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SAINT THOMAS – Prozentrechnung auf Norwegisch

Mein erstes Interview also. Der glückliche Hauptgewinner ist SAINT THOMAS, bürgerlich Thomas Hansen, der gerade mit seinem neuen, fünften Album "Children of the new brigade" unterwegs ist. Wir sind in München. Das Konzert wurde kurzfristig ins Atomic Café verlegt. Zum Glück habe ich zwei ortskundige Münchnerinnen bei mir, so dass wir trotzdem pünktlich um acht vor der Tür stehen. Herein gelassen werden wir von Terry, seines Zeichens Vater und Tourbegleiter von Thomas und Ansprechpartner für mich. Richtig gesprächig ist er allerdings nicht. Auskunftsfreudigkeit geht jedenfalls anders. Der Soundcheck ist noch in vollem Gange. Das Interview, was für 20 Uhr angesetzt war, muss dann wohl noch warten, zumal vor mir noch ein Radiosender dran ist. Freundlicherweise reicht uns der Barmann schon mal drei Bier rüber. Bezahlen könnten wir ja später, jetzt hat er noch kein Geld da. Nach einer guten Stunde – der Einlass hat bereits angefangen – mache ich mich dann vorsichtshalber doch mal auf die Suche, zumal von Terry nämlich auch schon längst nichts mehr zu sehen ist. Schließlich werde ich fündig und ein paar Minuten später kann das Interview beginnen. Neben Thomas ist auch Bassist Petter Pogo anwesend. Ein bisschen eigen ist dieser Thomas Hansen ja schon. Das fängt bereits bei seinem Erscheinungsbild an. Während er beim Soundcheck noch wie ein normaler Durchschnittstyp aussieht, besteht sein Bühnenoutfit aus einem Blümchen-Oberhemd und 70er Jahre-Anzug plus Cowboystiefel. Einen Cowboyhut gibt es bestimmt auch noch irgendwo. Zu Beginn des Interviews wirkt Herr Hansen noch etwas teilnahmslos. Petter übernimmt die meiste Zeit das Reden. Später taut er dann aber doch noch etwas auf. Müde sei er, habe in den letzten vier Tagen insgesamt nur acht Stunden geschlafen. Es gäbe halt Höhen und Tiefen, wirft Petter ein.

[F] Ist denn heute eher ein Tief?
[A]Petter: Wenn wir auf der Bühne stehen, geben wir immer 100%.
Thomas: München ist eigentlich die Stadt, in der ich am liebsten spiele, wenn ich in Deutschland bin. Das Publikum hier ist gut. Ich denke, das liegt daran, dass wir, als wir vor ein paar Jahren hier MADRUGADA auf Tour begleitet haben, eine gute Show abgeliefert haben. Seitdem kommen immer viele Leute zu den Konzerten. Und sie kennen die Texte. Also freuen wir uns auf den Abend heute. Auch wenn wir müde sind. Ich denke, wenn wir erst mal auf der Bühne stehen, kriegen wir hoffentlich einen Kick.
Petter: Wenn nicht, wäre es das erste Mal, dass das passiert. Wenn du auf die Bühne gehst, kriegst du diesen Adrenalinschub. Du schlägst den ersten Akkord an, beginnst mit dem ersten Song, und dann bist du drin. Das ist ein besonderer Zustand. Das kann man nicht erklären. Da sind dann nur wir drei Typen, die zusammen tolle Songs spielen. Und im besten Fall bekommst du noch vom Publikum einen positiven Vibe.
Thomas: Das Schlimmste ist, vor nur zehn Leuten spielen zu müssen. Es ist viel einfacher vor 2000 Leuten zu spielen. Man fühlt sich stärker, wenn man auf einer großen Bühne steht vor einer großen Menge. Man hat dann mehr Kontrolle. Bei nur zehn Leuten fehlt das Feedback. Du bekommst viel eher Paranoia, weil du nicht weißt, was sie denken oder fühlen.

[F]Kannst du mal einen kurzen Überblick über deine früheren Alben geben für all jene, die dich erst jetzt mit "Children of the new brigade" kennen gelernt haben?
[A]Thomas: Das erste Album, „Mysterious walks“, war eine Art Lernprozess. Es sind eher Demos. Du nimmst die Songs in dem Moment auf, wo sie entstehen, und veröffentlichst, was du eben gerade fertig gestellt hast. Das ist schon ein ganz besonderes Feeling. Beim zweiten Album „I’m coming home“ hatte ich schon eher so was wie einen Plan. Wir haben im Haus eines Freundes mit einem 8-Track Tape-Rekorder und ein paar schlechten Mikrofonen aufgenommen. Das war noch sehr impulsiv. Dann sind wir nach Nashville geflogen, um mit Mark Nevers von LAMBCHOP "Hey harmony" aufzunehmen. Es war unheimlich inspirierend, mit so guten Musikern zu arbeiten. Beim nächsten Album [Let’s grow together – the comeback of St. Thomas] wollte ich wieder zu den Anfängen zurückkehren, alle Instrumente selbst spielen. Also hab ich mich zusammen mit meinem Drummer in die norwegischen Wälder zurückgezogen, um die Platte einzuspielen. Diesmal sollte dann doch wieder das Bandfeeling im Vordergrund stehen. Immerhin spielen wir jetzt seit 18 Monaten zusammen, waren auf Tour und haben die Arrangements gemeinsam gemacht. Ich denke, jedes Album ist unterschiedlich.

[F]Wie schreibst du deine Songs?
[A]Thomas: Zu Hause in meinem Schlafzimmer. Ich muss alleine sein und es muss mitten in der Nacht sein. Ich hab meinen Rekorder, mein Mikrofon, meine Gitarre und ein paar andere Instrumente. Dann schreibe ich die Musik und die Texte. Das dauert zwei bis drei Stunden. Danach nehme ich die Sachen mit in den Proberaum und wir machen die Arrangements.

[F]Du sprichst sehr offen über deine Erwartungen bezüglich der Plattenverkäufe und scheust auch nicht davor zurück, deine Enttäuschung zu zeigen, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden. Da es um deinen Lebensunterhalt geht, ist das auch verständlich…
[A]Thomas: Es geht mehr darum, dass man sein Selbstvertrauen verliert, wenn plötzlich nur noch 20% der Leute, die vorher deine Platten gekauft haben, nun deine neue Platte kaufen, zumindest in Norwegen. Dann gerate ich ins Grübeln und denke, dass ich nicht mehr so gut bin wie früher. An manchen Tagen sieht es mit meinem Selbstvertrauen nicht so gut aus. Darum geht es. Ich mache mir Sorgen, weil ich nichts anderes als das hier machen will. Ich muss davon leben können. Ich will ja kein Popstar sein, der auf der Strasse erkannt wird. Ich will lediglich genug Platten verkaufen, um davon leben zu können. Nach diesen fünf Jahren mit all den Highlights und den Erfahrungen, wäre es verdammt traurig, wieder als Postbote arbeiten zu müssen.

[F]Du hast ziemlich spät angefangen, Musik zu machen – mit 21. Wie kam es dazu?
[A]Thomas: Ich habe Fußball in einem ziemlich guten norwegischen Verein gespielt. Allerdings war ich immer nur Reservespieler. Ich wäre niemals ein professioneller Fußballer geworden. Also habe ich aufgehört. Dann war ich ein paar Jahre ohne Arbeit. Ich hab versucht, Gedichte zu schreiben. Hat aber nicht funktioniert. Ich hab sie an einige Verlage geschickt und sie kamen jedes Mal zurück. Tja, dann hab ich mir eine Gitarre gekauft. Es hat nur ein Jahr gedauert, bis ich einen Plattenvertrag hatte.

[F]Es gab ja einen regelrechten Medien-Hype um dich in Norwegen.
[A]Thomas: Ja, den gibt es immer noch. Ich weiß aber nicht, ob sie diese sehr offene und ehrliche Art von mir mögen.

[F]Du hast mal gesagt, dass du dich eingeengt fühlst, weil du zu offen und zu ehrlich warst.
[A]Thomas: Ja. Ich habe in den letzten anderthalb Monaten alle Interview-Termine in Norwegen gecancelt. Meine Plattenfirma ist immer noch sauer. Es gibt keine richtigen Musikmagazine in Norwegen, also müssen wir mit den Klatschblättern reden. Die interessieren sich aber nur für den oberflächlichen Kram und sind Kommerz-orientiert.

[F]Dein neues Album ist ja ziemlich vielfältig. Einerseits gibt es Gute-Laune-Tanznummern, anderseits ernstere Stücke wie z.B. "Instrumental sound", einer der besten Songs des Albums.
[A]Thomas: Das ist mein Lieblingssong. Wahrscheinlich ist es sogar einer meiner besten Songs überhaupt.

[F]Sind das deine eigenen Kindheitserinnerungen? Warst du dieser eingeschüchterte kleine Junge?
[A]Thomas: Schon. Aber ich war eigentlich nicht derjenige, der am meisten von den anderen verspottet wurde. Ich war zwar ein Außenseiter, und die Leute haben sich schon ein bisschen über mich lustig gemacht und dachten, ich sei merkwürdig. Aber ich habe das alles eher vom Rande aus betrachtet. Wenn einer eine Brille trug oder merkwürdige Klamotten anhatte, wurde er von den coolen Typen und den hübschen Mädchen fies behandelt. Das hat mich ziemlich mitgenommen, und ich hab immer versucht, diese Leute zu unterstützen. Davon handelt der Song. Wir haben unseren Stolz behalten.
Petter: Wir haben nicht versucht, uns anzupassen, nur damit wir nicht mehr fertig gemacht werden. Wir sind einfach wir selbst geblieben. Und das hat sich letztendlich auch ausgezahlt. Man sollte niemals zulassen, dass andere versuchen, einen zu ändern. Genau die Typen, die uns damals verarscht haben, kommen jetzt an und wollen unsere Freunde sein, weil wir jetzt cool sind und in einer Band spielen.

[F]Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit HERMAN DÜNE?
[A]Thomas: An unserem vorletzten Tag im Studio hatten sie einen Auftritt in Norwegen. Also haben wir sie eingeladen, ein paar Overdubs zu machen und ein bisschen zu improvisieren. Wir hatten schon "Sheer wonder", einen meiner absoluten Lieblingssongs, aufgenommen. David von HERMAN DÜNE hat ihn geschrieben. Ich bin wirklich stolz, dass ich sie im Studio hatte. Das sind echt nette Typen. Ich denke, dass sie einen besseren Vertrieb hier in Deutschland brauchen. Ihre Live-Shows sind unglaublich. Sie verdienen ein viel größeres Publikum. Wir versuchen deshalb auch immer, sie ein bisschen zu hypen.

[F]Was man so liest, scheinst du ja auf der Bühne ein richtiger Entertainer zu sein.
[A]Thomas: Na ja, zumindest 75% der Zeit.

[F]Du versuchst, Kontakt mit den Leuten herzustellen.
[A]Thomas: Manchmal haben wir aber auch eine harte Zeit, sind müde und nicht in der besten Laune. Dann starren wir auch eher auf unsere Schuhe. Aber trotzdem mögen es die Leute, denn die Musik ist immerhin das wichtigste. Ein bisschen Plauderei mit dem Publikum zwischen den Songs – wenn man eine gute Verbindung aufbauen kann, ist das toll. Ich hoffe, dass das heute so klappt. Aber ich kann nichts versprechen.
Petter: Wir versuchen, mit den Leuten zu kommunizieren und nicht nur eine Show abzuliefern. Wir lassen sie Fragen stellen, fragen nach Zigaretten oder was zu trinken, erzählen Geschichten oder fragen, warum sie hier sind, was sie so machen.

[F]Was ist denn besser, die Songs im Studio aufzunehmen oder sie live zu spielen?
[A]Beide: Live spielen.
Thomas: Man bekommt eine direkte Reaktion. Klar gibt es auch diese magischen Momente im Studio. Aber das ist nicht dasselbe, wie live zu spielen. Jedes Konzert ist anders. Das hängt mit der Stadt, mit dem Club, mit den Leuten zusammen. Das Essen, das Bier, lokale Gepflogenheiten.

[F]Wie ist denn das deutsche Publikum?
[A]Thomas: Unser liebstes im Augenblick. Die Leute hier sind soviel mehr interessiert. Sie kommen, um wirklich zuzuhören, sind ruhig und wirklich sehr nett.

Nach einer guten dreiviertel Stunde, in der wir noch ein paar Anekdoten vom Haldern-Festival ausgetauscht haben und ich mich von seinen putzigen Deutschkenntnissen überzeugen konnte, werde ich höflich, aber bestimmt heraus komplimentiert, schließlich soll es gleich auf die Bühne gehen. Dort gibt es außer Thomas und Petter noch einen Drummer. In diesem Dreier-Outfit kommen die Songs wesentlich roher und rockiger als auf Platte rüber. Offensichtlich ist heute aber einer der Abende, wo sie eher müde und schlecht gelaunt sind und lieber auf ihre Schuhe starren. Zumindest Thomas kommt recht uninspiriert rüber, verzichtet nach einem halbherzigen Versuch auf jegliche Kommunikation. So bleibt es bei einem mittelprächtigen Auftritt. Dem Publikum, das übrigens sehr zahlreich erschienen ist, scheint es aber trotzdem gefallen zu haben. Meine seelische und moralische Unterstützung hat sich jedenfalls prächtig amüsiert. Eigentlich wollen die beiden auch noch eine SAINT THOMAS-Platte kaufen. Allerdings hat Terry, der den Merchandise-Stand betreut, offensichtlich genauso schlechte Laune wie sein Sohn, was potenzielle Käufer dann doch eher abschreckt als zum Kauf anregt. Schlechte Verkaufsstrategie. Die der Vorband, JOHN WAYNE SHOT ME aus Holland, ist dafür umso besser. Von der haben wir zwar nicht wirklich viel mitbekommen, dafür ließ es sich aber richtig nett mit ihnen plaudern. Letztendlich haben wir dann lieber von ihnen eine Platte gekauft und obendrein noch eine 7-inch und eine EP geschenkt bekommen.
Irgendwie ist der ganze Abend in doppelter Geschwindigkeit an mir vorbeigerauscht. Mag am Bier gelegen haben. Oder an der Nervosität. Es bleibt ein indifferenter Gesamteindruck.