Was kann man noch groß als Einleitung zu einem Festival wie dem Dockville schreiben? Inzwischen kennen es die meisten Hamburger ja, man weiß, dass man dort nicht unbedingt hingeht, um große Acts zu sehen – vielmehr eignet sich das Festival zum Entdecken neuer aufstrebender Bands. Davon gab es auch in diesem Jahr wieder genügend, und – zur Freude aller – das Wetter spielte mit! Zumindest bis zum Sonntag, als doch so mancher Schauer runterkam. Lassen wir zu Beginn also unseren Schreiber Simon sprechen, der als Neu-Hamburger das Festival auf der Elbinsel zum allerersten Mal besuchte:
Freitag:
(so) Auf der Suche nach Entspannung von all den neuen Dingen, die man so als Neu-Hamburger um sich hat, von der neuen Schule, den neuen Schülern, dem Umzugsstress und und und dachte ich, es wäre eine gute Idee, dem vielgerühmten Dockville mal einen Besuch abzustatten. Im Bus dorthin allerdings ist der erste Gedanke: Wow, bin ich alt. Umgeben von mäßig angetrunkenen Festivalgängern in den Midtwenties mit obligatorischem Bären auf dem Rücken und tollen Erinnerungen im Gepäck, die sie gerne der gesamten Busbesatzung mitteilen: Wie ich einmal Sex auf einem Festival hatte. Wie ich einmal Bierdosen auf ein Festival schmuggelte.
Vor lauter Langeweile muss man aufpassen, dass man die richtige Haltestelle erwischt. Das jedenfalls ist gelungen, die Schlange schön kurz, der Eintritt als Pressekarteninhaber akzeptabel, los geht´s.
Los ging es für mich mit FUCK ART LET´S DANCE, also sehr poppigen, rhythmuslastigen Melodien auf elektronischem Teppich. Die Stimmung vorm Großschot ist hervorragend und die durchaus 80er-kompatiblen Herren auf der Bühne tun alles, um sie nicht absinken zu lassen. Mich jedoch können sie nicht so wirklich packen, was möglicherweise auch am fehlenden Bierkonsum bis zu diesem Zeitpunkt lag (oder auch an der herannahenden
Erkältung…). Was aber schon jetzt erkennbar war: die Leute auf diesem Festival hatten nicht nur aufgrund der Sonne selbige im Herzen und Blick.
Einen kleinen Spaziergang später über das gemütliche Gelände, das natürlich am Nachmittag noch recht leer war, und einige frisch gepflückte Brombeeren im Bauch dann: LUISA aus Hamburg. Eine sehr sympathische Songwriterin, die ihre Stücke vor einem Publikum darbot, das man getrost als CSD in klein beschreiben kann. Mit ihrer rauchigen
Stimme irgendwo zwischen ALISON MOYET und TRACY CHAPMAN singt LUISA Lieder über das Leben, die Liebe und das langsame Erwachsenwerden, mal auf Englisch, mal auf Französisch. Zwischendrin bleibt ihr auch die Zeit, Teile des Publikums persönlich zu begrüßen und nette Geschichten einzuflechten. Tanzbar geht dann dieser Ausflug in die Welt der Singer/Songwriter-Kunst zu Ende und ich bin froh, endlich dem Haschischnebel entfliehen zu können, der sich im Nest breit macht, im Gegensatz zum Bühnennebel, der das Gebüsch rund herum zwar verschleiert, nicht aber die Künstler auf der Bühne selbst.
Auf dem Weg zurück zum Maschinenraum begegnen mir nicht nur die Bären-Proleten aus dem Bus wieder, sondern auch SAM auf der Hauptbühne, bei denen man sich fragt, was sie dort eigentlich tun, denn da war ja bei LUISA deutlich mehr los. Zudem muss das Publikum gleich mehrfach – und eher peinlich – zum Mitgrooven animiert werden. Im Maschinenraum
selbst dann REPTILE YOUTH. Aus Dänemark. Elektrorock mit Punkeinflüssen in schwarzer Gewandung, eine dennoch bunte Mischung aus DEPECHE MODE und DAFT PUNK darbietend. Sehr sympathische, publikumsnahe Band, manchmal Mainstream und dann doch wieder Indie. In jedem Falle rockt es ordentlich, und das Publikum macht begeistert mit, selbst wenn es sich während eines Songs mal in die andere Richtung drehen soll, wird weiter
gefeiert. So voll hätten sich´s sicherlich auch SAM vor ihrer Bühne gewünscht. REPTILE YOUTH: Partymusik in gut. Sollte man im Gedächtnis behalten.
Zwischen jeder Menge glitzernder Leute und einer ebensolchen von Männern in Frauenkleidern (hab ich da irgendeinen Trend mal wieder völlig verschlafen?) sowie den Gedanken darüber, welch neue Erfahrung doch so ein einsamer Festivalbesuch ist (mit allen Vor- und Nachteilen), bahne ich mir dann den Weg zu HAIM, die wieder auf der Großschot-Bühne zu sehen sind. Ein riesiges Banner prangt im Hintergrund, so dass man sich auch ja sicher sein kann, dass es wirklich HAIM sind, die da spielen.
Wer hätte gedacht, dass Folk so poppig-fluffig-schön sein kann? Einfach zuhören und fröhlich werden, selbst wenn man manches Mal an MELISSA ETHERIDGE oder schlimmere Popsünden der Vergangenheit gemahnt wird. Die Mädels verstehen es, ihrem zauberhaften Folkboden den Dünger der Popmusik so dezent beizumischen, dass es eine Freude ist. Hinzu kommen noch Trommeln, wie man sie seit „Bandits“ nicht mehr in solcher Perfektion gesehen und gehört hat. Die Damen aus LA machen Spaß und vieles richtig. Da darf man gespannt sein, was uns noch erwartet.
Die wohl peinlichste Bühnenshow des Abends liefert dann MØ ab, deren Performance die ganze Zeit zu schreien (und dies tut leider nicht nur die Performance, sondern allzu oft auch die Stimme…) scheint: „Ich wäre gern Maja Ivarsson!“ Leider bekommt sie es nicht hin. Die wenig sagende Popmusik hilft auch nicht dabei, mich zu begeistern.
Begeistern hingegen konnten mich wieder einmal BRATZE. Packende Show, geniales Set, phantastische Stimmung. Kevin Hamann und Norman Kolodziej verstehen es einfach, das Publikum für sich einzunehmen durch ihre sympathische, durchgeknallte Art. Und durchgeknallt ist auch wie immer das, was aus den Boxen schallt. Sogar FRITTENBUDE werden gecovert („Mindestens in 1000 Jahren“), was stürmisch honoriert wird. Vorne geht der Pogo ab, die Menschen stehen bis in den Eingang zum Vorschot und ich frage mich, ob ich der einzige bin, der so clever war, sich einfach am Rand bis nach vorne zu stehlen. Nein, war ich nicht, der junge Herr neben mir ist ebenso stolz auf diese Erkenntnis und den guten Platz. So schaffe ich es denn auch dieses Mal, ohne völlig durchgeschwitzt zu sein, aus der Horde der BRATZE-Fans heraus, wenn auch wie stets mit klingenden Ohren und den letzten Textzeilen im Kopf und auf der Zunge.
Den Abschluss des Freitags bilden für mich dann noch die großartigen LUMINEERS. Auftritte dieser Folkband haben ja immer etwas von einem Happening, und der Dockville-Auftritt der Kapelle aus Denver machte da keine Ausnahme. Ein einziges Fest voll von Akustikgitarren, bierseliger Stimmung und verträumten Songs der besonderen Note, perfekt getimed zwischen Abendrot und Nachtschwärze. Ein Setting also, wie es für die LUMINEERS kaum besser geschaffen sein könnte. So fand dieser erste Dockville-Tag für mich, der ich doch recht angezählt von einer anstrengenden Schulwoche war, ein ganz hervorragendes Ende. Und die Rückfahrt im leeren Shuttle war dann auch recht entspannend.
(jg) Ich kann mich Simons Einschätzung zu MØ nur anschließen. Versprach uns das Infoheftchen doch eine „beeindruckende Ausstrahlung“, fühlte ich mich eher an eine KYLIE MINOGUE für Arme erinnert. Hier versuchte jemand auf Teufel komm raus, sexy und lasziv rüberzukommen und schmiss sich in provokante Gesten zwischen Shirley Manson und Miley Cyrus. Schnell weiter! Nach einem kurzen Zwischenstopp bei den LUMINEERS (erfreulicherweise spielten sie ihren Hit „Ho hey“ entgegen allen Regeln des Marketings als erstes) machten wir bei RANGLEKLODS Halt. Theoretisch hätte der Mann aus Kopenhagen auch auf dem zwei Wochen später stattfindenden „Unten am Havn“-Festival auftreten können, das unter dem Motto „Copenhagen meets Hamburg“ erstmals am Hamburger Hafen ausgetragen wurde. Doch der gute Esben Andersen suchte sich als neue Wahlheimat ja lieber Berlin aus. Tja. Vielleicht wäre er für das „Unten am Havn“ auch bereits eine Nummer zu groß gewesen. Auf dem Dockville konnte der junge Mann mit der tiefen Stimme die Massen begeistern. Könnte auch Fans von DEPECHE MODE, SISTERS OF MERCY und JOY DIVISION gefallen. Vielleicht sogar SEEED.
Die FOALS hatte ich seit ihrem letzten Album und zwei der dazugehörigen Konzerte (einmal Markthalle, einmal Coachella-Festival) endgültig abgeschrieben. Dies ist umso bedauerlicher, weil das Debütalbum einen Platz in meinen ewigen Top Ten einnimmt und auch immer einnehmen wird. Doch seitdem ging es bergab. Auf „Total life forever“ wich das großartige Wechselspiel zwischen den Gitarren bereits einem vereinfachten Songwriting, während man den Fokus verstärkt auf den Gesang legte (der in meinen Augen bei den FOALS nie besonders gut war). Album Nummer drei, „Holy fire“, plätscherte schließlich ohne irgendeine Regung an mir vorbei, die Single „My number“ mal ausgenommen. Das Album habe ich inzwischen verschenkt, die Band auf dem Dockville nur deshalb noch mal angeguckt, weil meine Freunde gerne wollten. Und siehe da: entweder habe ich mich dem Gruppenzwang gebeugt, die Band kam zu später Stunde vor einem riesigen Publikum anders rüber als auf ihren letzten Konzerten, oder sie waren diesmal einfach besser. Plötzlich konnte auch ich mich für die ausufernden Gitarrensoli begeistern und der geschaffenen Atmosphäre hingeben. Oder das Bier war schuld. Wie auch immer: guter Auftritt!
Und jetzt ab nach Hause, schließlich standen uns noch zwei weitere Tage bevor!
Samstag:
(so) Ich kann ja so manchen Festivalgänger nicht verstehen, insbesondere, wenn man 90€ gezahlt hat. Wie kann man da erst immer um 19 Uhr anreisen und so eine ganze Menge verpassen? Wie zum Beispiel meinen persönlichen Dockville-Favoriten des Jahres 2013, die wunderbaren isländischen Mädels von PASCAL PINON. Um mich herum lauter Menschen, denen die vergangene Nacht als Roman ins Gesicht geschrieben stand, alles wirkt langsamer als am Vortag. Perfekt dazu passend die beiden niedlichen Damen, kaum der Schule entwachsen und schon auf großer Tour. Und das nicht zu unrecht, herrliche Akustikgitarrenmelancholie versucht, den Raum vor der Bühne des Vorschots zu füllen, kommt manchmal leider nicht gegen die derbe Elektronik von nebenan an, wieder mal ein Minuspunkt in Sachen Akustik auf dem Dockville. Währenddessen denkt man an TORI AMOS oder NOW, NOW, lauscht andächtig den „Letters in icelandic“ (um John K. Samson zu zitieren) und stellt fest, was für eine seltsam-tolle Sprache das doch ist. Als dann noch passend zur allgemeinen Stimmung Regen einsetzt, ist der perfekte Moment geschaffen. Wobei auf der Bühne gerade erzählt wurde, wie gut doch das Hamburger Wetter im Vergleich zu dem in Island sei. Als das letzte Lied in harmonischem Gesang ausklingt, schaut man den beiden jungen Frauen nur noch wehmütig hinterher und weiß schon zu diesem Zeitpunkt, dass an PASCAL PINON auf dem Dockville 2013 keine Band mehr herankommen wird.
Was dann leider 1a durch TRÜMMER bestätigt wird. Die Hamburger Poppunker werden schnell in die Schublade „Danke, kenn ich schon!“ gelegt und bieten nicht mehr als Möchtegernpunk mit dem nötigen Schuss Sonnenschein, damit es auch bitte nicht weh tut. Und so viel schöner als das ganze Debakel, wie sie behaupten, sind sie und ihre Musik auch nicht unbedingt. Wenn dann noch gefragt wird „Wo ist die Revolte?“ möchte man ihnen entgegenrufen: „Ihr seid sie jedenfalls nicht!“ Und ständig diese anbiedernden Ansagen in vor sich hergetragener Arroganz. Nein, das gefällt nicht. Weg hier. Mal sehen, was JAKÖNIGJA können. Zum Gähnen anregen. Gefühlt stehen zehn Leute vor der riesigen Bühne, dort, wo eigentlich die großartige KYLA LA GRANGE stehen sollte, die leider, leider kurzfristig absagen musste und sicherlich nicht nur mich um einen der Höhepunkte des Festivals brachte. Das Ersatzprogramm jedenfalls verdient sich nicht wirklich viele Bonuspunkte. Also zurück zum Vorschot, ARTHUR BEATRICE gucken. Gute Stimme, zu viel Mainstream, guter Pop, manchmal zu gebügelt und zu wenig individuell und auch zu wenig Interaktion.
THE BUILDING sehen aus wie die wiederbelebten EBMer der späten 80er Jahre und spielen etwas, das man vielleicht als Chillout-EBM beschreiben könnte. Sicherlich alles andere als eine Idealbesetzung für ein Open-Air-Festival bei strahlendem Sonnenschein, was auch die verhaltene Reaktion im Publikums bestätigt. Aber wenigstens der tanzende Stehdrummer hat Spaß an der Show. Vielleicht würde die ein oder andere Ansage auch mal etwas für Stimmung sorgen, man weiß es nicht.
Unglaublich viel los für die frühe Uhrzeit ist vorm Großschot und WHEN SAINTS GO MACHINE. Die Dänen bringen mit ihrer Rhythmik Bewegung in die Massen, erhalten jede Menge Applaus und wirken extrem professionell. Zwischendurch ist man fast an Breakbeat gemahnt, allerdings überwiegen doch mehr als deutlich die Rockanteile. Vielleicht Dancerock? Jedenfalls scheint es den Dockville-Besuchern sehr zu gefallen. Selbst den überall anzutreffenden Olaseikus.
Für die VIMES aus meiner rheinischen Heimat, die wir von den „für uns alte Herren gebauten“ weißen Stufen aus verfolgen, ist ebenfalls schnell eine Beschreibung gefunden: Nebenhermusik. Poppig wie die 80ies, natürlich mit leichtem Elektrohang. Allerdings ist´s vor der Bühne voll, was ich nicht wirklich verstehen kann, denn es handelt sich schlicht um 08/15-Popmusik, wie man sie durchaus schon kennt. Nix Neues, aber vielleicht macht gerade das es aus. Danach bricht dann leider doch meine aufbrausende Erkältung durch und ich bekomme gerade noch im Vorbeigehen KITTY, DAISY & LEWIS mit, zu denen mir nur Straßenfest auf dem Dorf einfällt. Positiv zu vermerken ist jedoch der Akustik-Kontrabass auf der Bühne. Mehr aber auch nicht.
Und das war es dann mit meinem ersten Dockville-Festival. Man sieht sich wieder zwischen Konsumzelten, Staub und Elbromantik. Im nächsten Jahr bestimmt noch mehr auf den weißen Stufen. Denn jünger wird man nicht. Ich schon gar nicht.
(jg) Nach einer kleinen Runde auf der anderen Seite des Geländes, waren wir oben auf der Brücke überrascht, wie viele Zuschauer die CRYSTAL FIGHTERS sehen wollten. Wahnsinn! Ein Menschenmeer! Das sah aber vor zwei Jahren noch anders aus. Dabei wollten wir doch nur weiter zu DOPE D.O.D. in den Maschinenraum. In der Annahme, dass dort entsprechend nur noch wenig los sein müsste, hatten wir uns getäuscht. Hier war die Begeisterung nicht weniger gut, und die HipHopper aus Groningen setzten alles dran, die Stimmung noch weiter anzuheizen. Dabei wurde ordentlich in die Trickkiste gegriffen und kein Prollo-HipHop-Klischee ausgelassen, aber wen wundert das bei Namen wie Dopey Rotten, Jay Reaper und Skits Vicious auch schon. Vermischt mit Dubstep, Jungle-Beats, fetten Gitarrenriffs und vor allem dicken Bässen zündete das Ganze wie eine Bombe.
Chilliger ging es hingegen bei MAC MILLER zu. Hier wurde vor allem auf die Fähigkeiten im Freestylen gesetzt, denn hier liegen die Stärken des HipHop-Überfliegers aus Pennsylvania. 2011 tauchte der junge Senkrechtstarter sogar in den Forbes-Listen auf – neben Stars wie ADELE, KATY PERRY und LADY GAGA platzierte er sich in den „Top 30 under 30“. Wer ihm beim Dockville zusah, konnte ahnen, warum.
Der Name LEMAITRE lässt zwar auf Franzosen schließen, tatsächlich kommt das gleichnamige Elektroduo, das live um eine dritte Person ergänzt wurde, aber aus Norwegen. Musikalisch liegt die Assoziation mit Frankreich jedoch viel näher: zum einen trifft es die Kategorie „French House“ ganz gut und zum anderen gibt es doch gewisse Ähnlichkeiten mit PHOENIX. Ein angenehmer Moment zum Innehalten, auch wenn ich das ganze Konzert lang überlegt habe, ob eine Live-Gitarre wirklich zu ihrem Sound passt.
Auf dem Weg zum Vorschot schauten wir noch kurz bei WOODKID vorbei, und ich war ein wenig hin- und hergerissen, ob wir nicht bleiben sollten. Die tiefe Stimme von Yoann Lemoine ist wirklich beeindruckend, und die Melodramatik in seinen Songs nicht weniger zu verachten. Allerdings bin ich kein Fan von aus Showgründen hochgestellten Bass Drums (das gefiel mir vielleicht noch in den Neunzigern bei AC/DC…), und die an die Wand projizierte überdimensionale Kirchenorgel sorgt zusammen mit der Aufstellung der Musiker doch für ein wenig zu viel Pathos.
Im Gegensatz zu WOODKID passierte uns bei TOTALLY ENORMOUS EXTINCT DINOSAURS hingegen zu wenig auf der Bühne. Wenn man schon die zweitgrößte Bühne des Festivals für sich beanspruchen kann, ist ein optisch gefühltes DJ-Set plus Lightshow doch ein bisschen wenig. Da hielt uns auch nicht mehr viel bei dem jungen Dance-DJ aus Oxford, und wir stürzten uns in die Nacht und zu den übrigen Plattenauflegern.
Sonntag:
Der Sonntag begann mit Regen, und entsprechend fühlten wir uns auch. Die Nacht gestern war lang – das Fatale an einem Mischgetränk aus Wodka und starkkoffeinhaltiger Partybrause ist nicht nur, dass man den Alkohol kaum schmeckt, sondern auch, dass es einen lange wach hält. Der Blick ins Portemonnaie ließ einen da auch nicht gerade besser fühlen.
Na, komm, den Schauer warten wir noch ab, dann gehen wir aber wirklich los. Selbst die Überlegung, sich beim Dönermann mit einer Portion Kohlenhydrate zu stärken, schlug fehl. „Sorry, wir hatten gerade Stromausfall. Aber wenn ihr kurz wartet: der Elektriker ist schon unterwegs.“ An manchen Tagen passt einfach alles zusammen.
XUL SOLAR leider verpasst, los ging es dann also mit MISS LI, und das war schon allein optisch sehr eindrucksvoll an einem doch etwas grauen Tag. Spielte die Dame aus Schweden vor zwei Jahren doch noch in der kleinen muckeligen Hanseplatte, dem Plattenladen neben dem Knust, durfte man heute die größte Bühne des Dockville nutzen. Und tat es auch. Als Backdrop nutzte man einfach ein riesiges rotes Tuch, die übrigen Musiker sahen aus wie Hippies aus der Neuzeit. Faszinierend. Bunte Kostüme, ausgefallene Instrumente, Miss Li selbst im schwarz-weiß-karierten Zelt. Musikalisch war mir das alles einen Tick zu fröhlich, aber es lockerte den Tag auf, und die Sonne schien außerdem.
Das Backdrop von AUSTRA war nicht weniger farbenfroh, „The beat and the pulse“ ein großartiger Song. Aber die Band wirkte auf mich doch ein bisschen zu sehr nach „schaut mal wie extravagant wir doch sind!“ Dafür bin ich zu wenig Hipster.
Über DEN SORTE SKOLE versprach das Festivalheftchen nicht weniger als „die größtmögliche musikalische Reise“ und „Tracks von 1920 bis 1980 werden zur Musik von heute und morgen“. Wie soll das denn gehen? Es ging! Journalistisch kann man den Sound der beiden Kopenhagener DJs kaum in Worte fassen. Hier gibt es nichts, was nicht verwendet wird – von Soul bis schwieriger Jazz landete alles auf dem Plattenteller, und das klang trotzdem nicht bunt zusammengewürfelt, sondern in sich stimmig. Meine persönliche Überraschung am Sonntag.
Was die Zuschauermenge betraf, hatte man den Eindruck, dass am Sonntag alle CHVRCHES sehen wollten. Mein persönlicher Sommerhit ist ja nicht DAFTPUNKs „Get lucky“, und selbst HELGE SCHNEIDER konnte mit „Sommer, Sonne, Kaktus“ nicht CHVRCHES´ „Recover“ in die Ränge weisen. Vielleicht liegt das Infoheftchen auch hier wieder nicht ganz falsch, wenn es vermutet, dass das Besondere an ihrer Musik die gleichzeitige Traurigkeit und Euphorie ist. Und die tolle Stimme von Sängerin Lauren Mayberry, die live genauso gut klingt wie auf Platte. Was aber kaum einer weiß: Iain Cook, der Mann an den Synthies zur Linken, spielte zuvor in einer nicht weniger bekannten, musikalisch aber komplett anderen Band: AEREOGRAMME. Ein sympathischer Auftritt, zumal die Band immer sehr zurückhaltend wirkt.
Weil während CHVRCHES bereits sehr bedrohlich aussehende Wolken aufzogen und nichts Gutes verhießen, mussten DJ KOTZE und POLICA leider auf meine Anwesenheit verzichten. Und diese Entscheidung sollte sich im Shuttle-Bus zur S-Bahn als goldrichtig herausstellen. Wobei man sagen muss, dass man aus der Vergangenheit wettertechnisch ja schon viel Schlimmeres gewohnt ist. Auch wenn in diesem Jahr keine Band dabei war, die mich vollkommen vom Hocker hauen konnte, bin ich mir sicher, dass wir dem Festival auch in den nächsten Jahren die Treue halten werden. Bleibt nur zu hoffen, dass die Hamburger Kulturbehörden das genauso sehen.