Eigentlich seltsam: Obwohl seit Ende der 80er Jahre eine mal mehr, mal weniger florierende Ska-Szene in Deutschland existiert, ist bislang noch niemand auf die Idee gekommen, ihre Geschichte und Entwicklung in Form eines Buches zu dokumentieren. Im Gegensatz zur Punk- und Hardcore-Szene, zu der es tonnenweise Lektüre gibt, betreten Pork Pie-Gründer Matthias „Matzge“ Bröckel und die frühere Mitherausgeberin der prägenden Skinhead-Fanzines „Skintonic“, „Skin up“ und „Oi!Reka“, Emma Steel, in diesem Fall also literarisches Neuland und beleuchten die Anfänge der hiesigen Offbeat-Kultur. Der Buchtitel „Ska im Transit“ resultiert daraus, dass das Augenmerk des Buches nicht nur auf der damals populäreren West-, sondern gleichermaßen auch auf der parallel existierenden Ostdeutschen Ska-Szene liegt. Denn während im Westen Bands wie SKAOS, NO SPORTS, THE FRITS, BLECHREIZ, THE BUSTERS oder EL BOSSO & DIE PING PONGS zusammenfanden und schnell ein eigenes Netzwerk gründeten, existierten auch östlich der Mauer Bands wie MICHELE BARESI oder MESSER BANZANI, die unter anderen Voraussetzungen einen ähnlichen Sound fabrizierten.
In „Ska im Transit“ kommen Mitglieder all dieser Bands sowie zahlreiche weitere Szene-Protagonisten zu Wort und schildern ihre Eindrücke und Erinnerungen aus der damaligen Zeit. Um ein möglichst vollständiges Bild der Szene-Entwicklung zu ermöglichen, haben sich die Herausgeber des Buches entschieden, allen vertretenen Personen identische Interviewfragen zu stellen, wodurch sichergestellt ist, dass alle erfragten Themenbereiche von allen Befragten abgedeckt werden. Zudem entsteht hierdurch eine gewisse Transparenz, da beispielsweise identische Situationen von verschiedenen Personen unterschiedlich wahrgenommen wurden. Der aus meiner Sicht spannendste Aspekt ist dabei die Frage nach den ersten Ost-/West-Kontakt der jeweiligen Personen, da das Erwachsen der deutschen Ska-Szene genau in die Zeit des Mauerfalls fiel und die neue politische Situation vor allem in der ehemaligen DDR einerseits mit einer gewissen Aufbruchstimmung, zugleich aber auch einem massiven Neonazi-Problem einherging. Andere Fragen beziehen sich beispielsweise darauf, wie man selber zum ersten Mal mit Ska-Musik in Berührung kam, welche Infrastruktur den Ska-Aktivisten in den Anfangstagen zur Verfügung stand oder welche Festivals damals für die Entwicklung und Vernetzung der Szene maßgeblich waren. Die Antworten auf diese Fragen fallen dabei je nach Interviewpartner mal nüchtern-sachlich, mal sehr locker und unterhaltsam aus, was im Endeffekt ebenfalls dazu beiträgt, dass aus den unterschiedlichen Mosaikteilchen ein relativ umfassendes Gesamtbild entsteht.
Auch wenn „Ska im Transit“ aufgrund seines konsequent durchgezogenen Interviews zugleich ein etwas wissenschaftlicher Touch anhaftet, kommt der Unterhaltungsfaktor aufgrund zahlreicher eingestreuter Fotos und Anekdotenblöcke nicht zu kurz. Obendrein wird am Anfang des Buches noch einmal die Historie des Ska in Kurzform wiedergegeben, so dass auch Personen ohne umfangreiches Hintergrundwissen einen Eindruck davon erhalten, unter welchen Voraussetzungen dieser Musikstil den Weg nach Deutschland gefunden hat. Insofern sei dieses Nachschlagewerk nicht nur eingefleischten Rude Boys, sondern auch generell musikinteressierten Menschen wärmstens empfohlen.
Autoren: Emma Steel & Matt Ska
Herausgeber: Edition NoName
Seitenzahl: 160 (gebunden)
Erscheinungsdatum: 29.06.2018