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DIE KASSIERER – Haptisch

Dass DIE KASSIERER längst einen kulturellen Stellenwert besitzen, der weit über den Punk-Mikrokosmos hinausgeht, wurde vor kurzem wieder einmal eindrucksvoll unter Beweis gestellt. So wurde unmittelbar nach der Bekanntgabe, dass der aufgrund seiner seltsamen Weltanschauungen umstrittene XAVIER NAIDOO Deutschland beim Eurovision Song Contest vertreten sollte, eine Online-Petition gestartet, die stattdessen die Teilnahme der Bochumer Skandal-Truppe an dem europäischen Schlagerwettbewerb forderte. Nach gerade einmal vier Tagen hatte die Petition bereits 32.000 Unterstützer…
Dies ist nur eine Anekdote von vielen aus der mittlerweile 30jährigen Bandhistorie, doch sie unterstreicht wie kaum eine andere, welche Entwicklung die Band um Nackedei Wolfgang Wendlandt in den letzten Jahren durchgemacht hat. Wurden ihre Konzerte früher noch ausschließlich von stockbesoffenen Punks und Skinheads besucht, die sich zu Liedern wie „Sex mit dem Sozialarbeiter“ und „Großes Glied“ gegenseitig ihre primären Geschlechtsteile präsentierten, so sind sie spätestens seit der Uraufführung ihrer eigenen Punk-Operette „Häuptling Abendwind und die Kassierer“ ebenso ein Fall für das Feuilleton. Und während aufgrund von Titeln wie „Mach die Titten frei, ich will wichsen“ oder „Stinkmösenpolka“ jahrelang in linksalternativen Kreisen darüber gestritten wurde, ob die KASSIERER als Sexisten geächtet werden sollten oder nicht, werden sie heutzutage vielerorts offiziell als Satiriker betrachtet und sind immer wieder gern gesehene Gäste in diversen Fernsehsendungen.
Die Band selber zeigte sich hingegen (zumindest nach außen hin) von den kontroversen Diskussionen um sie herzlich unbeeindruckt. Stattdessen machten sie schon immer, worauf sie gerade Lust hatten – sei es die Vertonung von Texten des österreichischen Kabarettisten GEORG KREISLER, ein Konzeptalbum rund um das Thema Physik oder einfach nur ein Stück wie „Mein schöner Hodensack“, welches durchaus auch den typischen Ballermann-Hits-Konsumenten anspricht. Die aktuell erschienene Best-Of Zusammenstellung „Haptisch“ bietet nun all denjenigen, die sich noch nicht tiefergehend mit dem Schaffen der Band beschäftigt haben, die Möglichkeit, dies nachzuholen. Hier finden sich Klassiker wie „Außenbordmotor“, „Blumenkohl am Pillemann“, „U.F.O“ oder „Ich töte meinen Nachbarn und verprügel seine Leiche“, die wahlweise Lachanfälle oder verständnisloses Kopfschütteln auslösen können. Denn eines dürfte klar sein: Man muss den Humor der KASSIERER nicht teilen, doch man sollte sich zumindest einmal ernsthaft mit ihm auseinandergesetzt haben.

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.