dänemark, Weichspülpop Marke COLDPLAY, müssen für mich leider ausfallen, da ZITA SWOON warten…und das Spiegelzelt. Womit wir beim einzigen großen Haken des Haldern Festivals wären. Im letzten Jahr zum ersten Mal dabei, bietet es auch dieses Jahr wieder Konzerte in plüschigem Ambiente. Das ist hübsch und nett, allerdings auch nur für 600 Leute – und zwar abgezählt! Immer, wenn einer rausgeht, darf der nächste rein. So kommt es, dass die Protagonistin direkt vorm Eingang steht, während drinnen bereits ZITA SWOON spielen. Inzwischen also leicht verzweifelt bis latent hysterisch wird das diesjährige Haldern zum schlechtesten Festival verflucht, bis man schließlich doch noch rein darf, um wenigstens die letzten 25 Minuten mitzubekommen. Die Band spielt wieder, wie auf ihrer Tour im Frühjahr, mitten im Raum statt auf der Bühne stehend, was die ganze Sache noch intensiver werden lässt. Und die Protagonistin wähnt sich inzwischen in schierer Glückseligkeit inklusive Dauergrinsen.
Den Abschluss des Tages – bzw. Nacht, da es bereits 3 Uhr morgens ist – bilden BRITISH SEA POWER, die erstaunlich viel von ihrem ersten Album spielen, diesmal aber auf Blattwerk und Stockenten verzichten. Durchgeknallt sind sie aber immer noch reichlich. Das Konzert endet mit einer zwanzigminütigen Krachorgie – einen würdigeren Abschluss des ersten Festivaltages hätte man sich wirklich nicht wünschen können.
Neuer Tag, neues Wetterglück – zumindest werden wir mit Sonne und TOMTE aus dem Nachbarzelt empfindlich früh geweckt. Macht nix, wird trotzdem weitergeschlafen. Am frühen Nachmittag noch fix den Wetterbericht gehört – da wird was von Gewitter erzählt. Und damit wir es auch wirklich glauben, fängt es auch unmittelbar an zu donnern. Also doch wieder Gummistiefel und Regenjacke.
Die erste Band des Tages, die wir uns zu Gemüte führen, sind THE CORAL, die so gut sind wie sie auch auf Album klingen. Viel erzählt wird nicht, die Musik spricht für sich alleine. Danach gleich das erste Highlight des Tages: MONEYBROTHER. Sarah Kuttner hätte ihre wahre Freude gehabt. Der totale Vollsympath, eine verdammt gute Band und die perfekte Show. Stillhalten is nich. Und wenn der MONEYBROTHER singt, dann scheint sogar wieder die Sonne. Später beim Interview im Festivalguide-Zelt wird er noch eine dreiwöchige Tour für den Herbst ankündigen – das sollte, nein, das darf man sich auf gar keinen Fall entgehen lassen! Vor lauter Enthusiasmus wurde auch spontan gleich mal ein T-Shirt mitgenommen.
THE HOUSE OF LOVE lassen wir aus. PHOENIX nehmen wir nur so nebenbei mit. Ganz nett halt.
Und dann TOCOTRONIC – Prokofiew gibt das Intro und auch sonst übt sich Dirk von Lowtzow in Theatralik. Jedes Klatschen wird mit einem herrlich überzogenen „herzlichen Dank“ quittiert, während Arne Zank alles sehr reizend findet. Mit dem Alter werden sie irgendwie immer drolliger, hab ich das Gefühl. Im Großen und Ganzen sehr routiniert. Ein bisschen fehlt mir die Leidenschaft. Aber der Rausschmeißer „Neues vom Trickser“ ist ganz großes Kino samt Feedbackorgie.
Es pisst mal wieder in Strömen, aber der Ansage-Mensch verspricht, dass beim dritten MANDO DIAO-Song der Regen aufhört. Merkwürdigerweise sollte er tatsächlich Recht behalten. MANDO DIAO ihrerseits lassen nix anbrennen, spielen ihre Songs schneller als auf Platte und rasten ordentlich aus. Das Publikum steht ihnen da in nichts nach. Kurz und schmerzlos – unbedingt noch mal demnächst im Clubkontext mitmachen.
Tja, und dann das Finale: THE POLYPHONIC SPREE. Das muss man selbst gesehen haben, erzählen nützt da nichts. Eine in Roben gewandte sektenähnliche Hippie-Gemeinschaft. Irgendwas über 20 Leute auf der Bühne inklusive Harfe, Theremin, Orgel, Bläserfraktion, Percussion und Chor! Happy Sunshine Tralala. Und während man sich noch fragt, auf was für Drogen die so sind, hat es einen schon erwischt, und man hat selbst ein breites Grinsen auf dem Gesicht und kann nicht mehr an sich halten. Die gehen aber auch so was von ab. Selten so etwas erlebt, selten so sprachlos gewesen. Wer die Möglichkeit hat, die live zu sehen – unbedingt mitnehmen. Ist wirklich eine Erfahrung!
Zusammengefasst waren die Gewinner des Festivals – meines Erachtens – MONEYBROTHER, KAIZERS ORCHESTRA und THE POLYPHONIC SPREE. Und natürlich ZITA SWOON, aber das steht ja außer Frage.
Sonntag ist Abreisetag. Der Himmel sieht unverdächtig aus, also gemütlich zusammen packen und Zelt abbauen. Erstaunlich nur, wie schnell und scheinbar aus dem Nichts eine Regenwand vor einem stehen kann. Leicht in Hektik ausgebrochen, dann doch noch klitschnass geworden. War jetzt aber auch schon wieder egal, konnte uns auch nicht mehr schocken.
Die Rückfahrt klappt schließlich ähnlich gut wie die Hinfahrt – in Köln sehen wir unseren Anschlusszug gerade noch von hinten und kommen so zu einer unverhofften Sightseeing-Gelegenheit – der Kölner Dom ist doch immer wieder schön.
Resümee: Unschlagbares Line-Up, supi Konzerte + Spaßfaktor trotz Dauerregen, das Aldi-Zelt hat unerwarteter Weise durchgehalten, die Gummistiefel sind leider verreckt, und die Deutsche Bahn ist immer pünktlich!