Es kommt nicht oft vor, dass eine HipHop-Platte den Weg zum Blueprint-Fanzine findet. Ich glaube sogar, dies hier ist die Premiere, zumindest seit ich mit an Bord bin. Wir sind halt eher ein Indie-Punk-Hardcore-Postrock-Songwriter-Magazin, was aber nicht automatisch heißt, dass wir uns anderen Stilen komplett verschließen würden. Ganz im Gegenteil: Auch ich hatte mal eine HipHop-Phase! Es mag so Anfang bis Mitte der Neunziger gewesen sein, als ich (damals noch konspirativ anmutende) Jams besuchte, in Nacht-und-Nebel-Aktionen die Sprühdosen schwang und mein spärliches Taschengeld in deutsche Rap-Produktionen oder teuer importierte East Coast-Vinyls investierte. Doch spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem die hiesige HipHop-Kultur zum Spielplatz rumprollender Halbstarker verkam, hatte sich das Thema Rap-Musik für mich weitestgehend erledigt. Plötzlich ging es im HipHop nur noch um Titten, Gangstertum und Selbstdarstellung und nicht mehr um Subkultur, Selbstverwirklichung und eine gesellschaftskritische Grundhaltung. Wie rappten CITY NORD so treffend in ihrem Stück „Zeiten ändern sich“: „Der jüngste Sohnemann fasst plötzlich Mikrophone an, erzählt von seinem großen Schwanz und dass er derbe posen kann“…
Doch zum Glück gab und gibt es auch immer wieder Gruppen, die ganz ohne pubertäre Schaumschlägerei und prahlerische Battle-Texte auskommen und auch musikalisch gewillt sind, die ausgelatschten HipHop-Pfade zu verlassen. Man denke zum Beispiel an die „Flashizm“-LP der ABSOLUTEN BEGINNER oder an die frühere Hamburger Formation ROTES HAUS, die versucht hat, politischen Sprechgesang mit verschiedensten Einflüssen wie Punk, Dub, Indie-Rock oder Drum´n´Bass zu kreuzen. Und auch SON KAS kann man sicherlich in die Kategorie „Rap mit Innovationstendenzen“ verorten, denn das Projekt von Rapper Epilog und Rhythmustüftler Azabeats zeichnet sich dadurch aus, dass es völlig anders klingt als das, was man gemeinhin von deutscher Rap-Musik erwartet. Anstatt auf das gängige Konzept in Form von aufgeblasenen, dauergeloopten Beats zu bauen, werden hier vielschichtige und fein ausgearbeitete Klanglandschaften aus melancholischen Piano-Klängen, noisigen Parts und knarzigen Elektro-Fragmenten zusammengesetzt. Sie selbst bezeichnen ihre Musik einfach als „Post-Rap“, was man ruhigen Gewissens so stehen lassen kann. Sie experimentieren herum und sprengen dabei immer wieder die eng gesteckten Genre-Grenzen. Dazu gesellen sich die größtenteils sehr versierten Texte von Epilog, der sich in seinen Raps neben einigen persönlichen, teils geradezu poetischen Inhalten überwiegend politischen bzw. gesellschaftskritischen Themen widmet. „Die Gegendemo gegen Leben im Halbschlaf / Wachkomawandeln in Arbeitsschleifen / Reih´ dich ein und beschränk dich / Kauf einen neuen Fernseher, drück Tasten starr und starr / Und starr auf Bildschirme, weil sie wenigstens warm werden im Winter“ Derartige Zeilen findet man im deutschen Sprechgesang leider viel zu selten.
„Wasserleichentreiben“ ist gewiss kein besonders leicht verdauliches Album, dass man mal schnell nebenbei konsumieren kann. Es ist vielmehr ein Album, dass sich einem erst beim genaueren Hinhören erschließt und in erster Linie als abstraktes Gesamtwerk funktioniert. SON KAS zeigen, dass HipHop auch im Jahre 2010 noch über ein gewisses Weiterentwicklungspotential verfügt, und gerade das macht diesen Longplayer letztendlich so interessant.