Sonntagskonzerte sind irgendwie komisch. Als ich eine halbe Stunde vor dem angekündigten, offiziellen Konzertbeginn vor dem Headcrash eintraf, wirkte der Kiez wie ausgestorben und selbst die Tür des Veranstaltungsortes war noch verschlossen. Davor tummelte sich ein knappes Dutzend verstörter Besucher, von denen sich der eine oder andere insgeheim gefragt haben dürfte, ob die Show tatsächlich stattfindet. Dann ging aber plötzlich doch alles recht schnell: Die Tür öffnete sich, und bereits 20 Minuten später stand mit SHIRLEY D. PRESSED bereits der regionale Support auf der Bühne. Die Jungs aus Hamburg und Umgebung haben sich dem Melodic-Punk verschrieben und machten ihre Sache gar nicht mal schlecht, wobei der Gesang jedoch nicht zuletzt aufgrund des deutlichen Akzents mit Sicherheit noch ausbaufähig ist. Apropos Sänger, der hatte zum Ende des Sets massiv mit seinem Gitarrengurt zu kämpfen, was nicht unwesentlich zur allgemeinen Erheiterung des Publikums beitrug. So oder so ein unterhaltsamer Einstieg in den Abend.
Als nächstes standen dann KMPFSPRT auf der Agenda. Auf diese Band hatte ich mich im Vorwege am meisten gefreut, schließlich läuft ihr neues Album "Jugend mutiert" bei mir seit Wochen auf heavy rotation und ich möchte behaupten, dass sie mit dieser Veröffentlichung eines der besten deutschen Post-Punk-Alben des Jahres erschaffen haben. Und auch live wurde ich keineswegs enttäuscht: Trotz eines Ersatz-Drummers legten die Rheinländer eine enorme Bühnenpräsenz an den Tag und hatten das Publikum innerhalb kürzester Zeit auf ihrer Seite. Dabei ist Sänger Richard an diesem Abend etwas angeschlagen und berichtet zwischen zwei Liedern von den aktuell eintretenden halluzinogenen Nebenwirkungen eines skurrilen amerikanischen Medikamentes, welches ihm der A WILHELM SCREAM-Frontmann vor der Show in die Hand gedrückt hat. Ob es auch diesen Umständen geschuldet war, dass er während des Auftritts die Bühne derart vollgespuckt hat, dass jedes Lama vor Neid erblasst wäre, sei mal dahingestellt. Jedenfalls hauten KMPFSPRT haufenweise neue Hits wie "All my friends are Dads", "Musikdienstverweigerer", "Halt. Nein. Anders." oder "Atheist" raus, wobei auch vereinzelt älteres Material wie "Affengeld" zum Einsatz kam.
Wer nun dachte, der sehr gute Auftritt von KMPFSPRT sei nicht mehr zu toppen, der hat wahrscheinlich noch nie A WILHELM SCREAM gesehen. Bereits als ich die Band zuletzt vor knapp sechs Jahren vor gerade einmal 60 Zuschauern gesehen habe, haben sie eine wahre Abrissparty vom Zaun gebrochen, wie ich sie selten zuvor erlebt habe. Nun waren ungefähr dreimal so viele Leute da, und ich hatte das Gefühl, dass auch die Band im Vergleich zu damals noch eine weitere kleine Schippe draufgepackt hat: Der Sänger war ununterbrochen in Bewegung und suchte ständig den Kontakt zum Publikum, der Bassist sowie die Gitarristen sprangen herum wie eine Horde Vorschulkinder auf einem XXL-Trampolin, und der Drummer bearbeitete mit einer derartigen Inbrunst sein Schlagzeug, dass man als Zuschauer regelrecht Mitleid mit den Drum-Fellen bekam. Überhaupt spielt die Band auf einem derart unglaublich hohen, technischen Niveau, wie es nur wenige Bands aus dem Punk/Hardcore-Bereich tun. Allen voran der Lead-Gitarrist zockt mit einer offensichtlichen Leichtigkeit anspruchsvolle Gitarren-Soli runter, dass man als Betrachter nur ungläubig mit dem Kopf schütteln kann. Ausgehend von Stücken ihrer neuen Veröffentlichung "Partycrasher" hangelten sich A WILHELM SCREAM in ihrer Discographie streng chronologisch nach hinten durch und landeten nach diversen Stücken der "Career suicide"- und "Ruiner"-LPs letztendlich bei Liedern des "Mute print"-Albums. Und das bedeutet bekannterweise Hits am Fließband: Mit "Boat builders", "Born a wise man", "I wipe my ass with showbiz", "The horse", "The king is dead" und weiteren Knallern heizten sie der Meute ordentlich ein und sorgten für die eine oder andere heisere Kehle sowie reichlich Bewegung vor der Bühne. Somit konnte man guten Gewissens behaupten, dass das Headcrash an diesem Sonntagabend die wahrscheinlich einzige wirkliche Feier-Oase auf St. Pauli dargestellt hat. Den Partycrashern von A WILHELM SCREAM sei dank.