Es gibt Platten, zu denen kann man prima den Hausputz erledigen. Zu anderen kann man ganz prima ein Buch lesen oder für eine Prüfung lernen. Dann gibt es da aber auch Platten, die deine ganze Aufmerksamkeit fordern. Und damit meine ich jetzt nicht die Sorte, die ob ihrer Kompliziertheit eingehende Beschäftigung erwarten. Nein, ich meine die, die erstmal ganz harmlos erscheinen, sich dann aber von hinten rum an dich heranschleichen und dir irgendwann gar keine andere Wahl mehr lassen, als sich ihnen total hinzugeben.
Es ist 1994. Damals auf MTV lief ein Video, in dem zwei Männer sich an der Hand hielten, der eine, groß und mit dunkel gelockten Haaren, eindringlich in die Kamera singend, der andere schmächtig, den Takt auf seiner Hühnerbrust mitklopfend immer wieder „Friday, Friday, Friday“ in den Raum schreiend. Das waren dEUS mit „Suds and soda“. Damals kaufte ich mir wegen dieses Songs das Album „Worst case scenario“, hörte es mir aber nie wirklich an. Schnitt.
Es ist 2001. Von einer Freundin bekam ich „The ideal crash“. Und dann passierte genau das, was ich oben erwähnte. Seitdem sind dEUS eine feste Größe in meiner kleinen (Musik-)Welt. Seitdem habe ich „Worst case scenario“ wieder und „In a bar, under the sea“ neu entdeckt. Und seitdem gibt es tatsächlich ein neues Album, mit dem wirklich keiner mehr gerechnet hatte. Obwohl dEUS 2005 auch nicht mehr zu vergleichen sind mit dEUS 1994 oder dEUS 1999, dem Erscheinungsjahr von „The ideal crash“. Selbst 1994 und 1999 sind nicht einmal vergleichbar, denn die Geschichte dieser Band ist verdammt turbulent. Einzige Konstante ist und bleibt Tom Barman, das Genie hinter dEUS, der, so scheint es zumindest, da erst aus der künstlerischen Konfrontation zweier großer Egos brillante Musik entstehen kann, immer einen kreativen Gegenpart benötigt. 1994 war das Rudy Trouve, der aber bald die Band verlies. Seine Rolle übernahm Stef Kamil Carlens, der wahrscheinlich zweitwichtigste Kopf im Lebenslauf von dEUS. Aber auch er verließ nach dem zweiten Album „In a bar, under the sea“ die Band, um sich voll und ganz ZITA SWOON zu widmen. Mit ihm gingen auch die Unberechenbarkeit und das Chaos. Und so wurde „The ideal crash“, das dritte Album mit Craig Ward als neuem kreativen Gegenpart, gemäßigter und vor allem homogener. Das erste Album, das sich tatsächlich am besten in einem Stück durchhören ließ. War „Worst case scenario“ das Werk einer jungen Band vollgestopft mit Ideen, so zeigte bereits „In a bar, under the sea“ eine Band im Umbruch. Craig Ward kam für Rudy Trouve, Stef Kamil Carlens war am Gehen. So innerlich zerrissen dieses Album auch gewesen sein mag, enthielt es einige der intensivsten dEUS-Songs überhaupt – die, die einen in die Knie zwingen.
2005 sind von den alten dEUS lediglich Tom Barman und Klaas Janzoons übrig geblieben. Craig Ward ist zurück in seine Heimat Schottland gegangen und produziert nun selbst junge Bands. Danny Mommens, der für Stef Kamil Carlens kam, kümmert sich jetzt ausschließlich um VIVE LA FÊTE. Und warum Jules De Borgher, der seit Anfang an das Schlagzeug bediente, auf der Strecke blieb, weiß auch ich nicht. Die neuen Gesichter im Line-Up sind mir unbekannt. Bis auf Mauro Pawlowski. Ein in der belgischen Musikszene äußerst umtriebiger Querkopf. Vielleicht hat Tom Barman in ihm ja seinen neuen Gegenpart gefunden? Auf dem neuen Album „Pocket revolution“ weht jedenfalls ein frischer Wind. Die Marschrichtung, die Tom Barman mit seinem Interimsprojekt MAGNUS zusammen mit CJ Bolland vorgegeben hat, wird beibehalten. So tanzbar und nach vorne raus klangen dEUS bisher noch nicht. Wer dEUS liebt, muss jedenfalls bereit sein, weiter zu gehen und nicht in der Vergangenheit hängen zu bleiben. Obwohl, es gibt sogar ein Wiederhören mit Stef Kamil Carlens. Da blüht einem das Herz auf.
Und wer sich schon die ganze Zeit fragt, was dieses Geschwafel hier soll (manchmal muss man halt etwas weiter ausholen) und wo denn bitte der Konzertbericht bleibt – nun, der kommt jetzt. Zunächst einmal die harten Fakten: dEUS spielen insgesamt – leider vergesse ich, auf die Uhr zu gucken, aber ich schätze mal – eine Stunde und 45 Minuten. Die Playlist liest sich folgendermaßen (sorry, da müsst ihr jetzt duch): Pocket revolution/ Magdalena/ Instant street/ Fell off the floor, man/ Stop – start nature/ Via/ The real sugar/ Worst case scenario/ If you don’t get what you want/ Theme from turnpike/ Put the freaks up front/ Nothing really ends/ For the roses/ Sun ra/ Assault on magnus/ Serpentine/ Bad timing. Und als Zugabe: Little arithmetics/ What we talk about/ Suds & soda. Als weitere Zugaben sind noch Cold sun/ Magic hour/ 7 days 7 weeks/ Include me out gelistet. Welche Umstände allerdings erfüllt sein müssen, damit diese Songs gespielt werden…mmh? Ob die überhaupt auf einem der Deutschland-Gigs gespielt wurden? Wer da mehr weiß, bitte mal Bescheid sagen! Darüber hinaus beeindrucken dEUS mit einer ganz wunderbaren Lightshow. Meistens werden die Protagonisten von hinten angestrahlt, mitunter gezielt hervorgehoben. Die Aufteilung auf der Bühne sieht übrigens folgendermaßen aus: von links nach rechts in einer Reihe Klaas Janzoons an Geige/ Keyboard/ was sonst noch so anfällt, daneben Tom Barman mit Gitarre, gefolgt von Mauro Pawlowski ebenfalls an der Gitarre und schließlich Alan Gevaert (der rein optisch problemlos als einer der BEE GEES Brüder durchgehen könnte) am Bass. Dahinter thront Stephane Misseghers mit seinem Schlagzeug. Also alles wie gehabt. Aber zurück zur Lightshow. Es herrschen Rot- und Blautöne vor, zuweilen gibt es auch Strahlenkegel, was besonders beeindruckend wirkt. Ein ziemlich beachtlicher Aufwand, wenn man bedenkt, dass die Große Freiheit mit einer Kapazität von 1600 Besuchern jetzt ja auch nicht sooo groß ist. Was sonst noch zur Großen Freiheit zu sagen wäre: die Bühne ist bestimmt fünf Meter hoch. Das ist schön, da kann man auch von hinten noch ganz prima gucken. Vorne kriegt man allerdings Nackenstarre.
Das Set an sich ist ziemlich ausgeglichen. Alte und neue Songs wechseln sich konstant ab. Müßig zu erwähnen, dass die alten Gassenhauer besonders euphorisch gefeiert werden, allen voran das abschließende „Suds & soda“. Am Anfang allerdings schon etwas komisch, Mauro Pawlowski an den Stellen zu hören, wo eigentlich Craig Ward hätte einsetzen sollen. Mauro übernimmt generell die zweiten Vocals, unterstützt wird er dabei gelegentlich noch von Alan Gevaert. Bleibt noch zu erwähnen, dass Mauro Pawlowski sich ganz hervorragend auf der Bühne macht und auch genau dort hingehört! Überraschenderweise gibt es auch einen MAGNUS-Song zu vermelden, der, wie Tom Barman vorher richtig einschätzt, die meisten Anwesenden etwas ratlos zurück lässt. Alles in allem ein perfektes Konzert. An der Genialität dieser Band ist eh schon seit langem nicht mehr zu zweifeln.
Um bei der ganzen dEUS-Euphorie die Vorbands nicht zu vergessen, geht es jetzt mal chronologisch rückwärts weiter. Der eigentliche Tour-Support wird ja von AMUSEMENT PARKS ON FIRE bestritten. Heute gibt es, als Sahnehäubchen sozusagen, noch THE FRAMES gratis dazu, die am vorigen Tag bereits ihre eigene Show in Hamburg gespielt haben. Ich muss ja zugeben, dass ich diese Band bisher noch nicht auf’m Plan hatte. Ich tippe mal, die kommen aus Irland. Liegt wohl an der Fiedel. Der Sänger ist aber auch nicht ganz unschuldig. Überhaupt, was der da auf der Bühne abzieht, hätte man ihm gar nicht zugetraut, so handzahm wie der aussieht. Kein Wunder, der hat ja bei diesem Commitments-Film mitgespielt, wie ich hinterher feststelle. Daher also das Unterhaltungstalent. Und er kommt natürlich tatsächlich aus Irland. Und Craig Ward hat seine Finger bei einer der letzten Platten von THE FRAMES im Spiel. Da hätten wir also die dEUS-Verbindung. Am Ende ihres Sets stimmen sie dann auch noch „Hotellounge“ an. Das lockt sogar Tom Barman an den Bühnenrand. Sympathische Band. Tolle Musik. Wieder was dazu gelernt.
Eröffnet wird der Abend mit AMUSEMENT PARKS ON FIRE. Die bestehen eigentlich nur aus einem gewissen Michael Feerick, Typ blasser Engländer. Gerade mal 21. Hat das ganze Album im Alleingang eingespielt. Der war bestimmt ein Außenseiter in der Schule. Für die Bühne hat er sich dann aber doch ein paar Leute besorgt. Wäre sonst wohl auch schwierig, diese Wall of Sound allein zu generieren. Und mit Wall of Sound meine ich tatsächlich eine Geräuschwand, die da aus den Boxen knallt und eine Druckwelle erzeugt, die dich locker fünf Meter zurück wirft. Eine merkwürdige Angewohnheit hat dieser junge Mann allerdings. Wenn er nicht gerade am Singen ist, kaut er auf seiner Kette rum. Na, dass er sich da mal nicht verschluckt! Ich sag ja, Außenseiter.
Keine zwei Minuten nachdem dEUS die Bühne verlassen haben, wird man auch schon per Absperrband Richtung Ausgang befördert. Eine wirklich ungemütliche Unart, die manche Clubs da praktizieren! Wenn man noch die Bryan Adams-Umbaupausen-Musikberieselung dazu nimmt, sammelt die Große Freiheit nicht wirklich Sympathiepunkte. Auch enttäuschend ist der Merch-Stand – lediglich T-Shirts. Und auch nur zwei verschiedene Motive. Da hat sich aber jemand keine Mühe gegeben.
Ansonsten gibt es an diesem Abend aber rein gar nichts auszusetzen!