Wenn es schon soweit ist, dass nach der Tagesschau ein Brennpunkt übers Wetter gesendet wird, kann man nur noch schwer vermeiden, selbst drüber zu reden. Und je mehr man drüber redet, desto stärker erscheint der Schweiß, der einem bei der geringsten körperlichen Tätigkeit aus unsichtbaren Leibesöffnungen tritt, wichtiger als das Öl, das seit Monaten aus dem Meeresboden vom Golf vom Mexiko strömt. Wichtigstes Diskussionsthema am WG-Küchentisch: Mit welchen Praktiken lässt sich die „Hitzewelle über Deutschland“ am besten überstehen? (Warum redet eigentlich niemand darüber, das Ganze endlich mal besser in Griff zu bekommen? So ein künstlicher Schneesturm, wie ihn die Chinesen kürzlich produziert haben, wäre bei 35 Grad Hitze doch mal eine angemessene Intervention…) Die meisten Vorschläge bleiben aber beim Klassischen: Schwimmbad, Badesee, nicht mehr bewegen. Der kühn vorgetragene Vorschlag, den Klimawandel auf einem Festival, mit mehreren tausend anderen in der prallen Sonne, mitzuerleben, scheint zunächst nicht so weit vorne zu sein. Was aber, wenn direkt auf dem Festivalgelände, weniger als 200 Meter von den Bühnen entfernt, ein Badesee liegen würde? Die Idee ist gut und die Welt sogar schon bereit. Einziges Manko: Der Weg ist weit, denn das Ganze liegt in der Pampa. (Sorry, aber diese vorherzusehende Redewendung musste einfach irgendwo eingebaut werden.) 600 Kilometer von Hamburg, 300 von Berlin, direkt an der polnischen Grenze bei Görlitz ist der Badespaß angerichtet. Und die hohen Erwartungen werden bei Ankunft als erfüllt angesehen: Der See auf dem Festivalgelände ist zwar so trüb, dass man schon ab etwa einem halben Meter Wassertiefe den Grund (und die eigenen Gliedmaßen) nicht mehr sehen kann. Dabei ist er aber tief genug, um den zum Abkühlen nötigen Temperaturunterschied zwischen Wasser und Luft eindeutig zu erreichen. Und vor allem: Eine der drei Bühnen ist sogar nur einige Meter (!!!) vom See entfernt aufgebaut (heißt deshalb auch Seebühne), so dass man aus dem Wasser Konzerte quasi von „backstage“ erleben kann! Die wesentlichen körperlichen Grundbedürfnisse sind also gedeckt und die beschwerliche Reise scheint sich schon jetzt gelohnt zu haben, jetzt muss nur noch der kulturelle Überbau stimmen, vor allem die Sache mit der Musik… (sü)
Die FLANSCHIES fielen leider den Planschies zum Opfer, da nach dem Zeltaufbau in sengender Hitze noch eine Abkühlung drin sein musste, bevor es auf dem Festivalplatz losging. EARTHBEND eröffneten auf der Hauptbühne. Zeigte Holger sich von ihrem letzten Album „Harmonia“ sehr begeistert, öffneten sie die Rock-Schublade für meinen Geschmack doch ein Stück zu weit. Auf AUCAN aus Italien war ich zwar wahnsinnig gespannt, aber sie mussten ihren Auftritt auf dem La Pampa aus gesundheitlichen Gründen leider absagen. Aber für einen Ersatz war gesorgt. Spontan konnten YACHT aus Portland, Oregon verpflichtet werden, die die versammelte Menge im Zelt innerhalb von Sekunden zurück in die Achtziger versetzten. Fiepsiger und knarziger Synthie-Pop, mit simplen Beats und poppigen Hooklines. Mehr bedarf es nicht. (jg)
Am Abend konnten die Headliner TOCOTRONIC gewohnt mit pathetischen und gleichzeitig unglaublich sympathischen Ansagen und Gesten von Dirk von Lowtzow punkten, was durch ein ganzes Bombardement mit Kuscheltieren beantwortet wurde, die dann von den Jungs wie auf einer Tagesdecke im Ikea-Jugendzimmer ordentlich auf den Gitarren-Amps drapiert wurden und onstage zuschauen durften. Auch wenn der Charme von TOCOTRONIC zumindest in den ersten Jahren ja vor allem auch im offensiven Umgang mit dem eigenen Dilettantismus lang, fand ich es doch ganz angenehm, nicht mehr ganz so viele schiefe Töne in Dirks Gesang zu hören wie gewohnt. Interessant auch die für mich neue Eigeninterpretation des Stücks „Verschwör dich gegen dich“, das eingeleitet wurde mit den Worten: „Das nächste Stück ist für alle Trans- und Intersexuellen“.
WHO MADE WHO im Anschluss habe ich zum ersten Mal live gesehen. Und da ich den Hype um deren aktuelle Platte nie ganz nachvollziehen konnte, weil das aus meiner Anlage immer so elektronisch dahingeplätschert ist, war ich positiv überrascht, als insbesondere der (Gitarren-)Bass (und mit ihm der Bassist) auf der Bühne ziemlich abgerockt und einen enormen Rhythmus in die tausenden Beine vor der Bühne gebracht hat. Danach habe ich das Album nochmal neu gehört und fand es gleich viel besser…
WHO MADE WHO waren auch die perfekte Überleitung zur Tanzsause im großen Zelt, bei der unter dem Namen „Mashpit“ eine sehr angenehme und tanzbare Mischung aus Indie und Elektro geboten wurde, so dass der Grasboden im Zelt enorm leiden musste. Der Weg zurück zu Isomatte und Schlafsack im Bereich „leiser zelten“ war nach den verschiedenen Alkoholika, die wir in den letzten 8 bis 9 Stunden konsumiert hatten, zwar dann doch ganz schön weit. Dafür war der Freitagabend mit der Ankunft am Zelt dann auch wirklich beendet, was im Bereich „lauter zelten“, der quasi direkt um die Seebühne herum gebaut war, definitiv nicht der Fall gewesen wäre, da dort noch bis tief in die Nacht Bands auftraten. (sü)
Tag 2 begann nicht weniger heiß als der vorherige Tag. War für uns gestern noch klar, dass wir den Sektkühler heute wieder mit Eis und einer neuen Flasche Sekt auffüllen müssten, waren wir nun selbst dafür zu träge. Alles was drin war, war eine kurze Visite im 500m entfernten Polen und… planschen! An dieser Stelle übrigens ein Danke an Christian, der sich gestern vehement dafür einsetzte, dass wir unsere Zelte zwischen die anderen Behausungen quetschten, obwohl drei Viertel der Wiese noch frei waren. So hatten wir heute bis zehn Uhr Schatten. Ein Segen!
Es folgte ein Rundgang um den „lauter zelten“-See und ein kurzer Stopp bei PETULA, der kürzlich noch bei KATE MOSH mitspielte und nachmittags mit seiner zweiten Band SDNMT ins Zelt lud.
SCHWEINEMASCHINEN wollten Inga und ich uns eigentlich ansehen, weil wir bei dem Namen an die verrückten SCHWEINHUND aus Finnland erinnert wurden. Aber wie gestern fehlte die erste Zeltband des Tages, sie wurde heute allerdings auch nicht ersetzt. So begannen P:HON aus Dresden mit zarten Postrock-Klängen auf der Hauptbühne… (jg)
KATZE waren leider so, wie man sich eine Band mit diesem Namen schlimmstenfalls vorstellt. Ich habe ja nicht prinzipiell was gegen fröhliche Menschen. Und ich mag sogar KARPATENHUND. Aber die Kombination aus übersteigerter Fröhlichkeit, extremem Mitteilungsbedürfnis über die eigenen seelischen Vorgänge und kindlicher Überdrehtheit, aufgeführt auf einer Festival-Bühne, geht mir dann doch zu weit. Und warum der Sänger, dessen Stimme bei den vielen peinlichen Ansagen eigentlich recht normal klang, beim Singen in eine Kinder-Säuselstimme wechseln musste, die dann ziemlich nach Katzenjammer klang, habe ich auch nicht verstanden.
YUCCA dagegen waren für mich eine der absoluten Neuentdeckungen: Ich hatte bis dato nur mal kurz im Tourbus in die erste Platte der Nürnberger reingehört und fand das schon ziemlich gut. Aber nach dem Konzert war ich so begeistert, dass ich mich sogar zu klassischen Fan-Praktiken hinreißen ließ (so mit T-Shirt kaufen und gleich anziehen und so). Trotz praller Nachmittags-Sonne bei gefühlten 50 Grad schafften es die fünf Jungs in den weißen Shirts, einen erstaunlich großen Teil der zwei- bis dreihundert, die es geschafft hatten, sich von ihrem Handtuch am See loszureißen, zum Tanzen zu bringen. Da die Veranstalter passend dazu eine Sprinkleranlage schräg links vor der Bühne einschalteten, wurde das Ganze bald zum Schlammtanz, der zwar unschöne Erinnerungen an Woodstock-Videos ins Gedächtnis rief, aber trotzdem geil war. (Kann man nur beurteilen, wenn man da war… wie bei Woodstock halt…) Das konnte dann auch nicht mehr dadurch geschmälert werden, dass die fünf Boys mir irgendwie zu glatt aussahen und mich outfitmäßig ein bisschen an die POLARKREIS 18-Jungs erinnerten. (sü)
Auf YUCCA folgten auf der Hauptbühne TRIP FONTAINE, und tatsächlich konnten die Berliner die bereits sehr hoch gelegte Messlatte der Nürnberger ohne Probleme halten. Wobei ich bezweifle, dass TRIP FONTAINE jemals einen schlechten Auftritt hatten. Die Jungs sind einfach wahnsinnig gut aufeinander eingespielt, und wo ich froh wäre, wenn ich mein Instrument nur halb so gut beherrschen könnte, wechseln die fünf zwischen ihren Positionen hin und her, als ob es nichts Leichteres gäbe. Auch die neuen Songs kamen super an und ließen bereits die Vorfreude auf ihr nächstes Album wachsen, das demnächst auf Zeitstrafe erscheinen wird.
Im Zelt gab es schließlich mit SDNMT alte Bekannte zu sehen, die inzwischen fast zehn Jahre auf dem Buckel haben. Sage hier noch mal einer, Post-Rock sei tot. Ich habe sogar den Eindruck, dass die Berliner immer besser werden. Dass die Songs um Gesang ergänzt wurden, trägt sicherlich dazu bei, aber auch das Schlagzeug ist im Laufe der Zeit abwechslungsreicher geworden. Hat mir gefallen!
GIARDINI DI MIRÓ passten im Anschluss daran genauso gut wie TRIP FONTAINE auf YUCCA, und auch hier schwang ein wenig Nostalgie mit. Ich weiß nicht mehr, vor wie vielen Jahren ich auf die Italiener aufmerksam wurde – Grund war jedenfalls das rührend süße Video zu „Pet life saver“, das ebenfalls schon fast zehn Jahre zurückliegt. Schöne Musik, die perfekt in die einsetzende Abenddämmerung passte! (jg)
Nach der Melancholie-Strecke mit SDMT und GIARDINI DI MIRÓ dachte ich schon, ich wäre Monate zurückgeworfen in der Verarbeitung einer verlorenen Liebe, aber zum Glück war dann erstmal Schluss mit Postrock. HUNDREDS waren für mich die zweite absolute Neuentdeckung beim La Pampa. Zwar nicht weniger melancholisch, aber mit hinreißendem weiblichen Gesang und sehr angenehmen, ruhigen und schönen Beats, die immer wieder zum verträumten Sich-im-Sound-Wiegen animierten, gelegentlich sogar ein paar behutsame Tanzschritte hervorbrachten. Das Duo aus Hamburg kam dabei so unglaublich sympathisch rüber, dass ich mich kurz dabei beobachtete, verliebte Blicke zur Bühne zu schicken.
Nach GET WELL SOON, zu denen man nichts weiter schreiben braucht, weil sie weder gut noch schlecht, sondern einfach pathetisch und langweilig waren, ging´s dann richtig zur Sache: Die zwei Hamburger CLICKCLICKDECKER und DER TANTE RENATE alias BRATZE enterten die Bühne und brachten das große Zelt schon beim ersten Song im wahrsten Sinne des Wortes zum Kochen: Sauna-Tanzen! Da blieb kein Bein mehr am Boden und kein T-Shirt mehr trocken, es wurde einfach abgeliefert, und zwar von allen! Selten habe ich bei einem Konzert auf einem Festival so wenige Menschen gesehen, die NICHT getanzt haben. Einer von denen war glaube ich Jens…
Leider war das DJ-Set des zweiten Abends hinter dem Namen „Fucking Pop“ dann nur so mittel, so dass hier tanzmäßig nicht mehr viel zu holen war, aber dank BRATZE waren meine Beine da auch schon deutlich in ihren Möglichkeiten eingeschränkt… (sü)