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PETER VON POEHL – Kein Ziel zu haben, ist auch ein Ziel

Viele kennen ihn als Support für AIR, BEN HARPER oder PHOENIX oder haben ihn im Radio gehört – die meisten kennen seine Musik aber, ohne es zu wissen – aus der TV-Werbung. Am 26. Februar bringt der schwedische Singer/Songwriter PETER VON POEHL mit „May day“ sein zweites Soloalbum heraus und macht trotz weiterhin softem Gitarrenpop viel bestimmter auf sich aufmerksam als bei seinem Debüt vor zwei Jahren. Abgehoben hat er durch den neuen Erfolg trotzdem nicht; im Café in Berlin-Kreuzberg erzählte er fast bescheiden von den kleinen Alltagsproblemen seines bewegten Lebens zwischen Paris, Malmö und Berlin. Mit seinem irgendwie österreichischen Akzent sprach er lieber über die verworrene Beziehung von Weg und Ziel, den Unterschied zwischen Werbung und Kunst oder was bei der Entstehung von „May day“ alles anders war als bei dem Vorgänger „Going to where the tea trees are“ (2008).

[F] Woran liegt es, dass du als Schwede einen österreichischen Akzent hast?
[A] Es könnte daran liegen, dass ich in Österreich zur Schule gegangen bin.

[F] Kennst du daher deinen Label-Partner von Graefe Recordings, Florian Horwarth?
[A] Ja, genau!

[F] Du hast als Support mit großen Musikern und Bands gespielt, zum Beispiel AIR, PHOENIX, BEN HARPER, aber erst in der letzten Zeit werden die Medien richtig auf dich aufmerksam, zum Beispiel gab es bei arte einen Bericht über dich. Beflügelt dich der Erfolg?
[A] Ehrlich gesagt merke ich da keinen so großen Unterschied. Ich mache jetzt seit zehn Jahren Musik. Wenn es wirklich so ist, freue ich mich – ich habe einfach auch viel gearbeitet.

[F] Hast du mit dem Erfolg dein Ziel erreicht?
[A] Der Weg und das Ziel, das sind so verworrene Begriffe. Es ist wirklich die Frage, was das Ziel eigentlich ist. Aber ich habe es auf jeden Fall noch nicht erreicht.

[F] Wenn du es erreicht hast, wirst du es wahrscheinlich merken.
[A] Ja, wenn man sein Ziel erreicht hat, ist es vielleicht so wie bei Faust: „Wer strebend sich bemüht, den können wir erlösen…“ (lacht)

[F] Du selbst sagst über dein neues Album „May day“, dass es weniger privat ist als der Vorgänger „Going to where the tea trees are“. Was hat sich seitdem bei dir verändert?
[A] Die Umgebung, in der ich die Stücke geschrieben habe, war damals völlig anders. „Going to where the tea trees are“ habe ich komplett in einer kleinen Wohnung in Berlin aufgenommen, also in einem sehr privaten Bereich. Und ich habe die Stücke auch niemandem vorgespielt. Nachdem das Album 2006 zum ersten Mal rausgekommen war, war ich drei Jahre lang viel auf Tournee und habe dabei die Stücke für „May day“ geschrieben – im Bus, im Dressing Room, oder im Hotel. Oft habe ich sie gleich am nächsten Tag auf der Bühne gespielt.

[F] Wie hat dich dein Umfeld dabei beeinflusst?
[A] Ich hatte gleich Zuhörer, während ich die Stücke noch schrieb. Eine andere Idee, um nicht noch einmal das gleiche Album zu machen, war, die Texte von jemand anders schreiben zu lassen. Die Hälfte der Texte hat dann Marie Modiano geschrieben. Das war eine sehr gute Art, in eine andere Richtung zu gehen.
Bei so vielen Einflüssen von außen war es aber auch schwierig, sich selbst nicht zu verlieren.

[F] Warum hast so viel anders gemacht?
[A] Vielleicht hatte ich befürchtet, noch einmal dieselbe Platte zu machen. Das wollte ich jetzt nicht mehr. Dieser andere Kontext hat mir dabei sehr geholfen. Bei „Going to where the tea trees are“ ging es um ein zentrales Thema, das mich sehr beschäftigte. Ich habe einfach eine sehr komplizierte Beziehung zu meinem Land.

[F] Welches Land meinst du?
[A] (lacht) Schweden. Seit ich 16 war, habe ich an vielen verschiedenen Orten gelebt, zahle aber immer noch meine Steuern in Schweden und gehe auch immer wieder dorthin zurück. Mein Gefühl für Schweden könnte man auf Deutsch „un-heimlich“ nennen – es ist einerseits das Bekannte, Vertraute, aber andererseits auch sehr „strange“ geworden.
Darum ging die Platte [„Going to where the tea trees are“, Anm. d. Verf.] auch. Die Instrumente, die ich benutzt habe, waren eine Art archäologische Ausgrabung meiner Erfahrungen in Schweden – Blasinstrumente wie wir sie in der Heilsarmee hatten, dann war da noch der Chor und die Schule… Viele Leute sehen darin trotzdem überhaupt keine Verbindung zu Schweden.

[F] Die eigene Sichtweise ist ja auch subjektiv.
[A] Ja, und es ist im Endeffekt auch nicht wichtig. Es geht da wieder um die Frage nach dem Ziel: Wichtig ist nur das Ergebnis und wie man dorthin kommt.

[F] Du hast es eben schon angesprochen: Du lebst in mehreren unterschiedlichen Ländern, zurzeit in Frankreich (Paris), Deutschland (Berlin) und Schweden (Malmö). Hast du überall Stationen, an denen du ein anderes Leben führst? Warum tust du dir das an?
[A] Also, vorher habe ich auch eine Zeitlang in Madrid in Spanien gelebt, und in Südamerika, in Caracas. Für jemanden, der nicht so gerne reisen mag, klingt das sicher komisch.

[F] Ich reise ganz gern, könnte aber mir nicht vorstellen, an so vielen verschiedenen Orten gleichzeitig zu leben.
[A] Es gab eine Zeit, da hatte ich eine Wohnung in Berlin, eine in Paris und eine in Malmö, und ich bin immer nur hin und her gefahren und habe versucht, sie unterzuvermieten. Zurzeit habe ich gar keine Wohnung mehr. Das kompliziert die geografische Situation allerdings noch mehr. Aber ich denke, so schlimm ist es auch wieder nicht. Im Vergleich zu den Leuten, die ihr Land verlassen müssen oder keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, sind meine Probleme reiner Luxus. Ich kann in mein Land zurückkehren, wann immer ich will, da ist es eigentlich fast unverschämt, meine Situation als Problem zu sehen.

[F] Du hast in Berlin mit dem österreichischen Musiker Florian Horwarth das Label Graefe Recordings gegründet. Was bindet dich noch an Berlin?
[A] Für mich war die Zeit, als ich in Berlin lebte, sehr wichtig. Was ich damit verbinde, ist vor allem das Gefühl von Freiheit. Ich habe vorher an vielen Projekten mitgearbeitet, aber ein eigenes Album zu machen, schien mir immer sehr schwer.
Kim Gordon von SONIC YOUTH hat mal zu mir gesagt: Das Einzige was wirklich zählt, ist die Intention, das Anliegen, das man für ein Projekt braucht. Wenn man das hat, ist es egal, wie man es ausdrückt – ob man ein Orchester benutzt oder ob man Blockflöte spielt.
In Kreuzberg habe ich mich in einem Kontext wiedergefunden, wo man machen kann, was man will. Im Vergleich zu Berlin ist zum Beispiel Paris eine sehr konforme Stadt, sehr eng, auch demografisch. Oder man denke an die Demografie von Schweden, wo man einen Schweden pro Quadratkilometer findet. Ich glaube, hier in Berlin zu sein, war sehr wichtig, um mein Anliegen zu entdecken. – „You can hear yourself thinking.“

[F] Im Titel deines neuen Albums, „May day“, spielt Berlin auch eine Rolle, oder?
[A] Ja, auch. Den Titelsong „May day“ habe ich 2007 hier in Kreuzberg geschrieben. Es war ein friedlicher 1. Mai, ohne große Unruhen, aber vor unserem Haus gab es ein brennendes Auto. Der Albumtitel handelt aber eigentlich nicht vom 1. Mai in diesem Sinne. In Schweden ist der Mai ein Symbol für den Sommeranfang.

[F] Das ist in Deutschland auch so: Mai bedeutet Sommer.
[A] Dann kannst du das sicher verstehen. Versuch das mal, einem Franzosen zu erklären. Oder einem Portugiesen. Die können ja fast immer im T-Shirt rumlaufen.

[F] Du sprichst viel über Identität und Identitätssuche. Suchst du nach deiner Identität, suchst du nach der Identität deiner Musik?
[A] Ich glaube, das gehört sehr zusammen. Aber um nochmal auf das Ziel zurückzukommen: Wenn man findet, wonach man sucht, was macht man dann?

[F] Neulich habe ich mit Leuten von einer Band gesprochen, die sagen, dass es wichtig ist, immer auf der Suche zu sein und Fragen zu haben, die man vielleicht nie beantworten kann.
[A] Ich glaube, es ist wichtig, immer Fragen zu haben, die man nicht beantworten kann. Das ist eben der Unterschied zwischen Kunst und zum Beispiel Werbung. In der Kunst kann man nicht alles erklären.

[F] Vielleicht ist das die wahre treibende Kraft hinter der Kunst.
[A] Hm. Wie hieß die Band?

[F] LIARS. Die bringen demnächst auch ein neues Album raus.
[A] Die kenne ich nicht.

[F] Aber du kennst KIM GORDON. Das finde ich ziemlich beeindruckend.
[A] Naja, sie ist befreundet mit Freunden von mir.

[F]Würdest du dich eher als Heimatloser oder als Weltbürger betrachten?
[A] Ich würde mich nicht als Heimatloser betrachten. Für uns als Europäer ist es die einfachste Sache der Welt, eine Heimat zu haben. Das erste Mal nach Frankreich bin ich mit einer Organisation für arbeitslose Jugendliche gegangen. Und als ich nach Berlin gekommen bin, bin ich einfach mit meinem Pass zum Fremdenamt gegangen und habe gesagt: „Hallo, ich möchte jetzt gerne hier in Berlin wohnen.“ Das ging ohne Probleme. Für die meisten Menschen der Welt ist es viel schwieriger, dort zu leben, wo sie leben wollen.

[F] Obwohl du international so viel unterwegs bist und überall deine Stationen hast, hast du „May day“ in deiner Heimat in Schweden aufgenommen, mit alten Freunden.
[A] Ja, im Studio bei Christopher Lundgren. Es sind immer die gleichen Leute dabei. Auch, wenn meine Musik sehr gut organisiert klingt, bei mir ist immer alles sehr chaotisch. Deshalb ist es sehr gut, mit diesen Leuten zu arbeiten. Wir kennen uns und sind gut aufeinander eingespielt. Deshalb ist es immer auch eine sehr soziale Angelegenheit, wenn wir zusammen arbeiten.

[F] Wenn du die Leute, die alle noch in Schweden leben, so siehst, denkst du dann manchmal auch daran, dich niederzulassen und ein ruhiges Leben zu führen?
[A] Christopher zum Beispiel wohnt weit von der Stadt entfernt, mitten im Niemandsland, mit seiner Frau, seinen Kindern und seinem Studio. Ich glaube, er lebt genau das Gegenteil von dem, was ich lebe. Die Leute kommen aus England oder sonstwo zu ihm, und er kann einfach da bleiben, wo er ist. Seine Welt ist ganz klein, aber trotzdem offen, und er kennt alles und kann alles kontrollieren.

[F] Könntest du so leben?
[A] Ich glaube nicht, dass ich so glücklich werden könnte. Er könnte sicher auch nicht mit meinem Leben glücklich werden. Aber wahrscheinlich sind es nur zwei unterschiedliche Arten, das Gleiche zu tun.

[F] Das Stück „The Story of the impossible“ von „Going to where the tea trees are“ wurde 2008 für einen „Alpinaweiß“-Werbespot verwendet. Was hältst du davon?
[A] Dafür bin ich eigentlich sehr dankbar, denn Dank der Werbung konnte ich „May day“ aufnehmen. Komisch, dass wir gerade eben über den Gegensatz zwischen Kunst und Werbung gesprochen haben.

[F] Ideologisch gesehen stört es dich nicht, darauf angesprochen zu werden?
[A] Es würde mich stören, wenn es eine Werbung für Bomben oder so etwas gewesen wäre. Aber die Frage ist auch interessant. Man muss sich fragen, wo es eigentlich anfängt mit der Werbung. Dann dürften die Leute meine Platte eigentlich gar nicht kaufen und im Radio darf man keine Werbung dafür machen usw. Darüber kann man wirklich noch lange diskutieren…

[F] Kannst du noch ein nächstes Album mit „Alpinaweiß“ finanzieren?
[A] Ich plane bereits das nächste Album und arbeite schon an ein paar neuen Stücken.

http://www.petervonpoehl.com/
http://www.myspace.com/petervonpoehl