You are currently viewing DEADLETTER – Zwischen Hot Dogs und Dialogbereitschaft

DEADLETTER – Zwischen Hot Dogs und Dialogbereitschaft

Im September erschien mit „Hysterical strength“ das Debütalbum der britischen Band DEADLETTER, das durchweg gute Kritiken einfuhr. Während in mancher Review GANG OF FOUR und TALKING HEADS zitiert wurden, erfolgten andernorts Vergleiche mit aktuellen Bands wie FONTAINES D.C. und OPUS KINK. Aber in einem waren sich alle einig: „Hysterical strength“ ist intensiv und kompromisslos, zugleich aber auch mitreißend und tanzbar. Auf dem letztjährigen Reeperbahn-Festival stellten sie dies in der Sky Bar des Molotow-Clubs auch live unter Beweis.
Doch angefangen hat alles schon 2020 in der nordenglischen Grafschaft Yorkshire, damals noch als Trio mit Coversongs von BOB DYLAN im Gepäck. Mittlerweile wohnt man natürlich in London und ist zu sechst aktiv. Im Gespräch mit Sänger Zac Lawrence ging es dabei um die Rolle des Saxophons in ihrer Musik, wie man sich heute noch politisch positionieren kann und um Millionen Hot Dogs auf dem Hamburger Kiez.

Hey Zac! Herzlichen Glückwunsch zu Eurem tollen Debütalbum, das es bei uns zum Albumtipp geschafft hat. Aber zuallererst: Was bedeutet eigentlich Euer Bandname?
Oh, vielen Dank! Unter „Deadletter“ versteht man einen unzustellbaren Brief oder ein nicht mehr gültiges Gesetz. Um ehrlich zu sein, haben wir den Namen aber eher wegen seines Klangs als wegen seiner Bedeutung gewählt. Es schwingt außerdem etwas Dunkles oder Geheimnisvolles bei dem Wort mit.

In England/Großbritannien gibt es aktuell ziemlich viele junge aufstrebende Bands, die alten Postpunk machen. In Deutschland ist hingegen eher Elektropop angesagt. Wie erklärst Du Dir das?
Ich glaube, wir sind inzwischen in der Ära der Solokünstler angekommen. Wenn man sich in den Sozialen Medien und der dortigen Werbung umschaut, gibt es aktuell viele Künstler, die ihre Musik alleine machen und in den verschiedensten Locations aufnehmen. Wahrscheinlich bietet eine Band der TikTok-Generation nicht die lukrativste Aussicht auf Gewinne.

Auch wenn Ihr Musik macht, die es schon in der Vergangenheit gegeben hat, klingt Ihr weder altbacken noch langweilig, sondern sehr energetisch. War es Euch wichtig, dass Ihr tanzbar seid?
Definitiv. Unsere Musik ist sehr rhythmisch. Ich denke, das hängt damit zusammen, dass unser Bassist George und unser Drummer Alfie schon sehr lange zusammen musizieren und Spaß daran haben. Die beiden alleine machen die Songs schon ziemlich interessant, und erst dann werden die anderen Sachen ergänzt.

Im Interview mit BIG SPECIAL sagte Sänger Joe, dass ein großer Teil ihres Songwritings am Notebook stattfindet. Bei Euch läuft alles noch analog?
Ja, schon. Ich fände es anders auch etwas kitschig bei uns. Wobei es cool wäre, wenn wir ab und an auf professionellere Aufnahmen zurückgreifen könnten. Aber in der Regel verlassen wir uns aufeinander und auf simple Handyaufnahmen.


Als Einfluss las ich bei Euch Bands wie The Fall. Wie sieht es mit aktuellen Bands aus?
Was meinst Du mit „aktuellen Bands“? Ab dem Jahr 2000?

Das darfst Du gerne selbst definieren!
Also, Alfie und George sind große Fans von MASSIVE ATTACK, und wir alle mögen LCD SOUNDSYSTEM sehr gerne. Ich würde aber nicht sagen, dass wir jemals versucht haben, so zu klingen wie sie. Ich glaube, es gibt niemand Bestimmtes, dem wir nacheifern. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass wir mit fünf, sechs Leuten am Songwriting beteiligt sind und jeder unterschiedliche Einflüsse hat. Es gibt viele zeitgenössische Künstler, die wir schätzen, aber ich würde sie nicht unbedingt als Einfluss benennen.

Eure Musik klingt auch ein wenig so, als ob Fußballfans sie mitsingen könnten. War es Euch wichtig, mitsingbar zu sein?
Fußballfans? Haha, darüber muss ich erst mal nachdenken. Ich denke, es ist nicht unser Anliegen, mitsingbar zu sein. Aber dass dem so ist, ist uns live irgendwann klargeworden. Wobei es für uns manchmal überraschend ist, welche Stellen mitgesungen werden. Ich betrachte es aber eher als Bonus, wenn die Leute mitsingen, das Songwriting ist jedenfalls nicht darauf ausgelegt.

SHAME äußerten im Interview, dass Ihr älteres Publikum für sie manchmal etwas befremdlich sei. Wie sieht es bei Euch aus? Auch vorne die jungen Leute und weiter hinten die Eltern?
Bei uns war von Beginn an ein Publikum mittleren Alters, viele so um die fünfzig. Ich denke, das hängt vor allem mit den Hörgewohnheiten und der Musik, die wir machen, zusammen. Da wir selbst viele alte Bands hören, ergibt es Sinn, dass wir ein älteres Publikum anziehen. Erst seit dem letzten Jahr sind unsere Zuschauer etwas jünger geworden, und ich finde es gut, dass sich das ausgleicht. Das bedeutet, dass wir nicht nur die Interessen von Teenagern oder Personen mittleren Alters bedienen, und somit auch verschiedene Teile der Gesellschaft ansprechen.

Eure Texte sind durchaus politisch. Ist es aktuell nicht schwierig, sich politisch zu positionieren? Im Israel-Konflikt gibt es derzeit selbst innerhalb der linken Szene große Anfeindungen.
Ich finde es nicht schwierig, Texte zu verfassen, weil ich vor allem darüber singe, was um mich herum passiert. Auch wenn ich mich links einordnen würde, mache ich mir beim Schreiben der Texte dazu gar keine Gedanken. Ich würde mich aber auch nicht unbedingt als politischen Schreiber bezeichnen. Ich beobachte und reagiere und beschreibe, was ich dabei fühle oder wie ich es interpretiere, ohne eine bestimmte Sichtweise vorzugeben. Ansonsten besteht nach meiner Meinung die Gefahr, in Ideologien zu kippen. Man muss auch gar nicht mit allen Positionen einer Seite einverstanden sein, selbst wenn man sich einer Gruppe zugehörig fühlt. Sonst bleibt kein Raum für einen Dialog mehr – derzeit ein großes Problem unserer Gesellschaft.

Ihr habt in der letzten Zeit live häufiger zwischen männlichem und weiblicher Saxophonisten/-in gewechselt. Ist der Posten nicht fest besetzt?
Das stimmt. Leider hat unsere ursprüngliche Saxophonistin Poppy die Band irgendwann verlassen. Wir haben die Position dann mit Nathan besetzt, der ebenfalls großartig ist, der aber manchmal von Amelia vertreten wird, wenn er keine Zeit hat. Große Fußstapfen, in die man treten muss, aber beide machen einen guten Job!

In der Vergangenheit seid Ihr auch ohne Saxophon ausgekommen. Aber liege ich richtig, dass das Instrument inzwischen eine tragende Rolle in Eurer Musik einnimmt?
Definitiv! Dabei kam das Saxophon eher zufällig zu uns. Wir saßen damals im Studio und überlegten, wie wir eine bestimmte Melodie einbauen könnten und dass sie vielleicht ein anderes Instrument bräuchte. So sind wir schließlich beim Saxophon gelandet und dachten später darüber nach, ob wir es auch mal live einsetzen sollten. So ist es einfach passiert, dass das Saxophon nach und nach eine immer wichtigere Rolle bei uns einnahm und schon präsent war, als wir an neuem Material schrieben. Aber es scheint tatsächlich so zu sein, dass die Leute das Saxophon entweder sehr gerne oder gar nicht mögen. Das ist in Ordnung. Man muss es schließlich nicht jedem recht machen.

Ich kann mir vorstellen, dass es schwierig war, Eure laute, raue Musik auf Vinyl zu bringen. Wie war es für Euch im Studio?
Der Aufnahmeprozess war eigentlich ziemlich gut. Wir sind mit dem Vorhaben ins Studio gegangen, unsere Konzerte so gut wie möglich nachzubilden. In den letzten drei, vier Jahren galt das meiste Interesse eher unseren Live-Shows als den Aufnahmen, und wir haben tatsächlich ziemlich viel live gespielt. So mussten wir im Studio also keine besonderen Momente kreieren, die wir sonst nicht erleben könnten. Insofern hoffe ich, dass die Leute auf den Konzerten das mitnehmen können, was sie zu Hause schon zu schätzen wissen. Das war die Idee dahinter. Und mehr Zeit und Geld war am Ende auch nicht übrig.

Apropos Live-Shows: Ihr habt letztes Jahr auf dem Reeperbahn-Festival im Molotow für gute Stimmung gesorgt. Kannst Du Dich an das Konzert erinnern?
So weit ich mich erinnere, war es eine super Show. Jedenfalls fallen mir keine negativen Dinge ein, was schon mal gut ist. Es war mehr oder weniger der Anfang einer ziemlich langen Tour. (Bis zum Jahresende spielten DEADLETTER noch mehr als 40 Shows; Anm.d.Red.) Ich erinnere mich, dass wir nach der Show noch an einem dänischen Hot Dog Stand waren und den Typen fragten, wie viele Hot Dogs er insgesamt schon verkauft habe. Er sagte: „Millionen!“

Und wie viele Hot Dogs hattet Ihr?
Ich glaube jeder aus der Band hatte mindestens zwei, wenn nicht sogar drei. Nur ich hatte bloß einen!

Das könnt Ihr ja im Oktober fortsetzen! Ihr spielt wieder im Molotow. Freust Du Dich schon drauf?
Ja, ich freue mich vor allem, weil es unsere eigene Show ist und wir nicht nur Teil eines großen Festivals sind. Man kann dann nicht nur schauen, wer wiederkommt, sondern man bekommt auch ein Verständnis für seine eigene Fangemeinde, falls es eine gibt.

Dass dem so ist, könnt Ihr Zac hierzulande auf den folgenden Konzerten beweisen:

23.10.2024 München – Strom
26.10.2024 Berlin – Lido
28.10.2024 Hamburg – Molotow
29.10.2024 Köln – Gebäude 9