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THE NATIONAL – Melancholie im Nieselregen

Es hat im Stadtpark in den vergangenen Jahren schon viele gute, zumindest interessante Konzerte gegeben: JAMES BROWN, PHOENIX, PINK, KYUSS, AMY WINEHOUSE, ARCTIC MONKEYS, THE CURE… Aber in diesem Jahr sieht die Ausbeute an guten Acts bei ca. 30 Konzerten etwas mau aus: THE NATIONAL, die EDITORS, vielleicht auch noch HELGE SCHNEIDER. Das war’s dann schon. In der Regel geht der durchschnittliche Hamburger meistens eh nicht „rein“, sondern investiert sein Geld lieber in Grillkohle, Bier und Fleisch oder Gemüse für den Grill. Dann Deckchen unter den Arm geklemmt und früh einen Platz in der Nähe der Freilichtbühne sichern. Oftmals genauso nett.
Wenn man dann aber doch mal drinnen ist, ist das schon eine kleine Besonderheit. Deshalb war ich wirklich gespannt auf das Konzert von THE NATIONAL, die von ST. VINCENT supportet wurden. Hinter ST. VINCENT steckt vor allem Annie Clark, die als Gitarristin von SUFJAN STEVENS startete, es aber mittlerweile schon auf vier Studioalben gebracht hat und unter anderem mit POLYPHONIC SPREE und DAVID BYRNE von den TALKING HEADS kollaborierte. Ich muss gestehen, dass ich bis zum heutigen Konzert noch nichts von ihr mitbekommen hatte, allerdings scheint die Presse von der Vielfältigkeit in ihren Alben begeistert. Da wird von Cineast-Pop-Barjazz-Brass-Funk-Folk-Postrock-Zirkusmusik gesprochen und ihre mutigen Sound-Experimente gelobt. Bands, die es dem Journalisten schwer machen, weil keine Schublade so recht passen will, gefallen mir nicht selten ziemlich gut, allerdings wirkten ST. VINCENT auf mich, als ob sie zwar viel Show für die Augen, aber nur ziemlich glattgebügelten Synthie-Pop für die Ohren bieten. Die größte Attraktion schien mir zwischendurch die Unterscheidung von Gitarren- und Synthie-Sounds. Vielleicht wurde aber auch hauptsächlich auf Songs des neuen Albums zurückgegriffen, über das Annie im Interview selbst sagte: „Mein Ziel war eine Party-Platte, die man auch auf einer Beerdigung spielen konnte.” Wer weiß…
Und wie lässt sich so eine quirlige Vorband wie ST. VINCENT mit THE NATIONAL kombinieren? Es hätte gar nicht der aufziehenden grauen Wolken bedurft – wenn die Mannen um Matt Berninger die Bühne betreten und ihre melancholischen Songs unters Volk bringen, setzt sogleich eine komplett andere Stimmung ein, die dich am Herzen packt und bis zum Ende des Konzertes nicht mehr loslässt.
Los ging es mit zwei Songs ihres aktuellen Albums „Trouble will find me“, und man hatte den Eindruck, dass Berningers Stimme noch tiefer und heiserer war als auf Platte. Und er selbst? Ähnelt immer mehr einem Jürgen Klopp. In Optik, Dreitagebartlänge und Unkontrolliertheit. Nur, dass er in seinem schnieken Anzug definitiv besser gekleidet ist und sein wildes Temperament vielleicht auch auf den exzessiven Alkoholkonsum zurückzuführen ist, den er auch während der Show auslebt. Da wird mittendrin eine Flasche Wein in die Luft geschleudert und diverse halbvolle Becher Bier ins Publikum geworfen, während er singt „I´m afraid of everyone.“ Vielleicht ist Alkohol nötig, um sich in eine solche Stimmung zu versetzen und eine so perfekte Stimme zu kriegen.
Dass außerdem sein Mikrofonständer auffällig oft umfiel und in der Zugabe ein Song sogar ein zweites Mal begonnen werden musste, weil er den Text vergessen hatte, kommentierte einer der beiden Dessner-Brüder an der Gitarre mit den Worten: „Komischerweise ist das Publikum bei Fehlern am euphorischsten.“
Noch euphorischer reagierten die Zuschauer allerdings auf Berningers mehrfache Ausflüge ins Publikum. Sehen konnte man von ihm zwar nichts mehr, seinen aktuellen Aufenthalt allerdings an der Menge der hochgehaltenen Smartphonekameras erahnen. Und nebenbei hat man dazugelernt, dass es durchaus Mikrokabel mit einer Länge von ca. 100 Metern gibt.
Nach fast zwei Stunden Musik mit einer ausgewogenen Mischung an Songs von allen vier bisher veröffentlichten Alben folgte zum Abschluss noch ein wahres Highlight: für die akustische Version von „Vanderlyle crybaby geeks“ trat die Band mit Licht von hinten vor die eigentliche Bühne – ungeachtet des einsetzenden Nieselregens. Was für ein Bild!