Nachdem das „Resist to Exist“-Festival im Laufe seiner 15jährigen Geschichte bereits diverse Male umgezogen ist, schien man im Jahre 2016 endlich eine feste Heimat im brandenburgischen Ort Kremmen gefunden zu haben: Die örtliche Bevölkerung stand dem Punk-Festival sehr aufgeschlossen gegenüber, Veranstalter und Gäste fühlten sich auf der zur Verfügung gestellten Ackerfläche wohl, und durch den nahe gelegenen Bahnhof und die Nähe zur A24 hatte die Veranstaltung zudem eine gute Verkehrsanbindung. Einen Strich durch die Rechnung machte den Organisatoren in diesem Jahr allerdings die zuständige Behörde: Aufgrund der Regelmäßigkeit der Veranstaltung sollte nun plötzlich eine Umnutzung des Geländes beantragt und Baugenehmigungen eingeholt werden, was für das ausschließlich ehrenamtlich organisierte und unkommerzielle DIY-Festival keine Option war. Nachdem auch der Versuch, das Festival als Volksfest zu deklarieren und somit gewisse Auflagen zu umgehen, vom örtlichen Bürgermeister abgelehnt worden war und der Gang vor das Oberverwaltungsgericht ebenfalls nicht den gewünschten Erfolg brachte, wurde eine Woche vor Veranstaltungsbeginn verkündet, dass das Festival nach Berlin-Marzahn verlegt wird. Dort liegt im Übrigen auch der Ursprung des „Resist to Exist“-Festivals, welches zwischen 2007 und 2015 auf verschiedenen Freiflächen des Ost-Berliner Stadtteils stattfand. Die damaligen Brachflächen existieren inzwischen zwar nicht mehr, dafür gibt es allerdings seit einigen Jahren das Orwohaus, ein heutzutage komplett von Musikern genutztes Gebäude, welches mit seinen über 100 Proberäumen den größten zusammenhängenden Proberaumkomplex Europas darstellt. Im Erdgeschoss des ehemaligen Industriegebäudes befindet sich ein für ca. 900 Personen ausgelegter Konzertraum, und neben dem Gebäude bietet eine Freifläche zudem die Möglichkeit, eine zusätzliche Open-Air-Bühne zu installieren. Dennoch bedeutete der spontane Umzug, dass aufgrund der begrenzten Zuschauerkapazitäten nur ein Teil der ursprünglich erwarteten Besuchermenge untergebracht werden konnte und das Festival mit Bekanntgabe der Entscheidung schlagartig offiziell ausverkauft war.
Freitag, 02. August 2019
Dass der vor allem durch seine schier endlosen Plattenbausiedlungen geprägte Stadtteil Marzahn von Haus aus nicht durch architektonische Schönheit besticht, liegt in der Natur der Sache. Die Gegend rund um die Frank-Zappa-Straße ist allerdings noch mal ein besonders spezieller Fall: Eingekeilt zwischen zugewucherten Brachflächen, Discounter-Supermarkt und sechsspuriger Bundesstraße befinden sich ein paar vereinzelte Hochhäuser, die man aufgrund ihres Zustandes eher in Tschernobyl, als in der Weltmetropole Berlin erwarten würde. Im Zusammenspiel mit der einen oder anderen bereits zu früher Stunde sichtlich vom Alkohol angeschlagenen Punk-Gestalt erinnerte die Gesamtatmosphäre bei unserer Ankunft unweigerlich an eine Mischung aus Zombie-Film und einer modernen Großstadt-Variante von „Mad Max“. Den passenden apokalyptischen Soundtrack dazu lieferten die FLIEHENDEN STÜRME, wobei ich mich ehrlich gesagt frage, warum die Düster-Punk-Institution bereits um 16 Uhr und auf der Open Air-Bühne ran musste. So blieb im Endeffekt doch einiges von der Intensität, die ihre Musik normalerweise ausmacht, auf der Strecke. Zugleich muss man allerdings auch sagen, dass vor allem unter den jüngeren Zuschauern viele mit dem Schaffen der Band nicht wirklich vertraut zu sein schienen, während die anwesenden älteren Semester von Liedern wie „Sternenleichen“ sichtlich hingerissen waren. Ärgerlicherweise setzte zum Ende des Auftritts hin auch noch ein heftiger Platzregen ein, der viele der zu diesem Zeitpunkt Anwesenden in die Halle trieb. In dieser servierten BITTER VERSES im Anschluss ein ziemlich amtliches Hardcore-Brett, von dem vor allem die Frontfrau aufgrund ihres kräftigen Organs nachhaltig im Gedächtnis blieb.
Dass der Himmel auch zu Beginn von GUM BLEED seine Schleusen offen hielt, tat mir vor allem für die Band leid, denn schließlich verschlägt es die Streetpunks aus China nicht allzu oft in unsere Gefilde. Umso mehr Respekt für die trotz der Umstände an den Tag gelegte Spielfreude der Band, die, nachdem der Regen nachgelassen hatte, doch noch mit der einen oder anderen Pogo-Einlage seitens des Publikums belohnt wurde. Nachdem wir eine Runde über das Festivalgelände gedreht hatten, fanden wir uns bei RAWSIDE erneut vor der Bühne ein, wo inzwischen ein anständiger Zuschauerandrang zu verzeichnen war. Die Hardcore-Punks spielten viel Material von ihrem neuen Album „Your life gets crushed“, doch auch einige ältere Stücke wie beispielsweise das von OHL adaptierte „Nieder mit dem Nazi-Pack“ durften natürlich nicht fehlen. Zurück in der Halle waren danach FCKR an der Reihe. Ich hatte mir irgendwann mal aufgrund diverser Empfehlungen eine LP der Leipziger zugelegt, bin mit ihrem synthiegestützten Schrammel-Polit-Punk allerdings nie so richtig warm geworden. Live konnte mich die Band allerdings überzeugen, zumal auch das textsichere Publikum seinen Teil zu einem sehr gelungenen Auftritt beitrug.
Dass WHAT WE FEEL so etwas wie das Aushängeschild der russischen Hardcore-Szene sind, sollte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Und das völlig zurecht, denn schließlich tourte die Band in der Vergangenheit nicht nur ausgiebig quer durch Europa, sondern ist vor allem durch ihre konsequente politische Haltung bekannt, die sich nicht nur in Worten, sondern vor allem auch in Taten niederschlägt. Nachdem sie von 2010 bis 2016 eine Pause eingelegt hatten, sind sie inzwischen wieder relativ regelmäßig unterwegs und wurden mit Bengalos und wehenden Antifa-Fahnen entsprechend gewürdigt. Für mich endete der erste Abend schließlich mit den CASUALTIES, deren 2017 eingestiegener Frontmann David Rodriguez sich nicht nur optisch perfekt ins Gesamtgefüge der Band eingefügt hat und Hymnen wie „1312“ oder „We are all we have“ inzwischen genauso inbrünstig wie sein Vorgänger Jorge Herrera rauskotzt.
Samstag, 03. August 2019
Um frisch und kraftvoll in den zweiten Festivaltag zu starten, waren EMPOWERMENT genau das Richtige. Die Truppe um Rampensau Jogges lieferte ein deftiges Hardcore-Brett ab und sorgte mit Hymnen wie „Stuttgart asozial“ oder dem SLIME-Cover „Bullenschweine“ für ausgelassene Stimmung. Kurze Zeit später sollte letztgenanntes Stück im Übrigen von einer überraschenden Aktualität gesegnet sein, denn während sich am Vortag rund um das Festival kein einziger Polizist blicken ließ, marschierte plötzlich an der am Orwohaus angrenzenden Bundesstraße eine Hundertschaft in voller Kampfmontur auf. Nach Angaben der Polizei hatte der Einsatz allerdings nichts mit dem Festival zu tun, sondern bezog sich auf einen Vorfall in unmittelbarer Nähe des Geländes. Lassen wir das einfach mal so stehen. Wichtig ist auf jeden Fall, dass sich die Festivalbesucher nicht provozieren ließen und die Cops irgendwann wieder abrückten. So waren im Endeffekt die einzigen Ordnungshüter, die es auf das Gelände geschafft haben, DIE BULLEN, die die Meute mit Liedern wie „Der lange Schwanz des Gesetzes“ oder „Amerikanische Verhältnisse“ vermöbelten. Ich persönlich finde dieses Nebenprojekt von AFFENMESSERKAMPF ja großartig und freue mich immer wieder, wenn die Kieler Spacken auf der Bühne rumturnen…
SCHLEIMKEIM geht im Osten immer. Insofern hatten die CAFESPIONE auf der Indoor-Bühne leichtes Spiel, denn ihr Programm besteht ausschließlich aus Coverstücken dieser DDR-Punklegende. Folglich war der Massenpogo zu Klassikern wie „Mit dem Knüppel in der Hand“, „Frage der Zeit“ oder „Mach dich selbst kaputt“ vorprogrammiert und wurde entsprechend kompromisslos umgesetzt. Eher für die neuere Deutschpunk-Generation stehen hingegen FAHNENFLUCHT, die aufgrund einer Erkrankung eines ihrer Gitarristen nur zu viert auf der Bühne standen. Ihrem druckvollen Sound tat dies jedoch keinen Abbruch, und sie lieferten mit Stücken wie „Schwarzmaler“, „Kind“ oder „Willkommen in Deutschland“ Hits wie am Fließband ab. Lediglich das altbekannte „Kleiner Terrorist“ fehlte in der Setlist – möglicherweise, weil dieser Song von einer Split-EP mit ZAUNPFAHL stammt, die wiederum seit ihrer Anbandelung mit einer bekannten Südtiroler Deutschrock-Kapelle nicht gerade den besten Ruf in der Szene genießen.
Nach wie vor exzellent ist hingegen der Ruf der SKEPTIKER. Auch gut 30 Jahre nach ihrem ersten Album präsentierten sich die Ost-Berliner frisch und spielfreudig, wobei es in erster Linie die alten Lieder wie „Komm tanzen“, „Strassenkampf“, „Deutschland halt´s Maul“ oder „Dada in Berlin“ waren, die beim Publikum am Besten ankamen. Eher für feucht-fröhliche Stimmung als politische Inhalte sind hingegen OXO86 bekannt. Wo diese Truppe aufschlägt, bleibt kein Auge trocken, und folglich brach auch bei ihrem Auftritt eine riesige Party vor der Freiluftbühne los. Während einer Unterbrechung kamen die Veranstalter zusammen mit einigen Unterstützern aus Kremmen auf die Bühne, berichteten noch einmal von den Ereignissen der letzte Tage und nahmen zu guter Letzt noch eine kurze „Grußbotschaft“ an die politischen Entscheidungsträger auf, die für die Verlegung des Festivals verantwortlich sind. Getreu dem Motto: „Die Äcker denen, die drauf tanzen!“
Als RAZZIA um Mitternacht die Indoor-Bühne Erdgeschoss des Plattenbaus betraten, hätte man aufgrund der Rahmenbedingungen denken können, sie hätten ihren Song „Nacht im Ghetto“ extra für dieses Festival geschrieben. Ansonsten gab es viel Material von ihrem neuen Album „Am Rande von Berlin“ (ebenfalls sehr passend!) zu hören, wobei natürlich Klassiker wie „Schatten über Geroldshofen“, „Fahnensog“ oder „Kriegszustand“ ebenfalls nicht fehlen durften.
Im einen Moment von brennenden Barrikaden träumen, im nächsten Augenblick Schopenhauer zitieren? Da kann die Rede nur vom ALARMSIGNAL sein! Das Quartett gehört zu jener Sorte von politischen Deutschpunk-Bands, die trotz einer gewissen Parolenhaftigkeit die Kritik an den Verhältnissen mit einem gewissen Tiefgang artikulieren. Darüber hinaus haben sich die Niedersachsen in den letzten Jahren eine stetig wachsende Fangemeinde erspielt, so dass sie einen durchaus würdigen Abschluss für einen insgesamt recht Deutschpunk-lastigen zweiten Festivaltag darstellten.
Sonntag, 04. August 2019
Für uns begann der dritte Festivaltag mit einer Band, die zumindest optisch den Eindruck erweckte, als sei sie einmal quer durch alle Unterschubladen der Punkkultur zusammengecastet worden: An der einen Gitarre ein Skinhead, an der anderen Gitarre ein Iro-Träger, der Bassist sieht so aus, als wäre er der Hardcore-Szene zugehörig, und dazu eine Sängerin, die sich offenbar in der Polit-Punk-Szene heimisch fühlt. Musikalisch lieferte die bunt zusammengewürfelte Truppe derweil ein richtig fettes Hardcore-Punk-Brett ab, bei dem auch die Inhalte nicht zu kurz kamen. ES WAR MORD machten hingegen dort weiter, wo Bands wie DIE SKEPTIKER oder RAZZIA am Vorabend aufgehört hatten: Hier gab es eigenständigen, spielerisch sehr versierten Punkrock, der sich stellenweise jedoch in puncto Geschwindigkeit auch mal in Richtung 80er Jahre Hardcore bewegt. An dieser Stelle sei auch noch einmal auf ihr sehr gutes Album „Unter Kannibalen“ hingewiesen.
Es ist inzwischen so etwas wie eine Tradition, dass am letzten Tag des Resist to Exist-Festivals auch politischen HipHop-Gruppen eine Bühne geboten wird. In diesem Jahr durften sich BOYKOTT ONE und NEONSCHWARZ der kritischen Punkgemeinde stellen, wobei vor allem Letztere die Crowd vom ersten Track an fest im Griff hatten. Ein textsicheres Publikum, Crowdsurfing auf einer aufblasbaren Südfrucht, dazu Ohrwürmer wie „Dies, das, Ananas“, „On a journey“ oder „Unser Haus“… Alles in allem ein gelungener Auftritt, der den bis dato ein wenig müde wirkenden Festivalbesuchern noch einmal neue Energie einzuflößen schien.
NON SERVIUM kannte ich bislang nur vom Namen, entsprechend positiv überrascht war ich von den Spaniern. Eine hochexplosive Mischung aus Streetpunk, Oi! und Hardcore, deren Markenzeichen prägnante Gitarrenmelodien und brachiale Singalongs sind. Was für ein Brett und zugleich ein guter Übergang zu den RESTARTS, die auf der Indoor-Bühne mit politischem Streetpunk und sympathischen Cockney-Slang den Festival-Endspurt einläuteten. Den Schlussakkord setzten jedoch LOS FASTIDIOS. Die italienischen Streetpunks lieferten ein für ihre Verhältnisse sehr Ska-lastiges Set ab und spielten vor allem Offbeat-Songs wie „Vechio Skinhead“, „3Tone“ oder „Skanking Town“. Doch die von vielen herbeigesehnte Hymne „Antifa Hooligans“ durfte selbstverständlich auch nicht fehlen und setzte ein finales Ausrufezeichen hinter das „Resist to Exist“, das in diesem Jahr seinem Namen aufgrund der widrigen Gesamtumstände alle Ehre machte. Respekt an die Organisatoren und zahlreichen ehrenamtlichen Helfer, die es geschafft haben, innerhalb kurzer Zeit einen Alternativplan zu entwickeln und so reibungslos umzusetzen, wenngleich die Veranstaltung aufgrund der begrenzten Kapazitäten leider kleiner ausfiel als geplant. Man darf gespannt sein, wo das Resist im kommenden Jahr seine Zelte aufschlagen wird.