Die Elbphilharmonie ist momentan in aller Munde. Die Konzerte sind bis zum Ende der Saison komplett ausverkauft – für Karten werden auf dem Schwarzmarkt Summen geboten, dass einem schwindelig wird. Dass der Bau der Elbphilharmonie und die damit verbundene Kostenexplosion durchaus kritisch betrachtet werden kann und auch soll, steht außer Frage. Trotzdem ist es für musikinteressierte Menschen natürlich spannend, wenn in der Heimatstadt ein neues Konzerthaus eröffnet, das von der Gestaltung und Akustik zu den weltbesten gehören soll. In der Mediathek findet man hier einen wirklich guten Bericht, der den Bau der Elbphilharmonie begleitet, und in dem man einen Einblick bekommt, wie detailverliebt die Gestalter zum Beispiel bei der Wahl der richtigen Lampen vorgingen und der Akustiker darüber entschied, ob die Stoffe der Konzertsessel verklebt werden müssen oder nicht.
Bei aller Kritik versuchte Hamburgs Bürgermeister Scholz die Hamburger zu besänftigen, indem er versicherte, dass die Elbphilharmonie kein Gebäude für die Eliten sei, sondern dass moderate Preise Besucher aus allen Gesellschaftsschichten und Stadtteilen anlocken solle. In der Tat konnte man vorab Tickets für die EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN ab zehn Euro ergattern, und selbst Tickets für RICCARDO MUTI und das CHICAGO SYMPHONY ORCHESTRA ab 15€ kann man wahrlich nicht als hochpreisig bezeichnen. So wollten auch wir uns einen Blick von Hamburgs potenziell „neuem Wahrzeichen“ von innen gestatten.
Zur Eröffnung fiel auf, dass es zwar keinen offiziellen Dresscode gab, ein Anzug mit Krawatte aber anscheinend zum Standard der Konzertbesucher gehörte. Umso mehr reizte es mich, das Konzert des CHICAGO SYMPHONY ORCHESTRAs bewusst in Karohemd, Röhrenjeans und Stiefeln zu besuchen. Tatsächlich war ich damit so etwas wie der Hahn im Korb, nur ein pubertierender Jugendlicher mit Totenkopfmütze und ein vermeintlicher Künstler im grünen Anzug mit roter Strickmütze ragten ansonsten aus dem Gros der Business Abendgarderobe heraus. Außerdem war überraschend, dass das Publikum offenbar nur zu einem kleinen Teil aus Hansestädtern bestand. Um mich herum wurde auf Englisch, Niederländisch und in den diversesten Dialekten gesprochen, während von der „Plaza“ der Blick auf Hamburg genossen wurde oder in den großen Foyers mit einem Störtebeker Pils oder einem Pinot Noir angestoßen wurde.
Als der Saal schließlich geöffnet wurde, hatte dies den Anschein einer Ausstellung. Die Gäste strömten in den Konzertsaal und begutachteten jedes Detail. Ein Foto von der „Weißen Haut“, ein Selfie vor den riesigen Orgelpfeifen oder ein Panorama-Bild vom gesamten Saal. Das passte irgendwie so gar nicht zur formellen Garderobe der Gäste, nahm dem ganzen Abend aber etwas die Steifheit. Den gleichen Effekt hatte der laute Huster aus dem Publikum, kurz bevor Muti das Dirigentenpodest betrat, das in der Stille für einen herzlichen Lacher quer durch den Saal sorgte.
Und die Musik? Muti wählte in der ersten Hälfte zwei Stücke der Neuen Musik aus. Zu Beginn gab es ein Werk des vergleichsweise unbekannten Komponisten Paul Hindemith, der 1895 in Hanau geboren wurde. Auch wenn Hindemiths Musik häufig als rau und ungewohnt bezeichnet wurde, fiel es nicht schwer, sich auf das Stück einzulassen. Das folgende leichtfüßige „In the south“ von Edward Elgar vertont dessen Urlaubserinnerungen an den italienischen Küstenort Alassio. Ein perfekt gewähltes Stück, das viele melodische Momente bietet, musikalisch jedoch die ganze Palette von lauten Marschmusik-Passagen bis zum filigranen Geigensolo auffährt.
In der zweiten Hälfte folgen mit „Eine Nacht auf dem kahlen Berge“ (Mussorgsky/Rimsky-Korsakow) und „Bilder einer Ausstellung“ (Mussorgsky/Ravel) zwei Stücke, die die Perfektion des Chicago Symphony Orchestras eindrucksvoll unter Beweis stellten. Von fortissimo bis pianissimo wurde alles geboten, dazu zahlreiche Soli (Querflöte, Saxophon, Geige, Klarinette) und zum Ende sogar Glockenschläge. Nach Fehlern konnte man hier vergeblich suchen, und das bei einem hundertköpfigen Orchester – eindrucksvoll! Dazu der glasklare Klang, ganz so als ob man jedes Instrument einzeln mikrofoniert und perfekt abgemischt hätte. Doch die beeindruckende Akustik hat auch ihre Nachteile – neben den Instrumenten hört man leider auch jedes Husten und Getuschel aus den Zuschauerrängen ausgesprochen gut. So gut sogar, dass Muti sich mitten im Konzert umdrehte und erbost ins Publikum blickte. Im Anschluss an das Konzert erklärte er in lockerer Stimmung, dass die Akustik dies eben auch auf das Dirigentenpodest überträgt und er irritiert gewesen sei. Als Wertschätzung für die euphorischen Standing Ovations folgte mit Verdis „Les vêpres siciliennes“ noch eine zwanzigminütige Zugabe, bevor das Publikum selig nach Hause ging.
Fazit: In der Pause muss man sich mit dem Wein beeilen, die Wege sind nicht unbedingt die kürzesten. Aber die Elbphilharmonie ist ganz sicher einen Besuch wert – insbesondere dann, wenn eines der weltbesten Orchester den Saal erklingen lässt.