Es ist sicher nicht vermessen, die DEAD KENNEDYS zu den zehn wichtigsten Bands der Punk-Geschichte zu zählen. Umso erstaunlicher ist es, das die Band aus San Francisco im Gegensatz anderen Szene-Größen wie THE CLASH, CRASS, SEX PISTOLS oder den RAMONES auf literarischer Ebene bislang ein absolutes Schattendasein geführt hat, denn das von dem britischen Musikjournalisten Alex Ogg veröffentlichte "California über alles" ist tatsächlich das erste Buch, dass sich ausschließlich dieser Punk-Legende widmet, wenngleich auch hier lediglich die Jahre zwischen der Bandgründung und der Veröffentlichung ihres Debütalbums "Fresh fruit for rotting vegetables" beleuchtet werden. Doch allein diese drei Jahre bieten ausreichend Stoff, um auch denjenigen, die sich bislang eher oberflächlich mit der Band beschäftigt haben, ein authentisches Bild der DEAD KENNEDYS zu vermitteln.
Bereits dem Vorwort von Alex Ogg kann man zwischen den Zeilen entnehmen, dass das bisherige Fehlen von DK-Literatur weniger auf einen Mangel an öffentlichen Interesse gegenüber der Band, als vielmehr am Verhalten der Bandmitglieder selbst zurück zu führen ist. Denn das allgemein bekannte Zerwürfnis der vier Musiker nach der Auflösung der Band war im Endeffekt nur ein finaler Bruch und der traurige Höhepunkt bandinterner Meinungsverschiedenheiten und persönlicher Konflikte, die vor allem zwischen Sänger Jello Biafra auf der einen sowie Gitarrist und Bandgründer East Bay Ray auf der anderen Seite von Beginn an herrschten. Dies wiederum hat zur Folge, dass auch die Meinungen und Erinnerungen der Protagonisten zu früheren Ereignissen zum Teil erheblich voneinander abweichen und es bisher kaum möglich war, die Geschichte der Band neutral und sachlich fundiert aufzubereiten. Alex Ogg selber vermeidet es demzufolge geschickt, sich auf eine Seite zu schlagen und lässt im Wechsel alle Bandmitglieder zu Wort kommen, wobei er auch immer wieder die verschiedenen Ansichten der erzählenden Personen ohne abschließende Wertung gegeneinander stellt. Seine Erzählung beginnt zunächst mit einer anschaulichen Darstellung der frühen San Francisco-Punkszene, schildert im Anschluss den Aufstieg der DEAD KENNENDYS zur damals bedeutendsten Punk-Band Kaliforniens und liefert darüber hinaus auch noch zahlreiche Anekdoten und Hintergrundinformationen über die Bandmitglieder, wobei neben diesen auch noch diverse weitere Personen aus dem Umfeld der Band zu Wort kommen.
Dafür, dass dieses Buch trotz der unbestrittenen musikalischen wie textlichen Genialität der DEAD KENNEDYS trotzdem nicht zu einer verklärenden Lobhudelei verkommt, sorgt letztendlich weniger die kritische Distanz des Autors, sondern ist vor allem den bereits angedeuteten Differenzen unter den Bandmitgliedern geschuldet, die nach der Auflösung der Band in einem Rechtstreit um Tantiemen und Verwertungsrechte ihren traurigen Höhepunkt fanden. Während sich Jello Biafra stets als politischer Idealist verstand, der Provokationen liebte und Kompromisse ablehnte, stand für die übrigen Bandmitglieder in erster Linie der Erfolg im Vordergrund. Vermischt mit jeder Menge persönlicher Eitelkeiten entsteht beim Leser somit der Eindruck, dass sich die Band lieber selbst Steine in den Weg gelegt hat, anstatt gemeinsam an einem Strang zu ziehen und ihr kreatives Potential voll auszuschöpfen. Trotz allem haben es die DEAD KENNEDYS geschafft, die Punk-Welt nachhaltig zu beeinflussen. Dies spiegelt sich unter anderem im Anhang des Buches wieder, der eine Sammlung von Zitaten zahlreicher Musiker und Musikjournalisten enthält, die die Bedeutung der Band hervorheben. Darüber hinaus wird "California über alles" durch zahlreiche Fotos, Flyer, Collagen und Plattencover-Abbildungen aufgelockert, so dass auch das Auge beim Durcharbeiten dieses ebenso informativen wie unterhaltsamen Buches nicht zu kurz kommt.
Autor: Alex Ogg
Herausgeber: Ventil Verlag
Seitenzahl: 240
Erscheinungsdatum: 19.05.2015
http://www.ventil-verlag.de/