Passenderweise von dem zuerst spielenden Hamburger Sänger und Liedmacher NILS KOPPRUCH auf handgemachte Gitarrenmusik eingestimmt, dürfen wir am Ende eines warmen Tages in Hamburg die letzten Hippies dieses Universums begrüßen. Wir machen dies mit einem tosenden Applaus, bei dem wir noch nicht ahnen können, was uns in den nächsten zwei Stunden erwartet. Auf der Bühne steht eine Handvoll junger Männer mit bunten Hemden, Westen, Kordhosen und langen Bärten. Keiner dürfte wesentlich älter als 30 sein – ist doch der Kopf der Gruppe erst ungefähr 25 Jahre alt.
DEVENDRA BANHART, dessen Vorname von dem indischen Mystiker Prem Rawat stammt, begann mit zwölf Jahren, Songs zu schreiben. Er lebte eine Zeitlang in San Francisco, wo er kurz studierte und in zahlreichen Clubs auftrat, bevor er nach Paris ging und die Stücke – teils auf einem Anrufbeantworter – aufnahm, die später unbearbeitet auf dem Album „Oh me oh my … the way goes by the sun is setting dogs are dreaming lovesongs of the christmas spirit“ (2003) erschienen. Ab hier kennen wir die Geschichte, denn das Album bekam gute Kritiken und DEVENDRA BANHART wurde bekannt – nicht zuletzt aufgrund seiner natürlichen und aufgeschlossenen Art: „Er ist der reinste, am wenigsten zynische oder berechnende Künstler, den ich jemals getroffen habe. Er hat all die guten Dinge, die er nun auf seinem Weg trifft, absolut verdient“, so Michael Gira von SWANS über ihn.
Wir, das Publikum, können das an diesem Abend nur bestätigen, ist doch fast das erste, was DEVENDRA uns zu verstehen gibt, dass er nicht die Lieder spielen wird, die wir sowieso schon von den Alben kennen, sondern ein paar andere Sachen, denen er dann ein paar bekannte Stücke zufügen wird. Das sei doch viel interessanter. Wie schön, dass er sich nicht dazu herablässt, es sich leicht zu machen und einfach seine Hits abzuspulen – oder sein neues Album, wie COCOROSIE es leider zwei Tage später machen.
Das Konzert hält und übertrifft, was wir uns nach den Jahren des CD-Hörens versprochen haben. Zum Beispiel bei diesem Stück, dessen Titel an dieser Stelle keine Rolle spielen soll: zuerst ein Saiteninstrument. Jede einzelne Saite ist hörbar. Zusammen ergeben sie eine Disharmonie. Diese klingt nach einem Halbton-Moll-Akkord. Der Ton dringt sofort ins Innere, verursacht eine Vibration in den Eingeweiden und das Gefühl, die Nackenhaare würden sich beinahe aufrichten wollen. Mit der Zeit entsteht ein Sog, der, begünstigt durch den Rhythmus der nacheinander einsetzenden Sachlaginstrumente, vorwärts getrieben wird. Man gleitet ab, jedoch nicht ausschließlich in die Tiefe, sondern auch in eine unbekannte Ferne, geführt von dem leichten, dumpfen Schlagrhythmus. Die unbekannte Ferne ist das gelobte Land, die Erfüllung hippiesker Sehnsüchte nach Zwischenmenschlichkeit, Unbekümmertheit und Freiheit. Es ist paradiesisch, von wo dann die Stimme herweht. Und es wird friedlich dort, wo sie ankommt.
Dass es bei diesem Konzert nicht um den neuen Personen-Extremkult geht, der sogar schon beim Papst eingesetzt hat, wird spätestens dann klar, als auch die anderen Bandmitglieder die Stücke ihrer Nebenprojekte vorstellen und schließlich sogar die Songwriter im Publikum aufgefordert werden, nach vorne zu kommen und was vorzuspielen. Sowas kennen wir noch nicht und fragen uns murmelnd, ob wir das gerade richtig verstanden haben. Wir haben. Gut, was wir dann nach einigem Zögern zu hören bekommen, passt nicht ganz zu der Musik von DEVENDRA BANHART, doch die nur ganz unauffällig zitternden zwei Hamburger Jungs, die plötzlich auf der Bühne stehen, werden das hier erlebte „Together“ des Hippie-Idealismus wohl von nun an besser verstehen und – wie wir – nicht so schnell vergessen wollen.