Es gibt ziemlich wenige Bands, bei denen sich mein Geschmack vom ersten Mal Hören um 180 Grad gedreht hat. Diesen „vom Saulus zum Paulus“-Effekt durfte ich beispielsweise bei der ANTILOPEN GANG oder K.I.Z. erleben. Bei Letzteren haben wir auch den Bezug zu den THE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM. Diese waren 2008 Vorband auf der Tour von K.I.Z. und haben mich mit den bislang drei Album-Veröffentlichungen wirklich immer überrascht. Polarisierender Sound im Elektro-Gewand und ein sehr eigener Humor, der für mein Verständnis auch immer politische Akzente gesetzt hat. „Ich brauch’ keine Wohnung“ oder „Jobcenterfotzen“ von den Vorgängeralben sind einfach Songs, die man liebt oder hasst. Ich habe damals, wie eingangs geschrieben, wirklich etwas Zeit gebraucht, um hier (Achtung: Bezug zum neuen Album) „Gefühle“ aufzubauen. Nebenbei bemerkt finde ich die Nebenprojekte der Band auch ziemlich knorke. Für das vierte Album „Gefühle“ hat man mit Bakraufarfita Records eine neue Labelheimat gefunden. Flauschiges Digipak mit Texten, hier werden die ersten Phenethylamine ausgestoßen. Statt sich mit Gendersternchen zu beschäftigen, geht es THE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM darum, reale Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen anzugehen. Ist schon wirklich cool, wie man mit der eigenen Leichtigkeit beispielsweise im Song „Zurück in der Gosse“ SHIRIN DAVID aufzeigt, dass man mit 5€-Schein und Rubbellos die Freiheit hat, mit dem glücklich zu sein, was man hat. THE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM ist zweifelsohne eine Band, die aus dem Rahmen fällt, jeder Song ist eigenständig, die musikalischen Einflüsse sind vielfältig, TABY PILGRIM, BLOND, BABSI TOLLWUT geben dafür ihr anreicherndes Input. Die Attitüde ist trotzdem Punk, Archi Alert (TERRORGRUPPE) und Annette Benjamin (HANS-A-PLAST) untermauern das. Punk ist halt oftmals das, was man selbst draus macht. THE TOTEN CRACKHUREN IM KOFFERRAUM transformieren diesen Anspruch in die Neuzeit – der Anspruch ist und bleibt dabei progressiv. Ich tendiere schon fast dazu, dass „Gefühle“ vielleicht das beste Album ist, bin mir aber nicht sicher. Sicher ist, der perfekte Sound um mit Sarah Wagenknecht ’ne Kieztour in Hamburg zu machen, um nach 15 Bier und 10 Pfeffis im Clochard zu versacken. Ach nee, der ist ja nicht mehr, scheiß Kapitalismus.