Den besten Sommelier Deutschlands findet man nicht etwa an der Ahr oder im badischen Weinbaugebiet, sondern in der Hamburger Hafencity. Im „Kinfelts Kitchen & Wine“, dem Zweitrestaurant von Sternekoch Kirill Kinfelt, arbeitet seit der Eröffnung vor zwei Jahren Maximilian Wilm als Sommelier und Betriebsleiter. 2019 erhielt er den Titel „Bester Sommelier Deutschlands“, der alle zwei Jahre von der Sommelier-Union Deutschland verliehen wird.
Aber was hat Wein nun eigentlich mit einem Musikmagazin wie Blueprint zu tun? Nun, auch bei unseren Schreibern und Lesern gibt es passionierte Weintrinker, und als wir außerdem erfuhren, dass Maximilian Wilm früher in einer Punkrock-Band Schlagzeug gespielt hat, war für uns klar: diesen Mann müssen wir interviewen!
Passend zur Weihnachtszeit präsentieren wir Euch nun an jedem Adventssonntag einen neuen Teil des Interviews, das im September 2020 (also noch vor dem zweiten Teil-Lockdown) im Kinfelts stattgefunden hat.
Wir bedanken uns bei Maximilian Wilm ausdrücklich für die uns entgegengebrachte Zeit.
Maximilian: …ich hoffe, das Schnitzelklopfen im Hintergrund stört nicht allzu sehr…
Werden dort wirklich Schnitzel geklopft? Ich hätte gedacht, ihr habt nebenan eine Baustelle…
Maximilian: Nein, seitdem wir wieder öffnen durften, haben wir klassische Kalbsschnitzel auf der Karte. Sie sind der Renner und sind tatsächlich sehr lecker. Auch wir mussten auf Corona reagieren, einige Tische sind weggefallen, und deshalb bieten wir derzeit einen Mittagstisch an. Langsam geht es wieder los. Da geht es den Musikern, Roadies und Veranstaltern wahrscheinlich etwas schlechter. Aber Pogo geht ja derzeit nicht, und ein Rockkonzert im Sitzen ist auch nur halb so geil.
Dir wurde 2019 der Titel „Bester Sommelier Deutschlands“ verliehen. Für mich war ein Sommelier bislang immer ein Kellner, der Ahnung von Wein hat und etwas dazu sagt, wenn er ihn ausschenkt. Was gehört noch alles zu dem Job dazu?
Maximilian: Ich verwende gerne den Begriff „Genuss-Manager“, weil alles damit zu tun hat, was lecker ist. Für viele ist Wein ein Mysterium und man wirkt als Sommelier für sie wie ein Führer durch diese eigene Welt. Als Sommelier ist man auch ein kleiner Geschichtenerzähler, ich persönlich verbinde das gerne mit Emotionen. Das Hauptthema ist zwar Wein, aber es geht zum Teil schon vorher mit einem Aperitif oder Cocktail los. Aber auch alle anderen Getränke wie Wasser, Bier, Säfte, Spirituosen, Kaffee und Tee gehören mit dazu. Im asiatischen Raum ist Sake gerade ein Riesenthema. Man muss zwar den Hintergrund zum Wein wissen, aber auch wie man ihn in Relation zu den Speisen einsetzt.
Klassisch gehören auch Zigarren thematisch dazu, selbst wenn sie durch den Nichtraucherschutz leider zur aussterbenden Gattung gehören. Ich mag selbst auch gern Zigarren. Bei der deutschen Meisterschaft hatten wir eine Zigarrenaufgabe, mit der die meisten Kollegen völlig überfordert waren, weil man damit heutzutage kaum noch zu tun hat.
Hast du dir das Wissen über Zigarren speziell für die Meisterschaft angeeignet?
Maximilian: Nein, ich war vorher sechseinhalb Jahr auf dem Süllberg (im Gourmetrestaurant „Seven Seas“; Anm. d. Red.), und dort spielten Zigarren schon noch eine Rolle. Aber das Training für Wettbewerbe lässt sich durchaus mit dem von Sportlern vergleichen. Aktuell trainieren wir für die Europameisterschaft, die jedoch wegen Corona verschoben wurde, so dass ich derzeit eine kleine Trainingspause habe. Es gibt bei uns aber wie im Profisport einen Trainingsplan, einen Nationaltrainer, und ich bin Mitglieder der deutschen Sommelier-Nationalmannschaft.
Wie hat man sich die Vorbereitung auf eine Meisterschaft genau vorzustellen? Und was unterscheidet sie von der Vorbereitung auf die Prüfung zum Sommelier?
Maximilian: Wir bereiten uns online auf ein Thema vor, wo theoretisch alles drankommen kann. Man braucht allerdings auch Mut zur Lücke und muss sich irgendwie clever anstellen. Ich persönlich habe etwa vier, fünf Stunden pro Tag trainiert. Die Theorie, wo man sich unter anderem über Regionen, die Böden und das Klima beliest, nimmt einen großen Part ein. Man schaut, welche Rebsorten es in einer Region gibt und wie die Geschichte des Weines dort aussieht, welche Klassifizierungen und Weingüter es vor Ort gibt. Eine Beispielsfrage lautet: „Wie viel Prozent Weißwein darf in einem Côte Rôtie enthalten sein?“ So etwas lerne ich mit Karteikarten, ähnlich wie für einen Vokabeltest. In der Nationalmannschaft trainiert man auch mit Kollegen. Gerade hier in Hamburg haben wir einen engen Zusammenhalt untereinander und stellen uns gegenseitig Aufgaben. Aber auch die tägliche Arbeit ist ein gutes Training. Die Vorbereitung auf eine Europameisterschaft geht viel tiefer ins Detail als für die Prüfung zum Sommelier. Bei der Prüfung musst du nur bestehen, da ist die Note im Nachhinein egal. Aber bei der Meisterschaft geht es ums Gewinnen. Je besser du vorbereitet bist, umso größer die Chancen.
Du sprachst es gerade schon an, dass die Europameisterschaft in Zypern wegen Corona verschoben wird. Wirst du im nächsten Jahr wieder teilnehmen?
Maximilian: Aktuell ist der Plan, dass die EM im März 2021 stattfindet, also um fünf Monate nach hinten verschoben wurde. Jedes Land schickt einen Teilnehmer ins Rennen. In Deutschland darf der Sieger des letztjährigen „Bester Sommelier Deutschlands“ fahren. Da ich die deutsche Meisterschaft bereits einmal gewonnen habe, kann ich nicht mehr daran teilnehmen (in anderen Ländern ist das anders geregelt). Für die WM 2022 nehme ich aber an einem internen Wettbewerb gegen den Sieger des „Besten Sommelier Deutschlands 2021“ teil. Grund ist, dass die internationalen Wettbewerbe auch viel mit Erfahrung zu tun haben und man möglicherweise Vorteile hat, wenn man bereits an einer EM teilgenommen hat.
Wie du schon sagtest, trainiert ihr in Hamburg zusammen mit Kollegen. Julian Schweighart aus dem „Fontenay“ (Hotel und Gourmetrestaurant an der Außenalster) hat beim „Bester Sommelier Deutschlands“ den zweiten Platz hinter dir belegt. Seid ihr Konkurrenten, Kollegen oder Freunde?
Maximilian: Wir stehen im sehr engen Austausch und haben uns auch zusammen auf die deutsche Meisterschaft vorbereitet. Es gibt hier wirklich einen engen Zusammenhalt unter den Sommeliers, und wenn man sich die Siegerlisten anschaut, kamen die letzten vier besten Sommeliers alle aus Hamburg (u.a. Marc Almert aus dem „Vier Jahreszeiten“ und Torsten Junker aus dem „Louis C. Jacob“). Die letzten drei Zweitplatzierten übrigens auch. Es handelt sich dabei nämlich um dieselben Trainingsgruppen und eine schöne Community. Natürlich sind wir Konkurrenten, aber Julian war auch mein erster Gratulant, und wir haben in der Nacht zusammen gefeiert. Würde ich mir nun den Fuß brechen, würde er mich vertreten. Da wir auch voneinander profitieren, ist Konkurrent wohl eher das falsche Wort.
Wann kam bei dir eigentlich die Begeisterung für Wein auf?
Maximilian: Ich komme gebürtig aus Franken, einer klassischen Weinbauregion, wo ich bereits mit drei oder vier Jahren mit meinem Opa zu den Weingütern gefahren bin. Mein Opa war ein Genussmensch, der gerne gegessen und getrunken hat und Samstag nachmittags die örtlichen Winzer aufsuchte. Eigentlich wollte er dort nur sein Weinchen trinken. Mit 16 habe ich dann meine Ausbildung zum Restaurantfachmann begonnen, wo man ebenfalls mit Wein in Berührung kommt. Gastronomie macht zwar Spaß, aber wirklich reich wird man damit nicht. Allerdings kannte ich ein paar coole Jungs, die mit Wein zu tun hatten und ganz gut davon leben konnten. Deshalb fing ich an, mich zu spezialisieren, habe ein Jahr lang an der Bar gearbeitet und meine Sommelier-Ausbildung begonnen. Anschließend habe ich in Europas größtem Weinkeller in Wien gearbeitet und dort von sehr erfahrenen Leuten viel lernen können bis ich schließlich wegen meiner jetzigen Frau in Hamburg gelandet bin. Hier war ich zunächst für sechs Jahre als Chef-Sommelier auf dem Süllberg, bis ich vor zwei Jahren im Kinfelts gelandet bin, wo ich bereits an der Planung beteiligt war und meine Ideen mit verwirklichen konnte.
Das ist ja durchaus vergleichbar mit einem Sternekoch, der zuvor von Restaurant zu Restaurant wechselt.
Maximilian: Genau! Ich habe auch verschiedene Stationen durchlaufen. Es gehört in der Gastronomie einfach dazu, überall etwas dazuzulernen.
Das klingt alles recht strategisch. Bist du selbst ein passionierter Weintrinker?
Maximilian: Auf jeden Fall! Wein hat mir schon immer Spaß gemacht, auch wenn ich ihn früher aus anderen Gesichtspunkten konsumiert habe. Damals habe ich auch deutlich mehr Bier und Longdrinks getrunken, bin dann aber über den Beruf immer tiefer in das Thema Wein eingestiegen. Jetzt kann ich behaupten, dass ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe. Ich trinke auch privat unglaublich gerne Wein und finde, dass dies das spannendste Thema der Welt ist. Ein Winzer arbeitet ein ganzes Jahr darauf hin, ein Produkt in eine Flasche zu bringen, und du sagst, vielleicht in 5.000 km Entfernung, „Das ist richtig lecker!“ und willst danach das Weingut näher kennenlernen. Der älteste Wein, den ich bisher probieren durfte, war von 1811. Dieser französische Wein hat alleine drei Kriege zwischen Deutschland und Frankreich überstanden, er hat Wirtschaftskrisen und Naturkatastrophen überlebt. Ob der damalige Winzer wohl gedacht hat, dass 200 Jahre später jemand seinen Wein trinken wird?
Und wie hat dieser Wein geschmeckt?
Maximilian: Er war tatsächlich geschmacklich noch sehr gut. Es handelte sich um einen Süßwein, der noch immer eine unglaubliche Süße und Frische gehabt hat und noch sehr facettenreich war. Das war schon beeindruckend.
Dieses war der erste Teil – am 2. Advent geht es hier weiter.