Irgendwann Anfang der 90er sah ich mal bei "120 Minutes" ein Interview mit den RAMONES zu ihrem damals neuen Album, wahrscheinlich ging’s um "Mondo bizarro". Zu der Frage, wie sich das neue Album denn von den früheren unterscheide, sagte Joey Ramone: "Gar nicht! Die neue Platte klingt genauso wie die letzten zwölf!" Ich fand das damals einigermaßen komisch: Als Punk mit Konservativismus zu kokettieren, leuchtete mir irgendwie nicht ein, wirkte aber ziemlich cool und selbstbewusst.
Bei YUCCA funktioniert das anders. Noch bevor ich die "120 Minutes"-Frage stellen kann, lese ich im Promo-Text zur Veröffentlichung: "Für die Yuccas war von Anfang an klar, dass sie nicht noch einmal dasselbe Album aufnehmen wollten." Das erscheint mir zwar selbstverständlich – dasselbe Album zwei Mal aufzunehmen, wäre wohl nur was für Reproduktions-Künstler-innen. Und das kommt auch nicht ganz so cool und selbstbewusst rüber wie Joey Ramone. Dafür leuchtet mir das vielmehr ein. Denn selbst, wenn man sich darüber im Klaren ist, dass Innovation heute fast nur noch als Metapher für neue Profitmöglichkeiten verwendet wird, kann für halbwegs bewegliche Menschen die Konsequenz ja kaum darin bestehen, beim Songwriting auf Repeat zu stellen und zu hoffen, dass man (wie die RAMONES) genug treue Fans hat, die genauso einfallslos sind wie man selbst. Und als solch bewegliche Menschen präsentieren sich YUCCA im Interview:
"Wir kommen aus der Gitarrenmusik und haben diese viele Jahre gemacht. Das alles geschah gar nicht zu 100% bewusst, sondern ergab sich einfach beim Songwriting und zusätzlich während der Aufnahme im Studio. Wir wollten der Elektronik und den Beats mehr Luft zum Atmen geben und nicht alles mit Gitarren oder anderen Elementen zukleistern."
Wer die beiden Vorgänger-Alben von YUCCA kennt, merkt den Unterschied schon beim ersten Reinhören: Die Gitarren sind noch weiter in den Hintergrund gerückt als schon beim zweiten Album und die Synthies haben jetzt endgültig die Hegemonie über das musikalische Geschehen gewonnen. Dabei hat sich die stärkere Orientierung an elektronischer Musik auch auf den Entstehungsprozess der Songs ausgewirkt:
"Nicht jedes Lied entsteht nach Schema F mit einem Gerüst aus Gitarre und Schlagzeug, sondern es beginnt oft einfach mit dem Beat und dem Bass. Selbst wenn einige Songs auf "Make up." noch ganz klassisch aus Jamsessions hervorgingen, genießen wir es, mit dem Songwriting am Reißbrett loszulegen. Oft sah der Entstehungsprozess so aus, dass wir Linien und Ideen auf verschiedenste elektronische Instrumente aufteilten und als Grundlage nur einen gebastelten Schlagzeug-Rhythmus hatten. Anschließend legten wir dann die verschiedenen Schichten übereinander und erhielten so nach und nach einen Song, der sich aus einer Grundidee weiterentwickelt hat."
Dieser veränderte Entstehungsprozess der Musik spiegelt sich teilweise auch in den Songstrukturen wider: So lassen sich bei einigen Stücken kaum noch einzelne Parts voneinander abgrenzen. Durch das besagte Übereinanderlegen verschiedener Schichten entwickeln sich diese Songs eher fließend – wie bei elektronischer Musik eben. Das Ergebnis erinnert mich immer wieder an DELPHIC – eine meiner größten Neuentdeckungen des letzten Jahres! –, vor allem in den Synthiesounds (ganz besonders in "Ray of color"). I like!
In der ersten Hälfte des Albums sind die Songs insgesamt etwas sphärischer und ruhiger und lassen an melancholischen Anfang-80er-Synthie-Pop wie bei den frühen DURAN DURAN oder CAMOUFLAGE zurückdenken. Bei einigen Songs geht das ziemlich gut auf bzw. bei mir ziemlich tief rein, was auch wesentlich den catchy Gesangs-Hooklines zu verdanken ist (ganz besonders bei "Young birds"). Nur ganz vereinzelt droht der Gesang dabei in Populismus abzugleiten (z.B. wenn im Refrain des Titelstücks "la la la la la la la" gesungen wird).
Häufig bedeuten die sphärischen Sounds aber auch weniger Dynamik und Druck als auf den ersten beiden YUCCA-Alben. Wer das – wie ich stellenweise – vermisst, wird in der zweiten Hälfte der Platte entschädigt, die insgesamt mehr in die Beine und nach vorne geht. Mit "Ray of colour" und "Ocean" sind dort auch zwei Songs zu finden, die in der Disco mit Independent-Tag, aber vielleicht genauso im Elektro-Club den Dancefloor füllen könnten. In den insgesamt rhythmischeren Stücken, in denen sich wie bei MOVING UNITS und THE FAINT Indie-Rock und Elektro-Pop gegenseitig befruchten, wo die neuen YUCCA und die alten YUCCA zusammentreffen, da liegen meines Erachtens die Stärken der fünf Jungs aus Nürnberg.
Insofern steht YUCCA die stärkere Hinwendung zum Elektro-Pop zwar gut zu Gesicht, doch dort, wo die Indie-Rock-Elemente gänzlich verschwinden, ist das Neue dann letztendlich gar nicht mehr so neu. Denn reinen Elektro-Pop machen auch Millionen andere Bands – und viele davon genauso gut. Das Indie-Rock-Elektro-Pop-Mash-Up ist zwar auch schon spätestens seit der 1999er "Blank-wave arcade" von THE FAINT populär geworden, doch ist in diesem Sub-Genre für bewegliche Menschen definitiv noch mehr an wirklich Inspirativem und Aufregendem zu holen. Das wäre Bands, die wie früher die RAMONES immer wieder dasselbe Album aufnehmen, mit ordentlich Verve cool und selbstbewusst an den Kopf zu knallen. Bleibt die Frage, ob das auch live funktioniert, wenn man statt mit Gitarren plötzlich hauptsächlich mit Synthies die Bühne rocken will.
"Wir haben uns als Ziel gesetzt, so viel wie möglich live umzusetzen, und das hat nach harter und langer Arbeit im Proberaum auch ausgezeichnet funktioniert. Klar haben wir jetzt mehr Tasteninstrumente und Elektronik auf der Bühne stehen, aber von der Energie der Live-Show geht dabei überhaupt nichts verloren. Live sind die Gitarren etwas präsenter."
Das soll möglichst bald zu überprüfen sein, YUCCA wollen noch in diesem Jahr auf Tour gehen. Angesichts der musikalischen Verschiebungen stellt sich dabei die Frage, ob die Band noch an den gleichen Orten auftreten wird wie früher:
"Wir machen die Musik. Wen wir dann damit ansprechen, zeigt sich ja erst, nachdem die Platte rausgekommen ist. Das Publikum wird entscheiden, wo es uns sehen wird."
Wenn man sich die insgesamt sehr professionelle Promotion und das Artwork der YUCCA-Platten und ihrer Websites ansieht, bekommt man den Eindruck, dass YUCCA mit dem neuen Album durchaus auch die größeren Bühnen im Visier haben. Haben sie keine Angst, zu professionell und damit zu glatt rüberzukommen?
"Wir haben in unserer Band zwei Grafikdesigner und somit ist für unser Artwork/Design natürlich gut gesorgt. Außerdem haben wir (bereits seit der letzten Platte) eine PR-Agentur an unserer Seite, was für uns auch wichtig ist – schließlich sind wir ja Musiker und keine PR-Berater. Zu glatt oder zu perfekt kommen wir unserer Meinung nach nicht rüber, da haben wir überhaupt keine Angst."
Vielleicht besteht auch hier ein Unterschied zu den RAMONES. Die entscheidende Differenz liegt aber darin, dass es bei YUCCA spannend bleibt, wohin sie ihr Weg durch die Zwischenräume der Musik-Genres führt. Und das ist eine Qualität, die leider viel zu wenige Bands besitzen.
"Make up." erscheint am 18. März 2011 auf FDI Music (Soulfood)
http://www.yucca-music.de/
http://www.myspace.com/yuccamusic