Die vom Soloprojekt zur festen Band etablierten WOVENHAND haben im September 2008 mit „Ten stones“ ihr drittes Album veröffentlicht. Die Klänge um den Gründer und Frontmann David Eugene Edwards, dem ehemaligen Sänger der 2006 aufgelösten Goth-Folk-Giganten SIXTEEN HORSEPOWER, werden mit jedem Album lauter, drohender, fatalistischer. In „Ten stones“ kulminiert die apokalyptische Stimmung in der Absolutheit des Predigerenkels, der mit allen Mitteln der Sprache seine Hörer an sich bindet und ihnen allein durch die Kraft seiner Worte die Aussicht auf Erlösung greifbar macht.
Was den Inhalt des Albums betrifft, ist es nicht ganz so einfach, dieses fulminante, wortgewaltige Epos zu beschreiben. Schon der vergleichsweise schlichte Titel hat es in sich: „Ten stones“ – Zehn Steine, da muss man nicht viel Fantasie aufbringen, um bildlich bei der Bibel anzukommen – die zehn Gebote auf Moses Steintafeln, Turmbau zu Babel, Apokalypse, brennende Städte… Lassen wir unseren Gedanken da freien Lauf, sind sie nicht mehr so leicht einzufangen. Hier einige Assoziationen zu David Eugene Edwards und WOVENHANDs „Ten Stones“:
WOVENHAND und Religion gehören zusammen. Wie unter Fans allgemein bekannt, war der Großvater Edwards‘ ein Wanderprediger der Nazarenerkirche, einer in Texas gegründeten, selbst für amerikanische Verhältnisse ziemlich strengen Religionsgemeinschaft. David Eugene Edwards ist bis heute gläubig, was in seinen Texten sehr deutlich wird. Obwohl er nicht offensiv versucht, zu moralisieren und die Zuhörer von seinem Glauben zu überzeugen, hat seine Arbeit als Musiker, von Stadt zu Stadt zu reisen und auf der Bühne vor vielen Menschen zu „sprechen“, einiges gemeinsam mit dem Leben eines Wanderpredigers.
Haben wir es bei „Ten stones“ etwa auch mit einer Art Predigt zu tun? Warum „Ten stones“ und nicht „Nine stones“ oder „Eleven stones“? Tatsächlich, die Zehn hat es in sich. Sie kommt in der Bibel – neben vielen anderen Stellen – nicht nur in den zehn Geboten vor, sondern auch in den zehn Plagen. Nicht zuletzt beruht das Dezimalsystem, wie der Name schon sagt, auf der Zahl Zehn, und zwar recht wahrscheinlich auf unseren zehn Fingern. Und weil es so schön ist, mit Zahlen zu hantieren: Im Jahr 1000 machte der Isländer Leif Eriksson auf seiner Reise von Grönland in Vinland halt und entdeckte damit Neufundland…
Macht es Sinn, über den Titel eines Albums derart ausgiebig nachzudenken? Eigentlich nicht. Aber was macht heute schon noch wirklich S i n n ? Zeitung lesen? Einkaufen gehen? Arbeiten? Mit zehn Stücken wie Steine zerschmettern WOVENHAND das fragile Lügengebäude von sinnlicher Genusssucht und Materialismus einer ins Absurde gewachsenen Konsumgesellschaft. Finster und endzeitlich erzählen sie vom Waten durch Blut und von der Untentrinnbarkeit vor dem alles verschlingenden Feuer. Schuld und Katastrophen als Ende der Menschheit? Eine letzte Mahnung an uns, die Hörer, die gerne Platten kaufen und sich dem Genuss des Musikkonsums hingeben? Edwards ist selbst bekennender Freund des Schuhekaufens, wir können also ruhig weiter in den Laden gehen und kaufen, was uns glücklich macht. Nur ab und zu einmal der Realität ins Auge sehen und die Absurdität einer in medialen Konstrukten verschwimmenden Gesellschaft erkennen – das Babel der Postmoderne? – das könnten wir schon das eine oder andere Mal tun. Wenn Edwards singt: „Not one stone atop another will stand“, müssen schließlich nicht Steine als solche gemeint sein. Das ist ja das Schöne an Worten – man kann sie deuten bis zum Umfallen.
Ich für meinen Teil bin aber jetzt durch mit dem Thema Deutung und sage nur noch eins: Ob zum verrückt werden beim grübeln über Zahlensymbolik und Bibelgeschichten, oder einfach zum Abgehen auf den dunkelsten Folk des Jahres 2008 – ich kann dieses Album nur empfehlen!