Die Festival-Saison geht zu Ende. Und selten zuvor habe ich so viele Festivals besucht wie in diesem Sommer. Immer kleiner wurden sie. Zunächst das riesige Hurricane, dann das wunderschöne Melt!, kurze Zeit später das beschauliche Omas Teich und am vergangenen Wochenende nun das niedliche Dockville-Festival, wo sich die rund 4000 Zuschauer nur selten an einem Ort versammelten. Bei TOCOTRONIC beispielsweise, die ebenfalls am Samstag ihre Festival-Saison beendet haben und entsprechend gut gelaunt waren.
Aber fangen wir doch vorn an. Am Freitag. Bei anfangs noch wechselhaftem Wetter. Als SITUATION LECLERQ ran mussten und den etwas unbequemen Job des Openers zu erledigen hatten. Ein Album haben sie ja noch nicht gemacht, doch gefallen mir die Sachen, die man von ihnen bei myspace zu hören bekommt, ausgesprochen gut. Elektronisch rockende Musik, wie sie zur Zeit gerade sehr angesagt ist, boten sie, konnten den guten Eindruck von der myspace-Seite live aber nicht bestätigen.
Schon besser machten es da YUNO, die musikalisch in eine ähnliche Kerbe schlagen, aber sehr viel poppiger zu Werke gehen. ZOOT WOMAN seien als großes Vorbild und Orientierungshilfe genannt, zu denen sie allerdings noch sehr weit aufzublicken haben. Im Anschluss dann THE DANCE INC. und abermals Synthiepop, sympathisch, aber nicht wirklich überzeugend. Und das waren auch die nachfolgenden Bands nicht, weder SABOTEUR, noch KINDERZIMMER PRODUCTIONS, auf die ich sehr gespannt war. Und zu meiner großen Enttäuschung gelang es nicht einmal ROBOCOP KRAUS, die zwar leider keine wirklich guten Platten mehr machen, live dafür aber eigentlich umso besser sind, mich in ihren Bann zu ziehen.
Um ehrlich zu sein waren es in der Hauptsache THE WHITEST BOY ALIVE, wegen derer ich angereist war, denn die bekommt man nicht eben oft live zu sehen. Zu vielbeschäftigt ist ERLEND OYE, der nebenbei auch schon wieder an neuen Songs für seine KINGS OF CONVENIENCE arbeitet. THE WHITEST BOY ALIVE überzeugten auf ganzer Linie. Ihre Songs wurden eingebettet in lange, perfekt und filigran arrangierte Instrumentalpassagen und mit einer wunderbaren Leichtigkeit vorgetragen.
Besonders am Dockville-Festival ist, dass es neben Musik auch noch Kunst zu bewundern gibt. So konnten im Zelt zum Teil sehr ansprechende Malereien bewundert und erstanden werden, während es im hinteren Teil des Geländes auch eine Installation zu sehen gab. Zu meiner großen Schande habe ich allerdings nicht allzu viel davon wahrgenommen, so dass ich hoffe, dass Jens in dieser Hinsicht etwas aufmerksamer war als ich. Und vielleicht weiß er ja auch noch was von 2RAUMWOHNUNG oder TO MY BOY zu erzählen, die ich mir am Freitag -Abend ersparte. (mb)
Oh ja, 2RAUMWOHNUNG… Die fand ich ziemlich schrecklich. Pop für MIA-Fans, und auch im Backstage-Bereich sollen die Großeltern des Poprock dort ihre eigene… ähh… Mehrraumwohnung für sich allein beansprucht haben. Ansonsten: Belanglosigkeit in Perfektion mit schöner Light Show.
Direkt davor sorgte eine Liverpooler Band namens TO MY BOY für einige Verwirrung. Wer ist TO MY BOY? Und warum kriegen sie eine halbstündige Headliner-Position? Tatsächlich kannten sie scheinbar die wenigsten, aber dafür waren die Jungs richtig gut und sorgten mit einem abwechslungsreichen Programm zwischen Neo-Wave, Rock und Synthie-Sounds für gute Stimmung. So sollte Pop klingen! Hut ab!
Aber wie Michael bereits ansprach, war nicht nur das musikalische Programm von Bedeutung. Richtig liebevoll gestaltet war vor allem der gesamte Platz. Kein rechteckiges Fußballfeld mit Bierbuden und Merch-Ständen, wie man es von anderen Festivals kennt, nein, auf dem Dockville konnte man sich schön verlaufen. Und dafür wurden in die Wiesen, wo ansonsten das Gras ca. einen Meter hoch steht, geschmackvolle Schneisen und kleine Irrgärten reingemäht. Die Wege wurden bei Nacht von Lichterketten beschienen, links und rechts der Pfade entdeckte man Wunsch-Zettel an den Bäumen und hie und da verbarg sich eine Skulptur, der Nachbau der Elbphilharmonie von Daniel Richter (die wir aber erst am nächsten Tag als ebendiese erkannten), zwei Beton-Eier, und, und, und. Der Posterart-Fan wurde bei Feinkunst Krüger und ihren neuesten Kunstdrucken fündig, für besonderes Merch sorgte die Hamburger Hanseplatte, und im Zelt konnte man die Gemälde von den Künstlern direkt erstehen, soweit die Finanzen ausreichten. Wunderschön das alles, und über allem pochte bei Dunkelheit „das Herz des Dockville“ – wie ein Leuchtturm auf dem Speicher am Hafen. Selbstgebaut! Und bevor’s in die Koje ging, versorgten den verwöhnten Hamburger Discogänger nach dem Festival der Revolver Club und am Samstag der Kiss Kiss Club mit Britpop und Indietunes. (jg)
Die erste Band, die ich am Samstag wahrnahm, war STATION 17, die ich wie in den vergangenen Jahren, wieder einmal hervorragend fand. Anschließend leider wieder einmal eine lange Zeit nichts Bemerkenswertes. Weder die akustisch seichten ZWANIE JONSON, noch die Riot-Girls der GOOD HEART BOUTIQUE oder die MICHELLES trafen meinen Geschmack. Fast noch schlimmer war der Punk-Rock von NEIN NEIN NEIN. Etwas besser machten es THE FILMS, aber erst bei TURBOSTAAT wurde ich zum ersten Mal wieder aufmerksam. Eine sehr gute Live-Band. Und endlich TOCOTRONIC, bestens aufgelegt und herzlichst empfangen. Ein schöner Ausklang eines oftmals leider nicht mehr als mittelmäßigen Festivals. Aber für mich alten Ostfriesen dennoch ein schönes Wochenende in der großen Stadt. (mb)
Auch wir verpassten leider FARADAY und HERRENMAGAZIN, da sie bereits um halb eins loslegten, als wir uns gerade im heimeligen Bett noch mal von links nach rechts drehten. Sorry, Jungs, nächstes Mal sind wir wieder dabei!
Wir trudelten erst bei ZWANIE JONSON ein, und ich kann Michael im Großen und Ganzen nur beipflichten: das Nachmittagsprogramm ließ heute leider zu Wünschen übrig. Ersterer war wirklich öde, das einzig Gute daran war die frisch gemähte Wiese zum Rümhängen und das Wetter. GOOD HEART BOUTIQUE waren mal wieder eine dieser Bands, wo Frauen sich denken: „Hey, komm! Wir sind jetzt mal richtig Punkrock, schmieren uns einen roten Lippenstift wild um den Mund und ziehen crazy Sachen an.“ Entschuldigt die chauvinistische Meinung, aber für meinen Geschmack definiert sich guter Punkrock eher nebensächlich über die Optik. Und das war leider das Auffälligste an den vier Frankurtern. (Ihr könnt jetzt übrigens kontern, dass auch ein Typ dabei ist.)
THE MICHELLES waren zwar in Ordnung, blieben aber nicht ernsthaft in Erinnerung. Da muss ich dem Jugendmagazin der Süddeutschen leider widersprechen, wenn es behauptet „weit mehr als nur der nächste Versuch, den übersättigten Indie-Markt mit einer weiteren „erfrischenden“ Band noch weiter zu sättigen.“ NEIN NEIN NEIN machen 08/15-Punk für Kids, die die DONOTS, ZSK und Co zu ihren Lieblingsband zählten. Aber bitte keine Witze darüber machen, dass sie aus Mönchengladbach kommen!
THE FILMS habe ich ja bereits auf dem Omas Teich Festival nebenbei verfolgt. Die durften ja schon die KOOKS supporten, und genau das drückt ihren Marktwert passend aus: sie machen angesagte Musik, in einigen Jahren wird sich aber niemand mehr an sie erinnern können.
Aber dann TURBOSTAAT! Wahnsinn. Das neue Album „Vormann Leiss“ ist für meinen Geschmack das beste Album in ihrer Geschichte, und als ob die fünf Jungs live nicht schon immer den Maßstab in Sachen deutschsprachigen Punkrock gesetzt haben, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie auf der Bühne sogar noch besser geworden sind. Niemanden, den ich während oder nach dem Konzert gesprochen habe, war von ihnen nicht beeindruckt. Perfekt aufeinander abgestimmte Gitarren- und Basslinien, ein angepisster Gesang, ein treibendes Schlagzeug und eine ungeheure Energie. Und bei alledem kommt die Melodie nie zu kurz. Perfekt!
Von TOCOTRONIC war ich im Anschluss jedoch ein wenig gelangweilt. Möglich, dass es am famosen Gig von TURBOSTAAT lag, möglich aber auch, dass ich es einfach surreal finde, wenn Dirk von Lowtzow mit einschläfernder Akzentuierung „Ihr habt mir viel zu oft auf die Schulter geklopft“ singt. Junge, wo ist Dein Aufstand geblieben? Natürlich bist Du nicht mehr in den Zwanzigern, aber ist es richtig, die alten Songs weiterhin live zu performen, wenn man sie nicht mehr spürt? Oder ist „Kapitulation“ tatsächlich ein Abgesang? Ich hoffe es nicht.
Das Dockville war insgesamt jedenfalls eine herzerfrischende Sache in schöner Lage, mit angenehmen Gästen und einem guten Programm – auch wenn wir nicht alle Bands mochten. Hoffen wir drauf, dass das Ganze zu einer Institution wird und wir in zwanzig Jahren angeben können: ich war von Anfang an dabei! (jg)
http://www.dockville.de