Tag 1// „Es ist unglaublich! Wir haben gestern auf dem Haldern Pop Festival gespielt, und der Auftritt war das absolute Gegenteil zu heute“, beklagte sich Adam D. Franklin, Sänger der walisischen TOY HORSES. Wen wundert’s. Es hatte in Hamburg tagelang unerbittlich geregnet und der Platz vor der Bühne glich eher einem Schlachtfeld als einer grünen Wiese. Unvorstellbar, dass die Mischung aus knöcheltiefem Matsch und Wasser nicht das Resultat von drei Tagen Festival war, sondern das Dockville Festival direkt vor der Eröffnung stand. Für die Veranstalter galt zu retten, was fast nicht mehr zu retten war und so musste improvisiert werden, um die monatelangen Vorbereitungen nicht komplett für gescheitert zu erklären. Ich traf zufällig Jean, den Sprecher des Festivals, und er berichtete, dass der Maschinenraum (das größere der beiden Zelte) zur Hälfte unter Wasser stand und heute geschlossen bleiben müsse, dass man aber versuche, die Bands auf andere Bühnen zu verlegen. Es reichte also anscheinend nicht aus, dass bereits ein paar Tage vor dem Festival Jeans Notebook samt aller Kontakte geklaut wurde – wenn es schon schief läuft, dann auch so richtig. Mit dem klassischen Hamburger Schietwetter hatte dies hier allerdings bei weitem nichts mehr zu tun, und am meisten ärgerte ihn, dass die ganzen künstlerischen Dinge, die in wochenlanger Arbeit vor dem Festival geschaffen wurden, unter den gegebenen Bedingungen kaum noch zur Geltung kamen. „Das sah vor einer Woche noch alles so schön aus“, konnte man ihm die Enttäuschung vom Gesicht ablesen. „Am liebsten hätte ich mich in einen Flieger gesetzt und wäre abgehauen in den Urlaub.“ Aber das waren glücklicherweise nur Gedanken und zu guter letzt konnte das Festival trotz aller widrigen Umstände recht glimpflich und fast ohne Ausfälle über die Bühne gebracht werden. Wobei hier auch den Gästen ein großes Lob gebührt, die größtenteils eine gute Mine zum bösen Spiel machten und sich ihre Laune weder vom Schlamm, noch vom Regen verderben ließen.
Doch kommen wir zurück zu den TOY HORSES. Sie hatten das undankbare Los gezogen, als erste Band auf dem Vorschot, der Nebenbühne, spielen zu müssen. Und weil der Aufbau der Stände und die Vorbereitungen des Platzes länger dauerten als geplant, entschlossen sich die Veranstalter, das Festivalgelände erst mit vierstündiger Verspätung zu eröffnen. Um den Zeitplan nicht vollends außer Kraft zu setzten, mussten die TOY HORSES und die nachfolgenden RUE ROYALE ohne Publikum spielen. Nur ein paar Presseleute und wenige andere Crew-Bändchen-Träger kamen in den Genuss, sie live zu sehen. Außerdem eine Handvoll Mädchen, die von dem zwischenzeitigen Chaos in der Organisation profitierten und einen anderen Eingang zum Gelände nutzten, und ein paar Leute vom Campingplatz, die den Auftritt durch den Zaun verfolgten. Warum die ersten beiden Bands fast ohne Zuschauer spielten, erfuhren sie zum Teil erst nach ihrem Auftritt. Shit happens.
Mehr Glück hatten HERPES aus Berlin, denn während ihres Gigs wurden die Pforten zum Gelände geöffnet, die ersten Besucher strömten herbei und ließen sich nicht von dem Wattenmeer vor der Bühne abschrecken. Gut möglich, dass das auch an der Stimmung lag, die Sänger Florian „Schaumschlag“ Pühs verbreitete. Warum sie selbst ihre Musik als Krautrock bezeichneten, blieb mir allerdings unklar. Vielleicht, weil gerade alles irgendwie Krautrock ist. Mich erinnerte das mehr an eine NDW-Ausgabe der GOLDENEN ZITRONEN.
THE BLACK ATLANTIC gingen musikalisch in eine völlig andere Richtung. Gefühlvoller Indie-Pop mit ganz viel Herz und Melancholie und einer gewissen Ähnlichkeit zu LAST DAYS OF APRIL. Teils vierstimmiger Gesang, und was die Holländer von vielen anderen Bands positiv unterscheidet: hier ist der Gesang wirklich stimmig! Da freuten sich auch Ruth und Brooklyn Decker von RUE ROYALE, die im Frühjahr einige gemeinsame Shows hatten und sich den Auftritt ihrer ehemaligen Tourpartner jetzt aus dem Publikum ansahen.
Danach wechselte ich über den Reiherstieg Hauptdeich auf die andere Seite des Geländes. Und erstaunlicherweise sah der Platz hier wesentlich besser aus. Was Schotter ausmacht! Die CASIOKIDS sorgten derweil mit ihrem New Wave-Pop für gute Stimmung und tanzende Leute. Erinnerte an die HOT CHIPS und RADIO 4 und gefiel mir live viel besser als auf myspace. Für THOSE DANCING DAYS konnte ich mich nicht so recht begeistern. Belangloser Lala-Poprock aus Schweden – von Frauen für Frauen. Na gut, sie hatten ihre Fans und die waren nicht nur weiblich. Aber für mich war das nix. Dann schon eher DUNKELBUNT, die eine krude, aber durchaus passende Mischung aus osteuropäischer Folklore und HipHop zum Besten gaben. Diego, dem Booker von IN GOLDEN TEARS, gefiel´s sogar richtig gut.
Für die Abfolge der weiteren Bands erforderte es ein wenig Rumgefrage oder ein Smartphone. FUKKK OFFF, aka Bastian Heeerhorst, wechselte vom Maschinenraum ins „Nest“, eine süße Bühne inmitten einer kleinen Waldlichtung. Dass die dicken Beats auch draußen funktionieren würden, war bereits vorher klar, überraschend aber, dass man damit bereits um 21 Uhr die Massen zum Tanzen bringt. Und wie! Geschätzt etwa 2000 people, hauptsächlich junges Publikum, tanzten, jubelten und drängten sich auf so engem Raum, dass zwischenzeitlich sogar Stagediving funktionierte. Egal, ob Liverpool Sounds oder Hamburg-Electro – der Mann machte alles richtig. Abrupt jedoch das plötzliche Ende, als ob einer den Stecker gezogen hätte.
Rüber zu den EDITORS, da war’s mir zu voll, also weiter zu den ISBELLS. Normalerweise etwas zu folkselig, sehnte ich mich inzwischen nach einer etwas intimeren Atmosphäre und die gab es in dem kleinen Spinnaker-Zelt durchaus. Das einzige Problem: die EDITORS waren nebenan so laut, dass man sich schon sehr auf die ruhige Musik der Belgier konzentrieren musste. FUCK ART, LET´S DANCE präsentierten anschließend auf stolz geschwellter Brust, dass sie inzwischen ein Label gefunden haben: Audiolith. Das überrascht zunächst, wenn man bisher dachte, dass Audiolith auf einen bestimmten Sound festgelegt sei. Doch denkt man an CLICKCLICKDECKER und OLLI SCHULZ, war Audiolith noch nie auf eine einzige Richtung fokussiert. Das Publikum, wie auch bei ihrem Gig in der Flora, wieder ziemlich jung. Nicht verwunderlich, drückten FUCK ART, LET´S DANCE doch selbst noch vor kurzem die Schulbank. Im Vergleich zu ihrem Gig beim letztjährigen Reeperbahnfestival ist die Band musikalisch und in Sachen Bühnenperformance merklich gereift, einzig in der unvorhersehbaren Pause wegen einer kaputten Fußmaschine wussten sie mit ihren Ansagen nicht so recht weiter. Aber wer wäre da nicht nervös geworden. Musikalisch eine gute Mischung aus den FOALS und BEAT! BEAT! BEAT, vermengt mit etwas Elektro – ihre Erfolgsgeschichte hat schon längst begonnen.
HUNDREDS hatten das Glück, das sie heute nicht ins kleine Spinnaker ausweichen mussten, sondern auf die Hauptbühne verlegt wurden. Oder das Pech – wie man will. Dass HUNDREDS mit ihrer kühlen, sphärischen Musik auch auf großen Bühnen funktionieren, haben sie erst drei Wochen zuvor auf dem Appletree Garden Festival bewiesen. Inzwischen ist das Geschwisterduo zum Quartett angewachsen, an den Percussions und Elektrodrums werden sie unter anderem von Tim Neuhaus unterstützt, mit dem Philipp Milner bereits zuvor bei Clueso zusammengearbeitet hat. Es bleibt also alles in der Familie.
Die Songs saßen einwandfrei, dafür sind HUNDREDS mittlerweile auch viel zu routiniert. Aber die Auflagen besagten, dass die Lautstärke zu fortgeschrittener Stunde (der Gig begann erst um 1:30 Uhr) stark abgesenkt werden musste. In Kombination mit ihrer eher spärlichen Bühnenbeleuchtung wirkte der Auftritt deshalb nicht so imposant wie man es gewohnt war, stattdessen versammelten sich die Zuhörer in direkter Nähe zur Bühne und ließen die Show ungewöhnlich vertraut und innig wirken. Das hatte fast Club-Atmosphäre.
Als letztes hatten wir uns für den ersten Abend THESE GHOSTS vorgenommen, aber da der Zeitplan im Spinnaker etwas nach hinten verschoben war, waren PUSH THE BUTTON noch mitten in ihrem Gig und dröhnten das Publikum mit Bässen zu, die lauter gewesen sein müssen als bei HUNDREDS. Das Dockville-Infoheftchen spricht von „Maximalelektro ohne Atempause“. Das trifft es auf den Punkt, aber für den ersten Abend reichte es uns und wir brauchten nicht nur eine Atempause. Morgen folgt der Bericht vom zweiten Tag, gute Nacht!
Tag 2// Die Zeichen standen auf Versöhnung. Pünktlich zu GOLDEN KANINE lachte bereits die Sonne, die gröbsten Schäden waren beseitigt, der Maschinenraum war wieder bespielbar und es sollte den ganzen Tag lang trocken bleiben. Da machte das Festival gleich doppelt so viel Spaß, und es blieb auch genug Zeit übrig, sich der ausgestellten Kunst zu widmen und die netten Oasen abseits der Bühnen zu begutachten. Wie zum Beispiel die „Casita de Amor“, eine Art Baumhaus für Verliebte, oder die von Lena Moritzen zum Reinlegen gebauten Nester. Chillig auch die Hängematte nebenan oder diverse Schaukelgelegenheiten unter der Trauerweide. Schade nur, dass die meisten Plätze drumherum nicht mehr grün, sondern einheitlich braun waren.
Das hätten sich die Jungs von GOLDEN KANINE auch mal ansehen sollen. Die sahen nämlich noch ziemlich müde aus, kamen auch direkt aus Haldern rüber auf die Elbinsel, begeisterten aber dennoch mit ihrer bekannten Spielfreude und Fröhlichkeit. BEIRUT lassen grüßen! Eine kurze Visite auf der anderen Seite des Deiches zeigte jedoch, dass der Platz drüben noch nicht viel besser aussah als gestern – aber immerhin war der Weg zum Vorschot geschottert. THE SLOW DOWN aus Manchester erinnerten mich ein wenig an PLACEBO, vor allem gesanglich. Ganz nett. Im Spinnaker stolperte ich eher zufällig über ALLEN ALEXIS. Drei unscheinbare Jungs aus Österreich, mit teils analoger (Gitarre, Gesang, Drums) und teils elektronischer Musik (Synthies und ebenfalls Drums). Hatte in seinen guten Momenten was von FRIENDLY FIRES, die Gitarreneinsätze und der Gesang waren teilweise aber doch ein wenig anstrengend. Auch wenn man noch nicht in einer Liga mit Ed Macfarlane und Co spielt: der Weg ist der richtige! Auf dem Weg zum Horn ein kleiner Abstecher bei BLACKMAIL, die vor drei Wochen noch in Omas guter Stube
die Kochlöffel schwangen. Macht sich ganz gut da, der junge Mathias, als neuer Frontmann zwischen den beiden Ebelhäusern. Und sie rocken wieder mehr wie früher. Respekt!
Schnell weiter in Richtung Horn, einer Art Beach Club mit netter musikalischer Untermalung. Nachdem wir uns am Reiherstieg, einem der vielen Seitenarme der Süderelbe, müßig in der Sonne brutzeln ließen und die vorbeifahrenden Schiffe und ins Wasser hüpfende Festivalgäste beobachteten, begutachteten wir im Maschinenraum die von Diego gebuchten IN GOLDEN TEARS. Ist eigentlich jemandem außer mir aufgefallen, wie viele ähnlich klingende Bands in diesem Jahr auf dem Dockville spielten? IN GOLDEN TEARS, GOLDEN KANINE, DIE GOLDENEN ZITRONEN und GOLD PANDA. FUKKK OFF und FUCK ART, LET´S DANCE. BLACKMAIL und BLACK PRINCESS. CRYSTAL CASTLES und CRYSTAL FIGHTERS. SBTRKT und SDFKT. KAKKMADDAFAKKA und CHUCKAMUCK… Da kommt man doch ganz durcheinander. Ich hätte auch fast SANDY BEACH mit SANDY BIRD verwechselt. Aber zurück zum Thema. IN GOLDEN TEARS waren gut. Diego lockte uns mit dem CURE-Vergleich, wir antworteten mit THE NATIONAL. Frieder gefielen sie sogar so gut, dass er sie im Herbst in Lüneburg buchen will. Ein kurzer Blick bei den süßen und immer besser werdenden Jungs von BEAT! BEAT! BEAT! und nebenan bei YUCK. Einheitlicher Jeanslook, Retro-Chic und Reminiszenzen an SONIC YOUTH und PSYCHED UP JANIS. Kann man machen. An CASPER scheiden sich bekanntlich die Geister, aber wir waren anschließend immerhin einer Meinung, nämlich dass wir ihn doof finden. Gut finden wir dagegen BODI BILL. Großartige Show, abgeklärte Sounds, die Jungs wissen was sie wollen und begeistern, ohne stumpfe Partybeats zu fabrizieren. Elektro für Erwachsene, Melodien für Melancholiker. Schade nur, dass die Show fast eins zu eins ihrem Gig auf dem Appletree Garden glich.
CRYSTAL CASTLES machten dagegen so viel Alarm, dass wir zur Erholung kurz flüchteten und erst zu SANTIGOLD zurückkamen. Und für SANTIGOLD zurückzukehren, hat sich definitiv ausgezahlt. Was für eine Show! Ein paar Backing Band-Musiker, zwei lustige Tänzerinnen und Background-Sängerinnen, wie man sie ähnlich auch von Lena kannte und im Mittelpunkt von allen natürlich SANTIGOLD herself. Ein Star wie aus dem Bilderbuche. Dass sie nicht einfach das Ergebnis eines öden Castings ist, offenbart sich schon in ihrer eigenwilligen Musik, die ich irgendwo zwischen TEGAN AND SARA und SALT ´N PEPA einordnen würde. Da fließen ihre Punkwurzeln mit dem Studium karibischen und westafrikanischen Trommelns zusammen, und das Ganze wird mit einem feinen roten Melodiefaden zusammengeschustert. Das hat viel mehr zu bieten als die Shows von Superstars wie LADY GAGA und Co, obwohl SANTIGOLD den großen Stars in Sachen Choreographie und Unterhaltung in nichts nachsteht. Toll!
Für mich endete der zweite Abend im Maschinenraum mit SBTRKT, dem Maskenmann aus England, der mit einem Liveschlagzeug seinen eigenen Stil zwischen House, Dubstep und Minimal Electro gefunden hat. Live wirkte das etwas wilder als auf seinem kürzlich veröffentlichten Debüt, das im Vergleich dazu doch recht ruhig ausfällt.
Auf nach Hause, das Energielevel war aufgebraucht und morgen stand ja noch ein dritter Tag bevor!
Tag 3 // Ich hatte noch einiges auf dem Plan für den dritten Tag, unter anderem die poppigen ANNA SAID, die jazzig-elektronischen A FOREST, natürlich STATION 17, TRAIL OF DEAD, BLOC PARTYs Frontmann KELE und den bereits in Vergessenheit geratenen RAZ OHARA. Doch leider regnete es am Sonntag Bindfäden, der blöde Schienenersatzverkehr nervte, ich besaß noch immer keine Gummistiefel und ein Anruf bei Freunden bestätigte, dass der Platz heute noch schlechter aussah als am Freitag. Ich entschied mich fürs Zuhausebleiben, aber mir wurde berichtet, dass GOLD PANDA und TRAIL OF DEAD kürzer gespielt haben als angekündigt und dass STATION 17 großartig wie eh und je waren. Tja, ich war aber dennoch froh, die Spuren aus Wilhelmsburg nicht wieder bis nach Barmbek hinter mir her zu ziehen. Auf dass der Wettergott im nächsten Jahr gnädiger ist…