TORTOISE – The lazarus taxon (Box)

Ein bisschen Klugscheißerei zu Beginn: Dies ist die Band, für die ein verlegener Journalist einst den Begriff Post Rock erfand, eine Schublade, in der mittlerweile alles Mögliche seinen Platz hat. Es war ihr zweites Album „Millions now living will never die“, das, verbunden mit dem Live-Erlebnis, seinerzeit unter anderem auch meine Musikwelt veränderte. Zu dem Zeitpunkt dauerte es nicht mehr allzu lang bis zu MOGWAI’s Debüt-Album „Young Team“, aber schon beim Vergleich dieser beiden Alben wird klar, dass es außer der Abwesenheit von Gesang keine großen Gemeinsamkeiten zwischen beiden gibt. Es wird deutlich, dass der Begriff Post Rock zur damaligen Zeit tatsächlich nicht mehr als ein Behelf war, mit dem sich erst im Laufe der Zeit ein bestimmter Klang von Musik verbinden ließ. Zu dem man TORTOISE heute wohl gar nicht mehr dazu zählen würde.
Zählt man alle Bands und Projekte auf, in denen die fünf Mitglieder von TORTOISE im Laufe der Zeit involviert waren oder sind, kommt man auf eine Liste mit über 120 Namen. Zur Zeit ihrer Gründung war diese Band für alle Mitglieder ein Nebenprojekt, das für sie in erster Linie künstlerische Freiheit bedeuten sollte, ein Raum, in dem man, ohne jeglichen Druck, etwas Neues ausprobieren wollte. Relativ schnell jedoch wurde TORTOISE für alle Beteilgten zu ihrem erfolgreisten Projekt und schließlich für alle mehr oder minder die Hauptband. Ihren Anspruch haben sie jedoch niemals aufgegeben und sich bis zum letzten Album „It’s all around you“ aus dem letzten Jahr immer wieder neu erfunden. Ging nach besagtem zweiten Album das dritte etwas mehr in Richtung Jazz, klang das vierte plötzlich sehr elektronisch, auf dem letzten näherten sie sich in einem Stück gar an Rockmusik an. Im vergangenen Jahr schließlich gab es eine leider nur mittelmäßige CD mit BONNIE PRINCE BILLY, auf der ausschließlich Coverversionen zu hören sind.
Auf der nun vorliegenden Box haben die fünf Chicagoer auf insgesamt drei Audio-CDs ihre Raritäten, Remixe oder vergriffenen Stücke für uns zusammengestellt. Besonders schön ist die Tatsache, dass CD3 das vergriffene Remix-Album „Rhythms, Resolutions & Clusters“ enthält, nach dem unter anderem ich schon seit Ewigkeiten suche. Oben drauf gibt es noch eine DVD, die sämtliche Video-Clips sowie Live-Material aus den verschiedenen Phasen der Band enthält. In der Mitte dieser DVD befindet sich ein rund 30minütiger Ausschnitt aus einem Konzert von ’96 in Toronto, das leider von der Soundqualität her sehr bescheiden, aber dennoch äußerst beeindruckend ist. Gerade die Zeit um 1996 war die bis heute stärkste Phase dieser Band.
Auf den anderen beiden Audio-CDs sind zum einen weitere Remixe eigener Stücke oder der Stücke anderer Künstler, wie z.B. YO LA TENGO zu hören. Zum anderen finden sich hier einige Bonustracks von Japan-Veröffentlichungen ihrer regulären Alben, sowie rare Singles oder B-Seiten. Unter ihnen sind auch das phantastische „Gamera“ (das allein schon das Geld wert wäre) oder das orientalische „Vaus“ von einer Split 7-inch mit STEREOLAB.
Wer sich noch nie näher mit dieser Band beschäftigt hat, sollte sicherlich nicht mit dieser Box beginnen, sondern sich, am besten in Reihenfolge ihres Erscheinens, ihren Alben widmen. Für Kenner dieser Band sollte die Notwenigkeit dieser Anschaffung außer Frage stehen. Dies gilt umso mehr, als diese opulente Box für einen Spottpreis von unter 20 Euro zu haben ist.