Die alten Fans werden fragen: „Hat Tom an uns gedacht? Oder bewegt er sich weiter auf den Pfaden spiritueller Musik und naiver Kunst?“ Von dieser Warte aus lässt der Blick auf die Tracklist zunächst Böses ahnen: die ersten drei Lieder heißen „Hayonedop“, „Planetenkind“ und „Kuya“ und treiben somit alten Fans Schweißperlen auf die Stirn. Aber um es vorweg zu nehmen: „Umsonst und draußen“ ist ein Album mit vielen gradlinigen Songs, die auch den alten Hasen gefallen werden. Mit „Ophelia“ befindet sich zudem ein absoluter FLOWERPORNOES-Hit (sorry) auf dem aktuellen Album. Allerdings hat Tom Liwa mit Sicherheit nicht auf seine Wählerstimmen im Jahrespoll geschielt. Im Gegenteil: „Viele der neuen Songs handeln explizit oder im Subtext von unserer ambivalenten und dennoch leidenschaftlichen Liebe zur Musik und von der Unmöglichkeit, in industriellen Zusammenhängen authentische Kunst zu produzieren“.
Tom Liwa hatte nach einer musikalischen Sinnkrise und privaten Umbrüchen so ziemlich die Nase voll vom Musikgeschäft. „Ich musste alles loslassen, woran ich mich vorher festgehalten hatte – Familie, Freundin, Heimat, Künstleridentität – um festzustellen, was dann eigentlich von mir übrig bleibt.“ Entstanden ist ein opulentes Werk mit sage und schreibe 20 Songs, Songfragmenten und Schnipseln, das auf Grand Hotel van Cleef unter anderem als Doppel-Vinyl erschienen ist. Auf dem Cover sieht man das 4478 Meter hohe Matterhorn, darüber schwebt ein Wölkchen. Hier unterscheidet sich Masse von Klasse.
Mit Giuseppe Mautone war bereits vor drei Jahren ein neuer Schlagzeuger gefunden, der der 1985 gegründeten Band offensichtlich sehr gut tut. Das sieht man auf der Bühne, das hört man der im besten Sinne „extravaganten“ Platte an. 2012 stieg Giuseppe kurz vor den Aufnahmen zum Album „Ich liebe Menschen wie ihr“ ein. Im Interview sagt er: „Ich habe mich da auch direkt wohl gefühlt. Wir sind ja direkt ins Studio gegangen, das heißt bevor wir überhaupt zum ersten Mal miteinander gespielt haben, haben wir die Platte aufgenommen. Wir haben noch nie zusammen vorher gespielt.“ Anders verhält es sich mit „Umsonst und draußen“: hier ist die Band aufs Neue zusammengewachsen.
Und dennoch: So wie Per Mertesacker das Metronom vom FC Arsenal ist, sind Birgit Quentmeier (Klavier, Orgel, Synthesizer) und Markus Steinebach (Bass) das Metronom der Band geblieben. Sie sind das Interieur der FLOWERPORNOES-Bude. Antje Volkmann und Tom Liwa ist es gelungen, den in der Stimmung des Neuordnens und Sortierens zugelegten Klang der FLOWERPORNOES 2015 im Studio einzufangen (das übrigens der Kellerraum von Giuseppe Mautone war).
Was bleibt?
Von den 20 Stücken gefallen (mir) neben „Ophelia“ besonders das wütend-kühle „Jahre des Verrats“, das liebeserklärende „Kuya Reprise“ und das politische „KP“. Tom Liwa sagt „mir gefällt der Gedanke, dass man mit dem Album wächst und immer mal wieder einen anderen Song entdeckt. Und manche vielleicht nie“. Typisch für TOM LIWA MIT FLOWERPORNOES ist es, dass mit der Single „Federkleid“ ein rhythmisch absolut radiotauglicher Song ausgekoppelt wurde, dessen Text eine Mainstream-Verwertung aber unwahrscheinlich macht. Die Single wirkt wie ein „ungebetener Gast“ in den Charts – mal sehen was daraus wird. Alles Gute!