Es ist mir unbegreiflich, ein Rätsel, eine fatale Errormeldung im Großhirn mit schwerwiegendem Systemabsturz, wie man auch nur ein Mü für gute Popmusik übrig haben kann und gleichzeitig nicht um die Ecke in die gemütliche Astrastube stapft, wenn dort eine Band wie BEFORE THE SHOW aufspielt. Raff ich nicht. Da häng ich also an einem Dienstagabend mal wieder ohne Begleitung meiner sonst so musikbegeisterten Freunde kopfschüttelnd am Tresen und puste resignierend in meinen Pfefferminztee. Hatte ich denn das aussagekräftige Video zu „Constructions“ nicht rumgeschickt? Hatte ich denn nicht erwähnt, dass die Dänen, deren Album „Hearts & heads“ mir seit ein paar Wochen beim Zähneputzen in die Beine fährt, ebenfalls diesen besonderen Kopenhagen-Esprit versprühen, wie man ihn auch von manch anderer Band her kennt und schätzt? Am liebsten würde ich die Schwänzer dieses Konzertes schlichtweg anzeigen. Im Gerichtssaal nimmt mein Anwalt die Angeklagten auseinander: „Und obschon Sie wussten, dass an diesem Abend eine großartige, unterstützenswerte Band aufspielte, hielten Sie es dennoch nicht für nötig…“ – Geständnisse unter Tränen, fassungsloses Kopfschütteln im Saal. Okay, zugegeben, das Album zündete auch bei mir anfangs längst nicht so wie nach diesem Live-Erlebnis. Was auf der CD etwas überproduziert klingt, offenbarte sich erst im Bühnenkostüm in vollem Charme. Ich hab das Album deshalb auch auf Kassette überspielt. Gegen zu perfekte Produktionen empfiehlt sich Rauschen, Bandsättigung und kaum wahrnehmbares Leiern. Eigentlicher Kritikpunkt in Sachen „zu perfekt“ ist aber der Gesang von Bandkopf Laurids Smedegaard. Abgesehen von ein paar semi-geilen Schreiausbrüchen sind wir hier stilistisch eher auf einer der bösen Radiofrequenzen gelandet. Da kommt dann auch mein Walkman nicht mehr gegen an. Muss er aber auch nicht. Denn „Hearts & heads“ besticht mit wirklich fantastischen Popsongs, rhythmisch aufgepeppt (der gute alte 7/4-Takt) und klanglich eingebettet (der gute alte Roland JUNO-60), mit spaßigen Handclaps und einem im Raum schwebenden Backgroundgesang, wie ihn nur der Skandinavier trällert. Die ersten fünf Songs sind so gut, dass das Album zur zweiten Halbzeit echte Probleme hat, sein eigenes Niveau zu halten und zuweilen waghalsig auf der nicht gesicherten Grenze zur Beliebigkeit balanciert. Nach „Roads“, eher Kategorie Soundtrack für nächtliche Autofahrten, geht dann mit „Plunge“ aber nochmal die Sonne auf. Dennoch, wäre das hier eine Schallplatte, ich würde sie wohl eher selten umdrehen, die A-Seite dafür umso häufiger spielen. But after the show ist bekanntlich eh before the show, und deshalb möchte ich, mal abgesehen von der Platte, in erster Linie dringend einen hoffentlich bald wieder anstehenden Konzertbesuch der hochgradig sympathischen Dänen empfehlen. Wäre ein guter Vorsatz für 2011. Ach, jetzt habe ich meine lustige Dänemark-Anekdote gar nicht eingebaut. Egal. Anno 1987, Sommerferien auf Bornholm. Meine liebe Mama kniet sich gerade herab, um mich von einem Knoten in den Schnürsenkeln zu befreien, da torkelt ein sturztrunkener Däne mit einer Bierflasche in der Hand heran und tritt ihr mit Schmackes in den Hintern. Ich war fassungslos. Anstatt dies frühzeitig zum Anlass zu nehmen, mir die Gefahren des Alkoholkonsums nahezubringen, hielten meine Eltern es allerdings für besser, das Thema noch gänzlich von mir fernzuhalten und tischten mir auf, der Arsch tretende Däne sei mit einer Ketchupflasche in der Hand herumgetorkelt. Eine Ketchupflasche! Erst durch dieses absurde Detail brannte sich die Geschichte in mein Gedächtnis ein. Der gruselige Däne mit der Ketchupflasche. Mit Mitte Zwanzig erfuhr ich endlich die viel verständlichere Wahrheit: er war einfach lattenstramm, und das rechtfertigt schließlich jegliches Verhalten.