Es gibt nicht wenige Bands, die George W. Bush hassen und auf seine Fehler hinweisen, aber kaum eine Band macht dies so überzeugend und mit so viel Hintergrundwissen wie ANTI-FLAG. Hier geht es nicht nur um Hass, sondern auch darum, etwas zu verändern.
Wie kommt es, dass wir euch nun schon zum dritten Mal innerhalb von zwölf Monaten in Europa antreffen können?
Es hat schon eine Weile gedauert, bis wir es überhaupt nach Übersee geschafft haben, und dann hat es uns hier so gut gefallen, dass wir nach der riesigen Hallentour mit den DONOTS und MILLENCOLIN eine kleine Clubtour spielen wollten, mit unseren neuen Freunden von ZSK. Jetzt sind wir halt noch mal gekommen, um ein paar Festivals zu spielen. Ich liebe die Menschen hier, man kommt sehr gut mit ihnen aus, sie sind sehr interessiert, und man kann viele Erfahrungen und Meinungen austauschen. Und nur mal so als Hinweis: im Februar werden wir vermutlich noch einmal auf Headliner-Tour nach Deutschland kommen mit unserem neuen Album.
Dann lass uns doch mal über das Album reden. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Tom Morello, und was war sein Job bei der Produktion?
Tom ist ein alter Freund von uns, und er mag ANTI-FLAG sehr. Er hat uns damals, als es RAGE AGAINST THE MACHINE noch gab, mit auf US-Tour genommen, und seitdem gab es immer Ideen, mit ihm etwas zu machen. Für das neue Album haben wir es dann endlich geschafft. Allerdings war er während der Produktion und im Studio eigentlich nicht dabei, er hat halt viel zu tun. Er war vielmehr ein „Pre-Producer“ wir haben ihm Demos geschickt, und er hat seine Ideen dazu geäußert oder sie kritisiert, auch textlich hat er uns sehr geholfen. Er hat uns viele Anstöße gegeben, Dinge zu verändern, und ich bin der Meinung „The terror state“ ist das beste Album, das ANTI-FLAG bisher gemacht haben.
Bezieht sich „The terror state“ nur lokal auf Amerika? Oder warum habt ihr gerade die Sache mit dem Terror in den Albumtitel genommen?
Nein, auf keinen Fall. „The terror state“ ist global gesehen. Jeder Staat, der Waffen produziert, jeder Staat der Menschen ausbeutet, alle diese Staaten gehören zum Terror-Regime. Das ist auch eine Sache unserer Europatouren. Wir denken jetzt nicht mehr nur lokal auf die USA bezogen, sondern haben viele neue Eindrücke gewonnen, die wir verarbeitet haben. Die USA sind eine Sache für sich, aber hier geht es auch um Dinge, die in indirektem Zusammenhang mit Krieg und Terror stehen.
Es ist also ein Konzept-Album?
Ja, das ist es. Justin und ich haben uns sehr viele Gedanken beim Schreiben gemacht, da es immer schwer ist, deine Message in diese Zweieinhalb-Minuten-Songs zu bringen. Das wirkt oft abstrakt und gekürzt. Aber bei diesem Album habe ich das Gefühl, dass es einfach passt. Die Songs fügen sich alle so wunderbar in das Gesamtbild ein. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis.
Und was dürfen wir sonst von dem Album erwarten?
„The terror state“ wird etwas anders sein als unsere bisherigen Platten. Wir haben viele neue Dinge probiert, auch gerade im Bereich Rhythmus. Ich würde es nicht direkt als Reggae bezeichnen, aber es ist schon ziemlich „laid-back“ teilweise. Aber natürlich gibt es auch weiterhin kickass Punkrock! Wir haben viel ausprobiert und sehr viel Zeit investiert. Wenn du das Album hörst, wirst du das auch feststellen.
Habt ihr etwa in eurem eigenen „Bandcamp“ dazugelernt?
Haha, na ja nicht ganz. Dieses Bandcamp war nicht nur unser Projekt, aber es war eine gute Sache. Die Kids waren alle sehr motiviert. Ich wünschte, wir hätten öfter Zeit für solche Dinge, aber wir sind leider zu oft auf Tour für so etwas. Wir sind auch nicht die besten Studiomusiker, aber mit unserer Erfahrung konnten wir den Kids schon helfen.
Stehen solche Sachen auch im Zusammenhang mit A-F Records?
Nein, nicht wirklich. Wir signen zwar viele junge Bands, aber das war eine vollkommen eigenständige Sache.
Wie läuft das Label überhaupt?
Das Label läuft sehr gut. Wir versuchen jetzt auch, unsere Bands hier in Europa bekannt zu machen und planen gerade Touren. PIPE DOWN z.B. werden auf jeden Fall hier auf Tour gehen. Ansonsten sind wir sehr zufrieden, die Arbeit macht uns viel Spaß, und wir haben jede Menge talentierte Bands bei uns. So geben wir etwas von dem zurück, was uns bekannt gemacht hat und helfen anderen. Das ist eine gute Sache.
Ist es denn inzwischen auch wieder eine gute Sache, Amerikaner zu sein? Dank George Bush hat euer Ruf doch arg gelitten…
Auf jeden Fall. Amerikaner sind nicht so schlecht, wie man meinen könnte. Es gibt nur zwei Probleme: die Ignoranz der Menschen und die Medienlandschaft in den Staaten. Die Mehrzahl der Leute hat keine Ahnung, was in diesem Land abgeht. Und die Medien tragen ihren Teil dazu bei, dass das so bleibt. Durch die einseitige Berichterstattung der Massenmedien, deren Macht in wenigen Personen vereint ist, werden viele Tatsachen einfach verdreht oder verschleiert. In Amerika gab es viele Menschen, die gegen den Krieg im Irak protestiert haben, nur wurde darüber in den Medien nicht berichtet. Viele Millionen Amerikaner wurden im TV als kleiner Mob wilder Punks dargestellt. Auf den Demos stand ich neben Omas, neben Müttern mit Kindern. Das waren nicht nur Punks, das waren die Leute von nebenan. Und das ist es auch, was mir Hoffnung gibt, dass sich alles ändern wird.
Ist es immer noch so schlimm mit dem Stolz der Amerikaner, oder hat sich dieses „Unite“-Gefühl, das nach dem 11. September aufkam, durch den Krieg wieder verwässert?
Hmm, nicht wirklich. Dieser Stolz und das nationalistische Verhalten sind immer noch ein großes Problem. Was nach dem 11.09. wirklich ein Problem war, war George Bush. Er hat Rechte beschnitten, wo es nur ging. Ich meine, hey, es werden E-Mails gelesen, ohne dein Wissen, ohne große Probleme. In was für einer Welt leben wir? Wenn es so weitergeht, sind ANTI-FLAG vielleicht in ein paar Jahren illegal. Er hat die Trauer und die Wut ausgenutzt und in falsche Bahnen gelenkt. Anstatt die Frage zu stellen: „Warum zur Hölle hasst uns jemand so doll, dass er Flugzeuge in unsere Häuser fliegt?“ hat er einfach nur den Grund gefunden, den er brauchte, um endlich vermeintlich feindliche Staaten anzugreifen. Und das Perverse ist, dass es genauso geplant war. Cheney und Rumsfeld haben schon vor dem Anschlag proklamiert, dass man nur etwas wie Pearl Harbor bräuchte, um Unterstützung für die US-Politik in Zentralasien und dem Mittleren Osten zu gewinnen. Sie sehen die USA als einzige Weltmacht, und das Ziel ist es, ihre Politik überall durchzusetzen. Es gab sogar eine Liste mit Staaten, die man noch „erobern“ müsste. Es ist einfach unglaublich, dass das geklappt hat.
Glaubst du, dass sich bei den nächsten Wahlen etwas ändern wird?
Ja, das denke ich, und das hoffe ich auch. Es gibt zwar eine kleine Chance, dass Bush wiedergewählt wird, aber ich denke, dann wird in den USA eine Protestwelle losgelöst werden.
Beteiligt ihr euch an Aktionen zur Wahl?
Es gibt noch nichts Konkretes, aber wie du sicher festgestellt hast, lassen wir keine Möglichkeit aus, „Fuck you, Mr. Bush“ zu sagen. Und mit Fat Mike und www.punkvoter.com und anderen Leuten wird schon viel unternommen, um den Menschen einfach die Augen zu öffnen. Wir können nicht mehr tun, als Leute zum Nachdenken zu animieren. Wir müssen Interesse wecken und Tatsachen darbieten, die die Medien einfach nicht bringen.
Und dann wird vielleicht ein Hollywood-Star Gouverneur oder gar Präsident?
Es gibt weit skurrilere Gestalten bei der Wahl in Kalifornien. So viele Leute, wie sich da zur Wahl stellen… was für ein Chaos.
Ihr spielt hier heute auf einem kleinen Umsonst-und-Draußen-Festival. Wie ist das so im Vergleich mit der Warped-Tour?
Wahnsinn! Es gibt so etwas nicht in den Staaten. Alle Leute haben hier eine gute Zeit, und es ist einfach super hier. Wäre ich nicht so müde, würde ich hier den ganzen Tag vor der Bühne rumlungern und zuhören. Diese ganze Sache ist ziemlich cool. Hier sind Leute, die wissen, wofür ANTI-FLAG steht. Mit der Warped-Tour ist das so eine Sache. Die großen Sponsoren und das ganze Drumherum, die teuren Tickets und all das Zeug. Aber wir sehen das so, wenn ein 15jähriger zum ersten Mal auf ein Punkkonzert geht und dann nur die Warped-Tour hat, bekommt er ein falsches Bild von Musik. Und wenn ANTI-FLAG da sind und er vielleicht auch nur einen kleinen Funken von dem aufnimmt, was wir sagen wollen, dann hat sich das Konzert für uns gelohnt. Wir müssen einfach mehr neue Leute erreichen, und das geht auf der Tour sehr gut. „You have to use the enemy, to beat the enemy.“
Ihr profitiert also quasi von dem Poppunk-Boom in den Staaten?
Nicht wirklich. Diese ganzen Bands machen ihre Musik nicht für mich, ich stehe auch in keiner Verbindung zu ihnen. Es gibt halt Bands, bei denen erkennt man sofort, dass sie ihre Sache nicht mit vollem Herzen machen und einfach nur schlecht ausgesucht sind. Und solche Bands werden nicht lange überleben, weil ihnen einfach die Substanz fehlt. Es ist deutlich teurer, ein falsches Image aufrechtzuerhalten als eine Band einfach fallen zu lassen, wenn man einmal mit ihnen Gewinne gemacht hat.