Wenn ich mich richtig entsinne, bin ich mit BLECHREIZ zum ersten Mal Mitte der Neunziger über den dritten Teil der „Ska… Ska… Skandal!“-Serie in Berührung gekommen. Damals befand sich die Ska-Musik in Deutschland gerade auf einem Höhenflug, und Bands wie NO SPORTS, SKAOS, THE BUSTERS, EL BOSSO & DIE PING PONGS oder eben BLECHREIZ tourten Wochenende für Wochenende quer durch die Republik, wobei die Auftritte gerade in „neuen Bundesländern“ durch die traditionelle Verknüpfung von Ska-Musik mit der Skinhead-Szene nicht immer unproblematisch waren. Nach einer zwischenzeitlichen Auflösung fand sich die Berliner Band 2008 wieder zusammen und hat jüngst mit „Flight of the Bumble Bee“ eine Compilation mit bereits bekannten, aber zum Teil neu eingespielten Liedern aus ihrem Repertoire veröffentlicht. Wir befragten Frontmann Prüfer per Mail zu den Hintergründen dieser Veröffentlichung, den Auswirkungen das Corona-Pandemie auf die Band und seinen Erinnerungen an die BLECHREIZ-Konzerte während der sogenannten „Baseballschläger-Jahre“.
Hallo nach Berlin! Wie alle anderen Bands war auch BLECHREIZ in den vergangenen beiden Jahren von der Corona-Pandemie betroffen. Welche konkreten Auswirkungen hatte die Pandemie für euch als Band? Welche Pläne mussten über Bord geworfen werden, und was hat die Situation wirtschaftlich für euch bedeutet?
Es wurden natürlich ‚zig Konzerte abgesagt oder verschoben. Die Bandkasse wurde total runtergerockt, und wir mussten privat drauflegen. Glücklicherweise verdienen die meisten von uns noch außerhalb der Musik-Branche ihr Geld, so dass es in finanzieller Hinsicht für uns persönlich nicht dramatisch war. Aber natürlich kennen wir lauter Leute, die richtig schwer gelitten haben und ja eigentlich zwei Jahre Berufsverbot hatten. Freie Mitarbeiter in Clubs, Beleuchter, Ton-Mixer, Band-Promoter, Boxenschieber, Bühnenbauer, Tour-Manager und viele Musiker. Einige Clubs und Veranstalter hat es ja auch getroffen, und noch immer ist es für die allermeisten Beteiligten schwer. Private Rücklagen sind aufgezehrt, Clubs fahren auf Sparflamme, und auch das Publikum geht nicht mehr so aus wie vor der Pandemie. Uns selbst hat es – wie gesagt – nur gestreift, aber als Live-Band quasi ein Auftrittsverbot zu haben, ist auch schon scheiße. Nun wollen alle Bands händeringend spielen, jeder will auf die Bühne und vor Leute. Das drückt die Preise, die sowieso im Keller sind, da sich die Clubs verständlicherweise nicht trauen, groß ins Risiko zu gehen. Wir als 10-Mann-Band verursachen ja auch ein paar Unkosten. Aber letztlich können wir nicht wirklich klagen, wir können mit unseren Shows zufrieden sein und sind happy, dass Live-Musik endlich wieder möglich ist.
Wenn ich richtig informiert bin, habt ihr ja 2008 in Originalbesetzung zusammengefunden. Was gab eigentlich damals den Ausschlag für eure Reunion, und auf welchem Intensitätslevel seht ihr die Band im Vergleich mit euren Aktivitäten in den Neunziger Jahren?
Unser Bassist hat im Dezember 2007 zu seiner Hochzeit eingeladen und einen eigenen Tisch für die Ex-Bandmitglieder reserviert. Da haben wir uns nach Jahren der Pause plötzlich alle wieder getroffen und festgestellt, dass alle weiterhin in Berlin geblieben sind. Und da es seinerzeit tatsächlich eine Anfrage aus Japan gab, ob wir dort nicht für eine kleine Tour rüberkommen könnten, war das das große Gesprächsthema an dem Abend. Dann haben wir nach ein paar Bier beschlossen, uns einfach mal in einem Miet-Übungsraum zu treffen um zu schauen, was noch so geht. Das war dann ein magischer Moment, als wir gemerkt haben, dass wir die meisten Songs auf Knopfdruck auch nach fast zwölf Jahren Pause wieder spielen konnten. Irgendwo hinten im Hirn war das bei allen mehr oder weniger eingebrannt. Irgendwie schon etwas spooky. Aber das hat den Ausschlag gegeben, dass wir ein paar Wochen danach unser Reunion-Konzert in Berlin im Roten Salon gegeben haben. Der Club war total ausverkauft, viele mussten vor der Tür bleiben, und der Gig war eine Riesenparty. Aus Japan wurde dann zwar nichts – aber wir waren wieder zusammen und wurden sofort auf einige Festivals gebucht. Das hat sich bis heute so gehalten. Allerdings machen wir nur noch Cherry-Picking, suchen uns also die Konzerte genau aus und treten viel weniger auf als in der Zeit vor 1996. Damals waren wir ja ständig unterwegs, drei mehrwöchige Touren im Jahr und dann noch die meisten Wochenenden on the Road. Was ja auch der Grund war, warum wir im Mai 1996 unsere Abschiedstour gemacht hatten, um endlich mal auch ein Privatleben führen zu können. Das hat dann auch ziemlich schnell zu einigen Ehen und Kindern geführt.
Auslöser für dieses Interview war eure CD „Bumble Bee“, die jüngst über das Label Pork Pie erschienen ist. Diese enthält eine Zusammenstellung bereits bekannter Songs von euch, von denen ihr einige allerdings neu eingespielt habt. Vor einigen Jahren erschien mit „Those were the days“ bereits ebenfalls eine Compilation mit altem Material. Weshalb jetzt also diese erneute Retrospektive, und warum habt ihr einige der Titel neu eingespielt?
Weil wir da Bock drauf hatten. Das Album „Those were the days“, das Du ansprichst, war damals auch nur eine Notlösung in Selbstproduktion. Da haben wir einfach ein paar neu aufgenommene Studiostücke mit Songs der vorherigen CDs im Copyshop zusammen kompiliert, um bei den Live-Konzerten etwas verkaufen zu können. Das neue Album „Bumble Bee“ ist jetzt natürlich eine richtige Profi-Produktion über Pork Pie, bei dem ein paar wieder vollkommen neu eingespielte Stücke und ansonsten komplett remasterte Tracks drauf sind, da es ja unsere alten Alben aus den Neunzigern nicht mehr im Handel gibt. Da aber das die Stücke sind, nach denen wir immer gefragt wurden… – hier sind sie! Und bei drei Titeln haben uns die Bläser von der bekanntesten Ska-Band Kolumbiens mit Trompete, Saxophonen und Posaune unterstützt, denn die sind Fans von uns und haben auch schon Stücke von uns auf ihren eigenen Konzerten gecovert. Da ist sozusagen eine tolle Übersee-Freundschaft entstanden, und wenn es irgendwie möglich ist, wollen wir natürlich gerne mal nach Kolumbien und mit denen ein paar Shows spielen. Neben Mexiko ist auch Kolumbien ja momentan eins der Länder, in denen Ska gigantisch groß ist – vollkommen anders, als in Europa oder sonstwo auf dem Globus. Dort finden ständig unfassbar große Festivals statt, in Stadien mit vielen Tausenden von ausrastenden Fans. Absolut beeindruckend in irren Dimensionen.
Der einzige Kritikpunkt in meinem Review zu der CD war im Grunde, dass es aus meiner Sicht keine vier verschiedenen Varianten des Stückes „Bumble Bee“ benötigt hätte. Weshalb habt ihr euch dafür entschieden, all diese Versionen dort zu verwenden?
Der Song „Bumble Bee“ ist ja quasi unser Hit. Der gehört weltweit zu den bekanntesten Ska-Songs aus Deutschland, und dazu haben wir schon ganz viele Messages und Filmchen bekommen, wie irgendwelche Fans, Rudies oder Skins dazu abtanzen, eben irgendwo in Mexiko, Südamerika, USA oder in Südost-Asien, zum Beispiel. Da wollten wir mal alle momentan existierenden Versionen verewigen. Kann man nun toll oder doof finden – aber das war die Idee. Und die vierte Version ist ja auch ein elektronischer Remix – das ist mehr oder weniger etwas Eigenes. Aber wenn Du Dich daran störst, dann sieh die Titel doch einfach als Bonus-Tracks. Denn auch ohne die vier Titel hat das Album ja noch 12 Tracks – was ja schon Albumlänge ist.
Arbeitet ihr aktuell eigentlich auch an neuen Songs, und wenn ja, gibt es Pläne, diese mittelfristig aufzunehmen und zu veröffentlichen?
Ja.
Ihr kommt ja auch in dem Buch „Ska im Transit“ zu Wort, in dem west- und ostdeutsche Ska-Bands ihre Eindrücke aus der Zeit rund um den Mauerfall schildern. Einen wichtigen Aspekt nimmt dabei auch das Thema rechte Gewalt ein, zu dem ihr damals mit eurem Stück „Gewalt regiert“ klar Stellung bezogen habt. Welche Erinnerungen habt ihr, wenn ihr heute an diese Zeit zurückdenkt? Wo habt ihr als Band besonders heikle Situationen erlebt? Und wie schätzt ihr die Situation heutzutage ein, wenn ihr in den sogenannten „neuen Bundesländern“ auf Tour seid?
Die Zeit ab dem Mauerfall hier in Berlin von November 1989 und bis zu unserer Abschiedstour 1996 wird für den Osten auch gerne mal „Baseballschläger-Jahre“ genannt. Als Band aus Berlin war es für uns natürlich erstmal eine vollkommen wahnwitzige Erfahrung, dass es von einem Tag zum anderen ein völlig neues Land um uns herum gab, in dem wir lauter Städte mit lauter Clubs und lauter Leuten bespielen konnten. Also nicht erst über die Transitstrecke ein paar Stunden von West-Berlin bis über Hof nach Bayern oder über Helmstedt/Marienborn nach Niedersachsen, sondern sozusagen vor der Haustür. Alles Orte, deren Namen wir meistens vorher noch nie gehört hatten. Aber schon nach den ersten Monaten kam diese immense rechte Szene im Osten auf. Die gab es natürlich auch im Westen – wo wir in verschiedenen Orten auch schon Stress mit Nazis hatten – aber in den neuen Bundesländern war es irgendwie präsenter. Wir waren in der Zeit auch unheimlich viel im Osten unterwegs. Da wir sofort nach dem Mauerfall schon eine Tour durch die neuen Bundesländer gemacht hatten, hatten wir sozusagen einen deutlichen Vorsprung zu vielen anderen Ska-Bands, die aus dem Westen kamen, und hatten schon eine Fan-Gemeinde. Damit haben wir natürlich auch die Probleme, die durch die Überschneidung der Ska- mit der Skinhead-Szene in Verbindung mit vielen rechten Glatzen zustande kamen. In der Rückschau muss man aber wohl sagen, dass wir damit einen relativ guten Umgang gefunden haben. Oft hat geholfen, Stress und Spannungen im Publikum durch aggressives Abkochen des Publikums von der Bühnenkante zu beantworten. Wenn rechte Arme gereckt wurden, sofort abbrechen, zurückstressen oder dafür sogen, dass die Rechten mehr oder weniger freundlich hinausgebeten wurden. Ansonsten gab es hier und da mal Rangeleien, fliegende Bierflaschen gegen uns oder eingeschlagene Bus-Scheiben. Aber das war es eigentlich auch. Wir haben unsere Gigs damals auch immer dazu genutzt, das damals ganz neue SHARP (Anm. d. Redaktion: SHARP („Skinheads Against Racial Prejudice“) ist eine antirassistische Skinhead-Bewegung, die sich Ende der 1980er Jahre als Gegengewicht zum damals vermehrten Abdriften der Skinhead-Szene nach Rechts gebildet hat) zu promoten, das antifaschistische Fanzine „Skintonic“ zu verkaufen und ganz viel mit Skins zu diskutieren. Heute kann man sich viel davon kaum noch vorstellen. Die rechten Vollidioten haben ihre ganz eigene Tracht und eigene Musikszene und nerven auf Ska-Konzerten eigentlich überhaupt nicht mehr. Aber grauenhafte Ereignisse wie Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Mölln und Solingen bleiben uns natürlich im Gedächtnis. Aus unseren eigenen Erfahrungen mit Rechten und Nazis und aus den medial verbreiteten Exzessen ist auch der Song „Gewalt regiert“ zustandegekommen. Der ist ja auch auf dem neuen Album drauf. Klare Kante gegen rechts!
Zum Abschluss dieses Interviews nochmal ein Blick in die Zukunft: Wie es derzeit aussieht, werden in diesem Jahr endlich wieder größere Festivals und Konzerte stattfinden können! Welche Konzerthighlights hält das Jahr 2022 noch für BLECHREIZ bereit?
Oh, da ist viel in Arbeit! Neben ein paar Auswärtsspielen ist der nächste große Meilenstein unser Vinyl-Release-Konzert in Berlin Kreuzberg im SO36 am 03.09.22. Da spielen lauter befreundete Ska-Bands aus Berlin mit uns, die SPARTAN ALLSTARS, THE UNLIMITERS und DIE SPÄTILITES – das wird eine mega Party! Und dann sind noch ein paar Anfragen aus Prag, Antwerpen und sonstwo in der Pipeline. 2023 beginnt für uns unser Jubiläumsjahr „40 Jahre Blechreiz“ mit einem Engagement beim „Ska Delicious“-Festival in Leipzig im Werk2… – drücken wir mal alle die Daumen, dass uns Corona im Herbst keinen Strich durch die Rechnung macht.