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Kurz & schmerzlos (Oktober – Dezember 2024) – CD-Besprechungen in aller Kürze

„Es geht immer noch schlimmer.“ Dieser Satz hat sich mir insbesondere in den letzten fünf Jahren eingeprägt und kam mir in diesen fünf Jahren immer wieder in den Sinn. Denn sie haben gezeigt: Es geht tatsächlich immer noch schlimmer. Wobei die Hoffnung sein sollte, dass irgendwann auch einmal das Ende dieser Fahnenstange erreicht werden kann und wird. Die Hoffnung sollte sein, dass dieser Punkt genau jetzt ist. Denn wenn es jetzt immer noch schlimmer geht, dann wird es endlich: Richtig, richtig schlimm. Zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg haben vermeintlich demokratische Kräfte sich mit den Rechtsextremen verbündet, um sinnfreie Anträge im Bundestag durchzusetzen, deren Effekt – außerhalb von Populismus, natürlich – direkt wieder verpuffen wird. Unglaublich und eine Zäsur sondergleichen.
Bei uns in der Schule gibt es Schüler:innen mit Migrationsgeschichte, die sich wünschen, dass die AfD gewinnen möge, „damit wir endlich in die Türkei zurückkehren, denn da will ich leben.“ Achtklässler. Unglaublich.
Privat gibt’s auch einen Schlag nach dem anderen, das berühmte: „Die Einschläge kommen näher.“ Auch so ein Satz wie „Es geht immer noch schlimmer.“ Statt wie sonst einen halbwegs amüsanten Schwank hierher zu schreiben, möchte ich dieses Mal mit einer Bitte an euch alle enden:
Lasst uns bei der Bundestagswahl wenigstens dafür sorgen, dass es nochmal besser wird. Für uns alle. Für die Demokratie. Danke.
Ach ja. Hier sind unsere kurz&schmerzlos. Dieses Mal sind es viele. So wie wir. Wir sind mehr. Hoffentlich.

A DEER A HORSE – Texas math (Label: Rookie Records, VÖ: 27.09.2024)
(bc) Nanu, eine Alternative-Band auf Rookie Records?! Das gibt es nicht alle Tage. In diesem Fall hat sich das Label A DEER A HORSE aus Brooklyn geangelt, die mit „Texas math“ ihre zweite LP abliefern. Ziemlich hibbeliger, stellenweise auch vertrackter Sound, den man irgendwo zwischen den MELVINS, SONIC YOUTH und DINOSAUR JR einsortieren kann. Könnte ich mir live sehr gut auf der MS Stubnitz vorstellen.
https://adeerahorse.bandcamp.com

ARIELLE BESSON | SEBASTIAN STERNAL | JONAS BURKWINKEL – Surprise! (Label: Papillon Jaune, VÖ: 13.12.2024)
(jg) Auf diesem Album treffen drei Musiker/innen zusammen, die sich auf der Bühne zwar schon mehrmals begegnet sind, nun aber erstmals gemeinsam neue Musik schaffen. Modern Jazz mit Trompete, Piano und Drums, der angenehm leichtfüßig daherkommt, aber trotzdem keineswegs belanglos wirkt. Stattdessen zeigt die gemeinsame Musik auf, wie sich der Jazz im Laufe der Jahre weiterentwickelt und aus seinem steifen Korsett befreit hat, zugleich aber Jazzfans der alten Schule begeistern dürfte.
https://www.airellebesson.com/

BLUG, GRANFELT & ENGELIEN – Strat-o-sphere (Label: A1 Records, VÖ: 08.11.2024)
(jg) Wahrscheinlich ist dies eher dem Zufall geschuldet, aber in meinen Augen passen BLUG, GRANFELT & ENGELIEN hervorragend zu A1 Records, denn welche Musik eignet sich besser dazu, wenn man mit seinem Truck aus dem Saarland bis nach Heiligenhafen hoch muss? Die Musik ist unspektakuläre, aber gut gemachte Rockmusik mit massig Gitarrensoli für Fans von GENESIS, PETER GABRIEL und KING CRIMSON. Im zweiten Song erinnert mich das Ganze sogar an die FOO FIGHTERS. Dass die hier beteiligten Musiker bereits zusammen mit Bands wie WISHBONE ASH, LENINGRAD COWBOYS, SEAL und AXXIS auf der Bühne standen, unterstreicht wahrscheinlich ihr Know-How.
https://www.facebook.com/bengranfeltband

BRIDGE CITY SINNERS – In the age of doubt (Label: Flail Records, VÖ: 12.07.2024)
(bc) BRIDGE CITY SINNERS stammen aus Portland, Oregon und spielen vom Punk beeinflussten Folk und Bluegrass. Kennt man in ähnlicher Form bereits von Bands wie DAYS N‘ DAZE oder den RAIL YARD GHOSTS, wobei „In the age of doubt“ auf mich weniger anarchistisch als erstere und etwas melancholischer angehaucht als letztere erscheint. Gut gefällt mir auch die variable Stimme der Sängerin, welche Songs wie „Break the chain“ oder „Shame“ den letzten Schliff verleiht.
https://www.bridgecitysinners.com

CAFÉ TÜRK – Dogu Ekspresi (Label: Eigenregie, VÖ: 15.12.2024)
(so) Sehr lange gibt es diese Musik schon. Denn CAFÉ TÜRK musste erst wiederbelebt werden (und zwar auf dem technischen Wege), um das Licht der Welt erneut zu erblicken. Quasi eine Wiedergeburt. Metin Demiral gilt als derjenige, der den ersten türkischen Rap-Track geschrieben hat. Und die erfolgreichste türkische Nachwuchsband Europas geleitet hat. Deren Musik dann allerdings in der Versenkung verschwand und nur im Untergrund auf illegalen Tapes gehandelt wurde. Nun also ist mit „Dogu Ekspresi“ eine legale Version dieser Mixtur aus türkischer Folklore, HipHop und Electro erschienen und wird bestimmt ihre Freund:innen finden.
https://cafeturk.bandcamp.com/album/dogu-ekspresi

CAROLINA LEE – It’s still now (Label: Marzipan Records, VÖ: 29.11.2024)
(so) Richtig schöner, zurückhaltender Dream Pop aus Berlin spült sanft an die Strände unseres Gehörs. CAROLINA LEE, das Quartett aus der Hauptstadt, bezaubert auf „It’s still now“ durch getragen, aber nie langweilig konstruierte Songs und bleibt insbesondere durch die besondere Stimme von Sängerin Nadja im Gedächtnis, die deutlich aus der Masse hervorsticht und an ALISON MOYET erinnert. Ein schöner Querschnitt aus 70er Folk und späterem Dream Pop. Gelungenes Werk.
https://carolinaleeband.bandcamp.com/album/its-still-now

CASPAR BRÖTZMANN BASS TOTEM – The lovers and destroyers (Label: Exile On Mainstream Records, VÖ: 11.10.2024)
(jg) Huih, was ist das denn? Ein 31minütiges Solo-Album auf einer Bassgitarre? Der Name Caspar Brötzmann war mir zwar auch zuvor schon ein Begriff, allerdings nur als recht lärmige Noise-Avantgarde-Band unter dem Namen CASPAR BRÖTZMANN MASSAKER. Hier nun also sein Solowerk als Bassist, das recht düster, aber erfreulicherweise nicht frickelig daherkommt. Laut Info benennen Thurston Moore (SONIC YOUTH), Aaron Turner (ISIS), Buzz Osbourne (MELVINS) und weitere namhafte Musiker Caspar Brötzmann als wichtigen Einfluss. Ich glaube, die Reichweite des gebürtigen Wuppertales hatte ich bislang ein wenig unterschätzt. Das Album findet Ihr ausschließlich als limitiertes Vinyl mit beiliegender CD plus Litho-Kunstdruck unter:
https://shop.mainstreamrecords.de/product/eom112

CONNY OCHS – Troubadour (Label: Exile on Mainstream, VÖ: 25.10.2024)
(so) Jubiläum! Es ist das zehnte Album, das CONNY OCHS mit „Troubadour“ auf den Markt wirft. Und das merkt man so ziemlich an jeder Stelle dieses Albums. CONNY OCHS ist abgezockt, erfahren und sicher in dem, was er tut. Und das, was er tut, tut er gut. Wieder legt er Wert darauf, dass die Songs mit möglichst wenig Aufwand zu spielen sind, er sie von jetzt auf gleich performen kann, denn Konzerte sind für ihn das A und O. Das hört man den Stücken auch an, die man sich auf kleinen wie großen Bühnen gleichermaßen vorstellen kann. Freunde von ELLIOTT SMITH oder LEONARD COHEN werden hier leuchtende Augen bekommen.
https://connyochs.bandcamp.com/album/troubadour

DAS FORMAT – s/t (Label: Paula Paula Platten, VÖ: 22.11.2024)
(jg) Mit ungewöhnlichen musikalischen Formaten kann ich ja durchaus etwas anfangen. Das merke ich oft daran, wenn mir Musik mit exotischen Genres zum Reviewen zugeschoben wird. Insofern gelangten auch DAS FORMAT aus Augsburg zu mir, denn so wirklich passen sie in keine Schublade. Stoner Rock, Postpunk, Indie, Noise, Fuzz, NDW und selbst Industrial werden hier durch den Mixer gejagt und neu zusammengebastelt. Ein wenig DIE ARBEIT, etwas DIE NERVEN und deren unzähligen Nebenprojekte, auch MINISTRY, falls die noch jemand kennt. Wenn sie nicht gerade mit DAS FORMAT aktiv sind, agieren die Bandmitglieder als Filmkomponist, Produzent und in diversen anderen Bands, was vielleicht auch die stilistische Vielfalt auf diesem Debüt erklärt. In „Therapiestunden“ unterbricht die CD leider, so dass mir die letzten zweieinhalb Songs fehlen. Vermutlich ein Pressfehler. Wobei man sich bei den Augsburgern selbst dies als Konzept vorstellen könnte. Quasi das Scheitern als Chance nutzen.
https://dasformat.bandcamp.com/

DAYDREAM THREE – Stop making noise (Eigenregie, VÖ: 08.11.2024)
(jg) Was hat man von einer Platte zu erwarten, die sich „Stop making noise“ nennt? Dream Pop? Yacht-Rock? Deutschrap? Weder noch. Tatsächlich klingt dieses Album sehr nach 90s Indie und nach den Anfängen von Bands wie THE NOTWIST, ATOMBOMBPOCKETKNIFE, SMASHING PUMPKINS, BluNoise Records und ähnlichen Sachen. Zu dem Titel kommt sie eher, weil Enzo Pepi, der Kopf hinter diesem Soloprojekt, zuvor in der sizilianischen Post-Rock/Noise-Szene verankert war. Alles sehr rustikal, angenehm schief und vollkommen untypisch für die jetzige Zeit. Das Ergebnis einer zweitägigen Liveaufnahme. Schön, so etwas mal wieder zu hören.
https://daydream3.bandcamp.com/

FLEUR – Fille sauvage (Label: Soundflat, VÖ: 08.11.2024)
(so) Man ist absolut gewillt, „WILD THING!“ zu brüllen, sobald „Fille sauvage“, das neue Album von FLEUR beginnt, denn dieser Anfang lässt nur diesen Schluss zu. So richtig verwundert das nicht, ist FLEUR doch eine Ikone der 60er, und die Niederländerin bringt uns mit „Fille sauvage“ nun ihr neuestes Werk und sich selbst wieder ins Gespräch. Musikalisch passt das auch als Untermalung für „Fear and Loathing in Las Vegas“. Es ist einfach typische 60er Jahre Musik (wobei ich YéYé erst einmal googlen musste), die jetzt gerade wieder in wird und die FLEUR natürlich bis aufs Äußerste beherrscht.
https://yeyefleur.bandcamp.com

FLORIAN PAUL & DIE KAPELLE DER LETZTEN HOFFNUNG – Alles wird besser (Label: Blaue Katze Records, VÖ: 01.11.2024)
(so) Zunächst einmal ein großes Lob für den Bandnamen. FLORIAN PAUL muss natürlich melancholisch bleiben, aber dieses Album ist fast schon positiv zu nennen. Mit seiner angenehmen Mischung aus Pop, Jazz und Folkelementen, hinzu die im Gedächtnis bleibende Stimme, kann er durchaus überzeugen. Seine Texte sind nicht von Plattitüden durchwachsen, sondern kommen immer auf den Punkt, sind dabei aber dennoch lyrisch hochwertig. Das ist Pop, so viel ist klar. Aber dass Pop auch schön sein kann, wissen wir zwar nicht erst seit FLORIAN PAUL, aber er überzeugt uns ein weiteres Mal davon.
https://www.florian-paul.de

FRANZISKA GÜNTHER – Sobald die Sonne scheint (Label: Eigenregie, VÖ: 25.10.2024)
(so) Okay, ich muss es so hart sagen: Kennt man. Ob nun INA MÜLLER aus Norddeutschland oder die diversen Berliner Diven: Das kennt man, was FRANZISKA GÜNTHER hier macht. Und da kann sie noch so viel vom Berliner Kiez und großen Reisen, von Vergangenem und Hoffnung singen, es bleibt dabei: Kennt man. Es gibt wenig, was FRANZISKA GÜNTHER auszeichnet und besonders macht. Das, was sie macht, macht sie gut, und das wird auch sicherlich Freund:innen finden, aber sie sticht aus der Masse nicht heraus. Und das ist schade, denn in dieser Stimme steckt mehr als das. Glaube ich.
https://www.youtube.com/c/FranziskaGünther/videos

GESANGSKAPELLE HERMANN – Sehr sogar (Label: OMdrom Music, VÖ: 13.09.2024)
(so) Ich wusste gar nicht, dass man sich A-Capella-Kapelle nennen darf, wenn man doch Instrumente im Hintergrund hat – und davon nicht zu wenig. Die Österreicher von GESANGSKAPELLE HERMANN klingen so, wie A-Capella-Bands halt so klingen, besonders macht sie der Wiener Schmäh, und die Texte sind durchaus auch immer mal wieder richtig lustig. Hier zeigen sie, dass Gedichte nicht immer langweilig sein müssen, liebe Schüler:innen! Für mich persönlich reicht es nicht an meine speziellen vergleichbaren Helden WISE GUYS oder auch PHRASENMÄHER heran, aber hörbar ist das auf jeden Fall, besonders dann, wenn sie sich in Richtung HipHop begeben.
https://gesangskapellehermann.bandcamp.com

HELLUVAH – Fire architecture (Label: Dead Bees, VÖ: 25.10.2024)
(jg) Was haben DAYDREAM THREE (siehe oben) und HELLUVAH gemeinsam? Beide sind irgendwo im 90s Indie verhaftet, wo alles noch etwas spröde und nicht so glatt produziert klang, wie man es von heutigen Produktionen kennt. Allerdings würde ich die Musik von HELLUVAH eher mit den ersten Platten von PJ HARVEY, PORRIDGE RADIO und MASONNE vergleichen. Ungewöhnliche Songstrukturen treffen auf den markanten Gesang von Camille W., dem Kopf hinter diesem Projekt. Eher minimalistisch, ab und an dissonant, aber durchaus hörenswert und mit versteckten Melodien, die sich nicht gleich beim ersten Hördurchgang erschließen.
https://helluvahmusic.bandcamp.com

JULIEN DAIAN – Suppose it is butter (Label: Antipodes Music Productions, VÖ: 29.11.2024)
(so) Also, nach dem ersten Track habe ich schon genug. Denn dieser Jazz wird mich einfach nie mehr kriegen, da fehlt mir der musikalische Intellekt. Und dieses nervige Saxophon immer, wer hat eigentlich gesagt, dass das ein cooles Instrument sei? Okay, bei BRUCE SPRINGSTEEN lasse ich mir das gefallen, aber darüber hinaus: Fott damit. Somit hat der gute JULIEN DAIAN (und er ist bestimmt ein guter Jazz-Musiker, unbenommen) einfach keine Chance bei mir und wird zur Seite gelegt. Jazzfreund:innen dürfen sich hier gerne austoben. Ich tobe nicht.
juliendaianquintet.bandcamp.com

LAST EON – Wooden bodies (Eigenvertrieb, VÖ: 22.11.2024)
(bc) Irgendwo zwischen Indie, Dream Pop und Shoegaze bewegen sich LAST EON. Ausschweifende, verträumte Melodielandschaften, die im Fall von „Old tune (Albert)“ auch schon mal in einem über neunminütigem Instrumental-Stück enden. Dass sich die Italiener für diese 5-Track-CD offenbar das „Wald & Bäume“ als Oberthema ausgesucht haben und einige Songs Titel wie „Stepping on the fallen leaves“ oder „Our favorite forests“ tragen, passt in diesem Fall wie die Faust aufs Auge, denn der Herbst scheint mir die ideale Jahreszeit für diese Art von Musik zu sein.
https://lasteon.bandcamp.com

LAZY DAY – Open the door (Label: Brace Yourself, VÖ: 08.11.2024)
(so) Sanfter, leicht jazziger Pop – oder auch einfach Dream Pop? – ist das, was uns hier geboten wird. Nach einigen Jahren der Stille um LAZY DAY gibt es nun neues Futter für den Kopfhörer an sonnigen Tagen. Interessant an diesem Album ist erneut der besondere Gesang, der nicht immer auf Genauigkeit, dafür aber auf jede Menge Gefühl Wert legt. So lässt man sich von den Wellen der Harmonien durch die Songs tragen und landet schneller als gedacht schon am Ende dieses durchaus gelungenen Werkes.
lazydaylazyday.bandcamp.com

LENNART ALLKEMPER – Awakening (Label: Jazzline, VÖ: 25.10.2024)
(jg) Ein Mitglied aus dem Bundesjazzorchester, das mit verschiedenen Orchestern bereits zahlreiche Preise abgeräumt hat. Erfreulicherweise klingt das Debütalbum des Saxophonisten nicht im Ansatz akademisch, sondern ziemlich entspannt. Und so macht Lennart nun Musik, die man entsprechend des Albumtitels tatsächlich gut zum Sonntagsfrühstück hören könnte, wenn man noch nicht ganz wach ist. Wer sich von ihm außerdem live überzeugen will: in Bottrop veranstaltet er regelmäßig Jazzkonzerte unter dem Namen „BTTRP JZZ“.
https://lennartallkemper.de/

LITHA – Good girl (Label: Green Papaya Records, VÖ: 29.11.2024)
(jg) Manchmal fragen mich ehemals musikinteressierte Freunde nach neuen Bands, sie hätten da so langsam den Überblick verloren. Das ist schon schräg, wo doch durchs Internet eigentlich alles viel leichter verfügbar ist als früher. Wie sich Musik in den letzten Jahren gewandelt hat, zeigen auch LITHA aus Österreich sehr eindrücklich. Klassischer Gesang, Elektrobeats, soulige Vocals, Synthies und Raps stehen hier keineswegs im Widerspruch zueinander, dazu gibt es Texte über Selbstbestimmung, Awareness und Verletzlichkeit. BILLIE EILISH 2.0? Vielleicht.
https://www.facebook.com/litha.alloveryou/

L‘ORCHESTRE INCANDESCENT / SYLVAINE HELARY – Rare birds (Label: Yolk, VÖ: 15.11.2024)
(so) Och, bitte, was soll das denn? Wieso erhalte denn ich neuerdings auch immer wieder diese Jazz-Platten? L’ORCHESTRE INCANDESCENT sind zwar gemeinsam mit SYLVAINE HELARY nicht ganz so enervierend wie JULIEN DAIAN, aber es reicht, um mich aufzuregen. Dass solche Alben immer unter „anstrengend intellektuell“ abgelegt werden müssen. Da kann noch so sehr PJ HARVEY auf den Gedichten stehen, die hier zum Teil zu Grunde liegen, das ist und bleibt einfach anstrengend. Und nicht meins. Du hast da einen offeneren Geist? Bitte, dann greif zu! Bekommst die CD auch von mir obendrauf!
https://yolkrecords.bandcamp.com/album/rare-birds

MOCCA CHUNG – Oida (Label: Tape Capitol Music, VÖ: 18.10.2024)
(so) Ziemlich soulig kommt „Oida“ daher – und natürlich ziemlich wienerisch. MOCCA CHUNG spielt quasi Soul mit chinesischen Wurzeln, die man allerdings nur sehr, sehr, sehr sporadisch wahrzunehmen versteht. Chinesischer Austropop? Eher einfach 80er geprägter Austropop (man hört sogar hier und da NEW ORDER heraus!) mit einer souligen Note und vor allem mit witzigen, prägnanten Texten. Hier lohnt sich das Reinhören definitiv mal, wenn man mal wieder lächeln möchte. „Geht mir am Oasch vorbei!“ sei mal so als Lebensmotto mitgegeben.
https://www.facebook.com/moccachungwien

RENAUD GARCIA-FONS – Blue maqam (Label: Sound Surveyor, VÖ: 06.12.2024)
(jg) Der französiche Kontrabassist RENAUD GARCIA-FONS bewegt sich stilistisch zwischen Jazz, Flamenco, mediterraner, indischer, afrikanischer und lateinamerikanischer Musik. So begibt man sich mit „Blue maqam“ automatisch auf eine akustische Weltreise, in der vieles fremd, zugleich aber auch neu und aufregend erscheint. Nicht auf die anstrengende, sondern eher auf eine faszinierende Art und Weise. Auf dem neuen Album wird der Kontrabassist zum ersten Mal von seiner Tochter Solea Garcia-Fons am Gesang begleitet, die mich mit ihrer souligen Stimme sofort an SADE erinnert.
https://renaudgarciafons.com

REVOLT PUPPETS – Tales of Arson (Label: Pauli Punker Records, VÖ: 08.11.2024)
(bc) Mal ehrlich, Leute – ein dystopisches Neon-Artwork und ein bisschen eingestreutes Synthie-Gewaber ergeben noch lange kein Cyberpunk-Album, wie es uns das Infoschreiben gerne suggerieren möchte. Vielmehr würde ich die REVOLT PUPPETS als relativ durchschnittliche Alternative Rock-Band beschreiben, die mich nicht so richtig zu packen vermag. Erschwerend hinzu kommt, dass auch bei der Produktion noch Luft nach oben ist. Erinnert mich soundmäßig eher an alte 8-Spur Aufnahmen aus dem Proberaum als an eine moderne Studioproduktion und steht damit irgendwie im Widerspruch zum angeblichen Konzept des Albums.
https://www.revoltingpuppets.com

SAFI – Groteske (Label: Rookie Records, VÖ: 08.11.2024)
(so) Also, „das Gegenteil von Allem“ ist SAFI jetzt nicht unbedingt, aber besonders ist SAFI auf jeden Fall. Als hätte es die frühen EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN in die 2020er katapultiert, feminiziert und verpunkt. So in etwa wirkt „Groteske“ beim ersten Ohr. Laut, stark, beeindruckend. Beeindruckend auf vielen Ebenen, nicht nur, was die Instrumentierung und deren Verwendung, sondern auch den Gesang und die Lyrics angeht. Hier ist sehr viel Emotion, sehr viel Leben, sehr viel Jetzt und Hier, sehr viel Ehrlichkeit. Ein Spiegel des Lebens, der schon den ein oder anderen Riss, den ein oder anderen blinden Fleck hat, dennoch das tut, was er soll: Uns spiegeln. Und das gelingt SAFI ganz hervorragend. „Schrei‘ ich dir zu viel?“
https://safimusic.bandcamp.com

SAMY THIÈBAULT – In waves (Label: Gaya Music Productions, VÖ: 11.10.2024)
(jg) Wer nach dem ganzen Weihnachtstrubel schon wieder reif für die Insel ist, könnte vielleicht mit SAMY THIÈBAULT etwas anfangen. Tatsächlich gibt der Albumtitel schon die Idee dahinter wieder: Die Vertonung des Ozeans. Aber nicht auf die schwierige, abstrakte Art und Weise, sondern eher chillig mit Einflüssen aus dem Beach Club, vom Surfen und aus der Karibik. Bisweilen sogar ein wenig spirituell. Wer also noch immer denkt, dass Jazz steif und altbacken klingt, sollte mal in dieses relaxte Album reinlauschen!
https://samythiebault.bandcamp.com/

SATURNDAZE – Facades (Label: RecordJet, VÖ: 08.11.2024)
(jg) Eine junge Band aus Hamburg, die sich an der Musik der Siebziger Jahre mit Bands wie QUEEN und SUPERTRAMP orientiert. Nicht unbedingt an Stücken wie „Bohemian rhapsody“, sondern eher den ruhigeren, poppigeren Sachen. Das passt treffsicher zusammen mit der guten Stimme von Rilana. Sogar so gut, dass SUPERTRAMPs Saxophonist John Helliwell zwei Soli auf diesem Debütalbum eingespielt hat. Hut ab! Doch SATURNDAZE zitieren nicht nur in der Vergangenheit, sondern transportieren das Ganze mit Hilfe von RHONDA-Produzent Ben Schadow in die Gegenwart, so dass auch aktuelle Popmusik nicht mehr allzu weit weg ist.
https://www.facebook.com/saturndazemusic/

SCHNIEKE – Hedyie (Label: Eigenvertrieb, VÖ: 25.10.2024)
(so) Özgür Akgül, aka SCHNIEKE, hat dieses Album seiner Oma gewidmet. Und auch einen der Songs auf „Hedyie“, was passenderweise auch noch Geschenk bedeutet. Das Album präsentiert sich in bester Mischung aus Oriental und Elektro, durchmischt mit klassischen Momenten und Bestandtteilen. Die Stücke tänzeln zwischen fröhlicher Stimmung und ziemlich düsteren Wolken hin und her, öffnen dabei aber immer den Blick für Anderes, Neues, Besonderes. Akgül ist hier ein durchaus bemerkenswertes Album gelungen, das sich auch ohne Gesang festzusetzen versteht.
https://schnieke.bandcamp.com/album/hediye

SECKOU KEITA – Homeland (Chapter 1) (Label: Hudson Records, VÖ: 18.10.2024)
(jg) Die Einflüsse von World Music sind bei blueprint ja schon seit geraumer Zeit omnipräsent. Und nicht nur hier, sondern auch auf den meisten Festivals hat sich die (musikalische) Globalisierung immer mehr bemerkbar gemacht. Ich gebe zu, dass dies anfangs bei uns oft verschmäht wurde, und auch heute noch meistens bei den Kurzreviews landet, da uns nach wie vor Schreiber/innen fehlen, die dieses Genre favorisieren. Dass sich aber fremde Hörgewohnheiten hierzulande immer mehr durchsetzen, finden wir durchaus begrüßenswert. Da bei dem Senegalesen SECKOU KEITA neben traditionellen Einflüssen aber zuallererst Popmusik mit einfließt, macht dies den Zugang für uns Blueprint-Punkrocknasen umso schwieriger.
https://www.seckoukeita.com/

SEX SWING – Golden Triangle (Label: God unknown Records, VÖ: 18.10.2024)
(so) Irgendwo zwischen ALIEN SEX FIEND und … keine Ahnung, irgendetwas anderem Verrückten möchte ich SEX SWING mal „einordnen“. Das fällt extrem schwer. Nach einem unglaublich leisen Beginn geht es dann auch schon in die Vollen, mal metallisch, dann wieder wavig, immer aber laut. Vielleicht ist Noise die beste Zuordnung, die mir einfällt. Vielmehr ist es aber auch nicht, was mir konstruktiv einfällt, dafür ist das leider zu wenig meine Musik und mir auch tatsächlich einfach zu viel Noise. Wobei das zwischendurch schon ganz schön hypnotisch rüber kommt.
https://sexswing.bandcamp.com

SIMON OSLENDER & STEVE GADD & WILL LEE – All that matters (Label: Leopard, VÖ: 28.10.2024)
(jg) Eine Allstarband mit Musikern von u.a. ERIC CLAPTON, PETER GABRIEL, PAUL MCCARTNEY, CHICK COREA, PETER ALLEN und aus der David Lettermann Late Show. Klingt im Ergebnis nach einem Mix aus Funk, Soul, Gospel, R&B, Blues und Jazz. Oder aber wie die Band von Stefan Raab aus TV Total. Es groovt gewaltig, das Ganze musikalisch natürlich perfekt dargeboten, aus subjektiver Sicht aber auch ein wenig belanglos.
https://simonoslender.com/

THE IRON LUNG QUINTET – For the birds, all for the birds (Label: Timezone, VÖ: 27.09.2024)
(so) Und wieder so ein wunderschönes Kleinod, das uns THE IRON LUNG QUINTET ans und unter das Herz legen. Kleine Indie-Kunstwerke bieten sie uns auch wieder auf „For the birds …“, und wir nehmen sie gerne an und hängen sie uns in die Museen unserer Seele. Ab dem ersten Song hat uns die Band um Björn Steffens schon wieder eingefangen und überzeugt ein weiteres Mal durch Abwechslungsreichtum zwischen Britpop, Folk, Indie und und und. Einfach schön, ein weiteres Mal. Aber ich bin mir sicher, dass THE IRON LUNG QUINTET aus Hamburg auch noch einige Diamanten zu Hause verstecken, auf die wir gespannt sein können.
https://tilq.bandcamp.com

THE PHANTIM –  Tomorrow is now! (Eigenvertrieb, VÖ: 01.11.2024)
(bc) Dass THE PHANTIM eigentlich nur aus zwei Personen besteht, hört man diesem Album nicht an, da neben einem Schlagzeug sowohl Bass als auch Gitarre eingespielt wurden. Wie das Artwork bereits vermuten lässt, bietet „Tomorrow is now!“ Punk mit leicht düsterem Einschlag und dezentem 80er Jahre Charme. Mit Texten auf Deutsch und Englisch setzt sich das Duo aus Lüneburg kritisch mit politischen und gesellschaftlichen Themen auseinander, setzt dabei jedoch anstatt auf Parolen lieber auf pointierten Sarkasmus. Der Song „Endlich“ erinnert mich sogar ein wenig an CHAOS Z. Trotz einiger interessanter Ansätze wirkt  „Tomorrow is now!“ auf mich aber irgendwie zerfahren und noch nicht ganz ausgereift.
https://phantim.weebly.com

THE ROUTES – Surfin‘ Pleasure (Label: Topsy Turvy Records, VÖ: 08.11.2024)
(so) Okay, das Cover sagt eigentlich schon alles. Falls nicht: Lies‘ den Titel! Jetzt klar? THE ROUTES hatten die schöne Idee, sich den Songs der unerreichten, grandiosen JOY DIVISON anzunehmen und sie dem Surf Punk einzuverleiben. Die Band aus Japan hat Ähnliches schon vorher mit KRAFTWERK und den BUZZCOCKS gemacht. Ich als echter Fan von JOY DIVISION muss sagen, dass es ihnen ziemlich gut gelungen ist, insbesondere, weil sie auf den Gesang verzichten, denn das hätte wahrscheinlich nur schief gehen können. So aber ist’s eine witzige Idee und eine gute Umsetzung.
https://theroutesjapan.bandcamp.com

 THEE HEADSHRINKERS – Head cheese (Label: Property Of the Lost, VÖ: 29.11.2024)
(bc) Proto-Punk, Garage-Rock und Surf-Sound sind die Grundzutaten, an denen sich THEE HEADSHRINKERS auf „Head cheese“ bedienen. Das Trio aus dem englischen Hastings klingt auf seinem Debüt-Longplayer einerseits unglaublich lässig, lässt zugleich aber auch einen gewissen rauen Außenseiter-Charme durchblitzen. Songs wie „Going down“ oder „The king is dead“ gehören zweifelsfrei in kleine, schummerige Kellerclubs, in denen der Schweiß von der Decke tropft und der Boden vom verschütteten Mexikaner klebt.
https://theeheadshrinkers.bandcamp.com

Simon-Dominik Otte

Mensch. Musiker (#Nullmorphem). Schauspieler (#BUSC). Rezensent (#blueprintfanzine). Come on, @effzeh! AFP-Fan. (#Amandapalmer). Lehrer. Und überhaupt. Und so.