Früher waren Konzerte ein besonderes Erlebnis. Damals in Ostfriesland, wo alle Jubeljahre mal eine gute Band spielte – wobei man ergänzen muss, dass in Leer immerhin schon MOTORPSYCHO, BLUMFELD, TOCOTRONIC, THE NOTWIST und TURBONEGRO aufgetreten sind (Dies gilt aber nur, wenn man dieser Aussage einen Zeitraum von etwa 15 Jahren zugrunde legt (Anm. von mb)) – und später auch in Göttingen, wo erwähnenswerte Konzerte fast noch seltener stattfanden als in meiner Heimat. Warum es dort bei ca. 25.000 Studenten keine entsprechende Zielgruppe zu geben scheint, müsste man mir heute noch erklären. Umso erfreuter war ich natürlich, als ich nach dem Studium endlich nach Hamburg zog und mich nicht sofort ins Arbeitsleben stürzte, sondern meine musikalischen Entzugserscheinungen zunächst durch verschiedene Arbeiten bei Plattenlabels und im Molotow dazu nutzten konnte, relativ günstig auch auf viele Konzerte zu gelangen. Ein Traum!
Inzwischen weiß ich jedoch, warum Konzerte in Hamburg oft viel schlechter besucht sind als auf dem Land: weil man hier fast täglich die Wahl zwischen 10 und 30 Konzerten hat, von denen meist 10-20 % ziemlich gut sind. Da machte sich auch bei mir nach einiger Zeit ein wenig Müdigkeit breit.
Umso besser, wenn man dann mal die Möglichkeit hat, eine Release-Party von PALE auf einem Boot zu verfolgen, oder wenn man auf ein „Studiokonzert“ eingeladen wird, wo es Getränke fast für lau gibt und die Bands ihre just performten Songs anschließend für eine Live-Aufnahme verwenden wollen.
Nagel von Play/Rec lud mich dafür heute ins Tonhotel, wo ich zunächst noch genügend Zeit zum Umsehen hatte. Meine soeben gezogenen Weisheitszähne verboten mir das Bier und erschwerten mir das Sprechen, immerhin erfuhr ich aber, dass hier SPORT zuletzt zu Gast waren, und dass auch BARRA HEAD hier ihr nächstes Album aufnehmen werden. Wow…
Dafür sprechen sicherlich nicht nur die Produzenten, die hier arbeiten, sondern auch das umfangreiche Equipment (ein wahrer Augenschmaus für Fans analoger Technik!), die geräumige Ausstattung und das nette Ambiente in dem schnuckeligen, dreigeschössigen Einfamilienhaus mit Dachterasse.
Aber kommen wir zur Musik: zunächst legte FLO FERNANDEZ als Support los. Der kommt zwar aus Hamburg, aber gesehen hatte ich ihn und seine zwei Mitstreiter heute trotzdem zum ersten Mal. Musikalisch gab es ein paar Songs in der Schnittmenge von Indie und Alternative Country. Nicht besonders spannend, aber auch nicht schlecht. Unterhaltsamer als die Musik waren allerdings die Witze und Sprüche zwischen den Songs und die Verwunderung, dass die Band trotz Aufnahme ausgesprochen unvorbereitet wirkte.
Das Hauptaugenmerk galt aber heute wahrscheinlich auch GREG MACPHERSON, der einen Off Day seiner Tour im Tonhotel verbrachte, um eine offizielle Live-Platte mit neuen Songs aufzunehmen. Da passten die ca. 25 Besucher im Hintergrund natürlich vorzüglich zur kuscheligen Atmosphäre. Wobei der Mann aus Winnipeg nun wahrlich keine kuschelige, sondern viel eher eine laute Stimme hat, die recht gut zu seinem kräftigen Gitarrenspiel passt. Das mag zwar schon in der Singer/Songwriter-Schublade einzusortieren sein, was seinen politischen Anspruch angeht, unterstreicht seine energische Stimme jedoch ganz klar seine Protest-Haltung. Wahrscheinlich liegt bei musikinteressierten Lesern bereits die Vermutung nahe, dass MacPherson die WEAKERTHANS, PROPAGANDHI und G7 natürlich nicht nur flüchtig kennt, und so wirkten einzelne Leute auch bei seinen Alben als Gastmusiker mit. Die neuen Songs des Kanadiers reihten sich nahtlos an „Sun beats down“, wobei mich auch live die Ähnlichkeit seiner Stimme mit BRUCE SPRINGSTEEN ein wenig zurückschreckte. Das minderte aber nicht die Sympathie des Mannes, erwähnenswert bleibt sicherlich auch, dass zwei Songs vom Schlagzeug begleitet wurden, wobei die erste Probe mit der fremden Schlagzeugerin erst am Nachmittag stattfand. Das nenne ich Spontaneität!