Schon der Soziologe Erving Goffman wusste, dass es Bühnen nicht nur im Theater gibt und Menschen verschiedene Masken zur Selbstdarstellung benutzen. Auch die FUTURE ISLANDS, besser gesagt, Frontmann Sam Herring, versteht es, auf seiner musikalischen Bühne die Masken des Alltags darzustellen (auch wenn er diese nicht unbedingt "Masken" nennen möchte): Herzschmerz, Verlust, aber auch Freude und Hoffnung finden Platz in den Arrangements der Band aus Greenville, North Carolina und Baltimore. Das darstellende Moment zeigt sich vor allem in den Live-Auftritten der FUTURE ISLANDS, die meist geprägt sind von besonders emotionalen Darbietungen des Frontmannes, in denen man sich seltsam-berührt fühlt und möchte, dass der Mensch endlich aufhört zu leiden. "Es ist kein Theater", meint Sänger Samuel Herring korrigierend, als ich ihm diese (und andere) unvermeidliche(n) Frage(n) im Backstage des Uebel & Gefährlich an einem Sonntagabend vor ihrem Konzert stelle und er und seine zwei Bandkollegen Gerrit Welmers und William Cashion mir nicht nur beweisen, dass es ziemlich schwierig ist, Menschen Geheimnisse zu entlocken, sondern auch, dass Kritiken doch ganz förderlich sein können, wenn sie nicht gemein sind. Ach ja und über das neue Album sprachen wir auch noch.
[F]Da wir alle so schön zusammen sind, würde ich euch um eine kleine Vorstellungsrunde bitten: wer seid ihr und nennt mir eine Sache, die die anderen noch nicht über euch wissen!
[A]Sam: Oh je, was wisst ihr denn nicht? Vermutlich ist es irgendwas Schmutziges, weil wir uns doch sehr gut kennen. Obwohl, mir fällt gerade was ein. Aber fangt ihr an!
William: Ich bin William Cashion und ich spiele Bassgitarre. Ich spiele bei den Future Islands und bin Schütze, das ist mein Sternzeichen. Der Anführer.
Sam: Welches Element ist das?
William: Feuer.
[F]Habt ihr schon mal euer Sternzeichen gecheckt und ob ihr überhaupt miteinander auskommt?
[A]Gerrit: Ich denke, wir sind Earth, Wind and Fire. (lacht)
Sam: Oh, wir sind beide Feuer? Ich denke, Gerrit ist das kühlende Element in der Band. Das nächste Mal sollten wir unser Horoskop checken, bevor wir irgendwas zusammen machen.
William: Das letzte Album hatte unsere Sternzeichen hinten im Booklet gehabt.
Sam: Ja, wir dachten, das wäre ziemlich cool. Es ist eine hübsche Triangel.
[F]Aber bleiben wir mal bitte bei der Frage. Sternzeichen ist ja nichts, was die anderen nicht schon vorher von euch gewusst haben.
[A]William: Stimmt, das wussten die schon. Aber ich bin das noch nie in einem Interview gefragt wurden und hab darüber noch nie nachgedacht.
[F]Na, dann lassen wir mal die anderen zu Wort kommen, vielleicht kannst du dich ja inspirieren lassen.
[A]Gerrit: Mein Name ist Gerrit Welmers und ich spiele die Tasteninstrumente. Ich hasse Mango.
Sam: DAS WUSSTE ICH GAR NICHT!
Gerrit: Diese Frucht, ich kann sie nicht ausstehen.
William: Das ist sehr merkwürdig.
[F]Gab’s da schlechte Erfahrungen?
[A]Gerrit: Ich finde die Textur ist schrecklich. Von allen Früchten ist sie die schlimmste.
Sam: Hm mir fällt immer noch nichts ein. Ich versuche an was Schlimmes zu denken. Ich glaube aber, die Geschichte hab ich euch schon mal erzählt. Ich saß mal in einem Auto, was einen Hund angefahren hat. Ich hab das Auto zwar nicht gefahren, aber ich hab es richtig gefühlt, als wenn der Hund in meinen Armen gestorben wäre. Hab ich euch die Story schon erzählt?
William: (gelangweilt) Ja hast du.
[F]Ich merke schon, so richtige Geheimnisse kann ich euch nicht entlocken. Ihr seid nun schon seit ein paar Tagen auf Tour mit dem neuen Album "Singles" im Gepäck. Wie waren bisher die Reaktionen auf das neue Material?
[A]Sam: Die Leute haben ziemlich gut drauf reagiert bisher. Besonders die letzten Abende, seitdem wir in Europa sind, waren richtig gut. Paris war total verrückt. Und Brüssel auch. Da haben wir am Valentinstag gespielt. Die Shows in den Staaten waren aber auch richtig toll.
[F]Wie definierst du ein "verrücktes Konzert"?
[A]Sam: Stage-Diving. Viel crowdsurfing. In Paris hatten wir bestimmt 50 Leute auf der Bühne. Die haben die Bühne gestürmt. Das war echt verrückt. Ist natürlich nicht wirklich optimal, es ist ziemlich gefährlich. Für uns und für unser Equipment. Und natürlich für die auch. Aber manchmal passiert es und dann wird’s immer richtig abgefahren. Wir finden das allerdings ziemlich cool, wenn Leute stagediven und crowdsurfen, solange die sich nicht gegenseitig weh tun. Die Leute im Publikum sollen natürlich mitmachen und sich nicht davor fürchten müssen, dass jemand auf sie drauf fällt. Uns macht es nichts aus, wenn wir Leute auf der Bühne haben, solange sie auch wieder verschwinden (lacht). Also nicht hochkommen und tanzen und noch aufs Pedal steigen.
[F]Euer Album kommt am 24. März raus, ergo hab ich es mir auch noch nicht anhören können. Was kann man denn erwarten?
[A]Gerrit: Abwechslung.
William: Ja, es ist ein ziemlich abwechslungsreiches Album. Man erkennt schon noch, dass es dieselbe Band ist, aber es gibt verschiedene Stimmungen und verschiedene Instrumentalisierungen. Wir haben das erste Mal Hörner untergebracht. Auf den letzten beiden Alben hatten wir schon Streicher, die gibt es jetzt auch auf dem neuen zu hören. Die Live-Drums spielen auf dem neuen Album eine prominentere Rolle. Ja, ich glaub es ist ziemlich gut. Man kann dazu Autofahren, tanzen..
Sam: Es ist auch sehr sexy. Mit funky Basslinien.
William: Ja, funky ist es auch ein bisschen. Ich denke, es ist cool.
Sam: Erwarte nichts!
[F]Zu spät. Die Erwartungen sind hoch. Gab es denn eine Mission, als ihr das Album aufgenommen habt?
[A]Sam: Wir wollten richtige Jams machen. Es ist kein Upbeat oder sowas. Wir machen so ziemlich das, was wir schon immer getan haben. Wir präsentieren einfach die starken Seiten unserer Musik, die verschiedenen Dinge, die wir tun können. Aber wir wollten eigentlich richtige starke Songs schreiben. Unser Hauptziel war also erst mal, in einer bestimmten Zeit so viele Songs wie möglich zu schreiben und dann damit ins Studio zu gehen und die besten davon aufzunehmen. So haben wir 25 Songs geschrieben und die 10 besten für das Album gewählt. In der Vergangenheit sind wir meistens mit 5, 6 Songs ins Album gestartet, bei denen wir wussten, das sind coole Lieder und die wir unterwegs geschrieben haben und damit sind wir ins Studio gegangen und haben den Rest im Studio geschrieben. Aber dieses Mal hatten wir schon alle Songs. Wir haben also alle schon geschrieben gehabt und uns nur noch für die stärksten entschieden.
[F]Das suggeriert, dass das Album jetzt viel besser wird als die vorherigen.
[A]Sam: Nun, alle Alben sind besonders. Natürlich ist die Hoffnung, dass wir es zu einem neuen Level schaffen. Wir haben das aber auch schon mit jedem bisherigen Album versucht. Obwohl es weniger das Ausprobieren ist, es geht eher darum, festzuhalten, wie es uns gerade geht. Demnach sind die Alben eine Einkapselung einer bestimmten Zeit in unserem Leben. Ich denke aber, auf dem neuen Album haben wir eine ziemlich starke Kollektion von Songs. Natürlich denke ich, dass unsere Fans unsere alten Alben dennoch weiterhin mögen werden und das ist ziemlich geil. So geht es mir jedenfalls bei Bands, die ich mag. Das erste Album der Band, was man je gehört hat, ist immer das Lieblingsalbum, weil es einem so viel bedeutet hat, als man es zum ersten Mal gehört hat. Also hoffentlich wird unser neues Album genau so für neue Fans. Dass es Leute glücklich macht. Wir wollen eben immer mehr Leute mit unserer Musik erreichen bzw. sie unter die Leute bringen.
[F]Gibt es denn auch inhaltliche Besonderheiten oder ähnelt es dem bisherigen FUTURE-ISLANDS-Konzept?
[A]William: Es gibt ein bisschen Liebe, ein bisschen Nacht und Tag. Die vier Elemente, ein bisschen Sonne und Mond.
Sam: Es geht viel um die Positionen der Elemente. Wie natürliche und emotionale Elemente. Es gibt natürlich Liebeslieder, Lieder über Verlust, Lieder über das Selbst und das Selbst-sein.
William: Es gibt Hoffnung.
Sam: Oh ja, es gibt definitiv Hoffnung auf dem Album. Verschiedene Arten von Zuversicht und Optimismus, aber es gibt auch die andere Seite. Denn alles hat zwei Seiten. Das Leben ist zweiseitig. Es steht immer im Zusammenhang mit der menschlichen Erfahrung, es geht nie um Politik oder Religion oder Krieg. Es geht eher um das Menschsein, was ist die menschliche Erfahrung. Das ist der Inhalt unserer Musik generell und auch der Inhalt des kommenden Albums.
[F]Wenn es um die Aufnahmezeit eines Albums geht, stell ich mir die immer recht langweilig vor. Eine Band, eingesperrt im Studio für mindestens ein paar Wochen. Gibt es denn bei euch eine spannende Geschichte dazu, die ihr gern teilen wollt?
[A]William: Wir hatten ein großes Lagerfeuer an den meisten Abenden, außerhalb des Studios. Wenn wir für den Tag fertig waren, gingen wir raus und Gerrit und David, der Soundtechniker, die haben tagsüber Holz gesammelt. Wir haben viel Mario Bros gespielt. Mario Bros, 1, 2 und 3 auf Nintendo. Wenn Sam die Vocals aufgenommen hat, sind Gerrit und ich ins andere Zimmer gegangen und haben Nintendo gespielt. Oder wenn ich den Bass eingespielt habe, haben die anderen in der Zwischenzeit was anderes gemacht. Wir haben also recht viel in unserer Freizeit angestellt. Wir haben das Album im selben Studio aufgenommen wo die B-52’s "Cosmic thing" aufgenommen haben. "Love shack" wurde im selben Raum aufgenommen! Und auch BOBBY MCFERRIN’S "Don’t worry be happy". Beide sind also mit in unser Album eingeflossen. Wenn man die Songs rückwärts abspielt (lacht).
[F]Kommen wir mal zu euren Konzerten. Ich hab euch schon zwei Mal gesehen und immer festgestellt, dass ihr auf das Publikum eine einschüchternde Wirkung habt.
[A]Sam: Ich will niemanden einschüchtern, aber ich möchte gerne eine Reaktion hervorrufen. Besonders in Deutschland ist das Publikum aufmerksam. Sie passen genau auf, was man tut. Aber den Eindruck hatte ich nie, dass ich sie einschüchtere. Bestimmt hab ich schon Leute eingeschüchtert, aber das passiert nun mal. Das ist allerdings nicht meine Absicht. Meinst du, ich sollte nen Gang zurückfahren?
[F]Um Gottes Willen, nein. Ich hab mich nur gefragt, ob du dir dessen bewusst bist.
[A]Sam:Ich will auf jeden Fall, dass es intensiv ist. Ich glaube, wir wollen schon Reaktionen sehen, aber ich möchte niemanden einschüchtern. Wir wollen schon einen bleibenden Eindruck hinterlassen und jemand sein, bei dem du dich zurücklehnst und dir ans Herz greifst, weil es dich berührt hat. Das will ich auf jeden Fall. Ich möchte die Leute atemlos. Stimmt ihr mir da zu?
Gerrit: Ich dachte wir machen nur Spaß. (lachen)
Sam: Ich wollte schon mehr als nur Musik machen. Ich möchte daraus eine Erfahrung machen. Es soll eine Show, eine Performance sein. Eben mehr als nur Musik.
[F]Ist es denn für dich selbst nur eine Show oder ist es dir ziemlich ernst damit, wenn du auf der Bühne stehst?
[A]Sam: Das beides kann ein und dasselbe sein.
William: Eine ernste Performance.
Sam: Ich meine nicht "Performance" wie als wenn du dir eine Maske aufsetzt. Es ist der Song. Das ist die emotionale Basis. Die Performance verbindet sich mit dem emotionalen Zustand, in dem der Song geschrieben wurde. Es ist kein Theater, aber es ist schon eine Performance, weil es von etwas zehrt, was tiefer ist als nur die Musik. Wenn ich nur auf der Bühne stehen und den Song wiedergeben würde, das wär ziemlich langweilig. Selbst wenn du das toll finden würdest, dann würde ich das nicht toll finden. Als Darsteller würde ich das nicht gut finden.
[F]Wie ist das aber, wenn du das nun jeden Abend machst, 30 Mal hintereinander. Strengt das nicht unglaublich an? Ist da überhaupt noch was von der echten Emotion da?
[A]Sam: Natürlich. Es sollte anstrengend sein. Es ist Arbeit, da steckt man alles rein. Der Fakt, dass ich nicht nur einfach so auf der Bühne stehen könnte und die Lieder einfach nur runtersinge und mich dabei nicht bewege. Es ist kein Theater, aber es ist dennoch eine Show. Es sind vier Leute, aber auch das, was die Lieder sind.
[F]Lest ihr euch die Reviews zu euren Alben durch und beeinflusst euch das in irgendeiner Weise?
[A]Sam: Ja, das bringt mich schon manchmal durcheinander. Ich denke, das ist ganz gut. Man sagt eigentlich, wenn man ein Musiker oder Schauspieler oder generell Künstler ist, dann sollte man sich seine Kritiken nicht durchlesen. Aber auch in der Kunstschule sagen sie, jede Woche sollte man sich seinen Kritiken stellen. Ich denke, es ist wichtig, die Meinung und Stellungnahmen der Leute zu verstehen und sich fragen, ob es etwas ist, womit man sich auseinandersetzen sollte oder ob es nur die Meinung von irgendwem ist. Es ist schon wichtig, als Künstler, sich zu ändern. Man kann nicht die ganze Zeit von sich überzeugt sein, denn dann hört man auf, gute Arbeit zu machen. Oder vielleicht macht man trotzdem gute Arbeit, aber irgendwann platzt einem der Kopf vor lauter Stolz und man verliert die Sicht auf das Richtig und Falsch, auf die Balance. Man muss schon auch mal mit sich ins Gericht gehen und sich reflektieren, meine ich das was ich sage oder sag ich nur Bullshit. Aber man muss sich auch bewusst werden, dass man Dinge aus einem bestimmten Grund heraus macht. Und wenn du jetzt zu mir sagst, dass die Musik einschüchternd bzw. intensiv ist, dann denk ich natürlich darüber nach, weil ich das so noch nicht gesehen hab. Ich meine, mir wurde das schon vorher gesagt, aber ich würde das jetzt nicht ändern wollen. Aber es ist gut zu wissen, denn es erlaubt mir, mich auf verschiedene Art und Weisen darzustellen. Generell find ich es gut, zu hören was Leute zu sagen haben und wie man selbst als Künstler wachsen kann. Manchmal sagen die Menschen aber auch gemeine Sachen.
[F]Meine letzte Frage für heute: welchen Song eurer Band würdet ihr euren Kindern vorspielen?
[A]William: Ich geb denen einfach das Album und sag "zieht euch das mal rein". (alle lachen)
[F]Nein mal im Ernst, welches eine Lied ist euch so wichtig, dass es ein Lehrstück für eure Kinder sein könnte.
[A]Sam: Vielleicht "Give us the wind". Es ist ein Song über das Sein, sich selbst so sehr wie möglich zu pushen, dass man das tut, was man gern tun möchte.
Gerrit: "Vireo’s Eye"
William: Ich glaube, "Balance". Aber ich weiß nicht, warum. Ich mag den Song, es hat ein cooles Video. Es ist sehr catchy. Das kann man seinem Kind auch sicher gut verkaufen – "Hey, zieh dir diesen Hit rein. Ziemlich cool, was?"
Sam: Wirst du ihnen deine CDs verkaufen? (lachen)
William: Oder vielleicht auch "Doves", das ist ziemlich funky. Das ist ein neuer Song. Den spielen wir heute Abend auch. Aber nein, ich bleib bei "Balance".