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PETER BRODERICK – Partners

Zufall. Was ist das? Chaos? Überraschung? Ein bisschen Glück? Vom Zufall spricht PETER BRODERICK viel, wenn es um die Arbeit an seinem neuen Album „Partners“ geht, den Unvorhersehbarkeit generierenden Parametern, die bei der Entstehung nahezu genauso wichtig gewesen seien wie der Komponist selbst. Bewusst gesetzte Hindernisse, die sich z.B. in unkonventionellen Kollaborationsformen widerspiegeln, sollten zu neuen Ergebnissen führen. Er habe versucht, so schreibt er in einer im Pressetext abgedruckten Mail an seinen Labelchef Robert Raths, „sich aus seiner Musik zu entfernen“. Der Gedanke ist aufregend, sagt er doch nichts anderes, als sich, den eigentlichen Ursprung der Kunst, auf- bzw. hinzugeben an jemand anderes oder an eine Idee – die Kunst freizugeben. In Bezug auf gesellschaftlich immer häufiger formulierte Partizipationskonzepte ist die Entfernung vom Kontrollwahn eines einzelnen vielleicht zeitgemäß. Brodericks Musik also als Open Source? Nicht ganz, aber der Musiker ging jedenfalls so weit, dass er die fertigen (Live-)Mixe, die Tontechniker Tucker Martine anfertigte, und genauso das fertige Master, das Francesco Donadello übernahm, nicht hören wollte. Vielleicht kennt Broderick seine eigene Platte noch gar nicht, während ich darüber schreibe. Eine seltsame Vorstellung. Fast ist man versucht, über Autorschaft nachzudenken… aber nein, zurück zum Album.

Neben all der Ungewissheit ist wenigstens eines sicher: Diese Art der Produktion verlangt besonders viel Vertrauen – in die Partner, die etwas dazu beitragen, und das eigene Werk damit erheblich formen und verformen. Broderick beginnt die Platte mit einem Stück, das fast ohne Musik auskommt. Nur wenige, verloren wirkende Klaviernoten begleiten seine Stimme, die fünf Gedichte vorträgt. In einem von ihnen heißt es bezeichnend: „To make a friend / ask for help / and play / don’t get angry / now don’t get upset“. Die Gedichte sind in mehrfacher Hinsicht programmatisch für „Partners“, da sie in Form, Inhalt und ihrem Entstehungsprozess viele von Brodericks Grundideen für das Album transportieren. Sie könnten in gewisser Weise wie der Lektüreschlüssel sein, wenn es auch sicherlich ohne geht. Konzeptuell steckt in ihnen bereits der Versuch, ihre Entstehung durch eine von außen auferlegte Gesetzmäßigkeit zu steuern. Es wurden also mehrere Gedichte als Mesostichen verfasst, die alle um die senkrecht von oben nach unten gelesene Phrase „In a landscape“ konstruiert wurden. Methodik. Aus dieser Sammlung entschieden zwei Würfel, welche der Poeme überhaupt für das Album verwendet werden sollten, und ihre Reihenfolge darauf. Zufall.
Die Phrase „In a landscape“ stammt übrigens von JOHN CAGE – selbst großer Freund von Mesostichen und nicht nur damit wichtige Inspirationsquelle für „Partners“ –, der 1948 ein Klavierstück mit eben diesem Titel veröffentlichte. Und so ist das zweite Lied folglich eine Interpretation davon. Im darauffolgenden „Carried“ ergänzt Broderick das Klavierspiel um einen parallel dazu laufenden verhallten Stimmloop, der ungeachtet von Takt und Geschwindigkeit leise dahin mäandert und gut zur Atmosphäre des Stückes passt. Eingriffe wie dieser von außen sind meist nicht sehr stark hörbar, sondern halten sich dezent im Hintergrund. Hall und Echos sind zwar allgegenwärtig, aber nur gelegentlich bemerkt man andere live hergestellte Manipulationen von Martine, wenn er die Effekte, durch die Brodericks Piano läuft, rückkoppelt oder übersteuert. Das geschieht oft etwas zaghaft und würde an mancher Stelle auch mehr Selbstbewusstsein vertragen. Was bleibt, sind sehr kurze Spielereien, die manchmal etwas willkürlich wirken und wenig kompositorische Dringlichkeit vermitteln, wie z.B. in „Conspiraling“. Aber vielleicht meint Broderick genau das, wenn er in einem der Anfangsgedichte von „Finding life in mistakes / and peace within chaos“ spricht. Ihn scheint der unfertige Charakter mehr zu interessieren.
In „Under the bridge“ lässt er wiederum die Würfel entscheiden, wann welche Noten gespielt werden, und so überrascht es nicht, dass dieses Stück das zerfahrenste auf der Platte ist. Es bleibt Experiment. Den Abschluss der Platte macht „Something“, das zweite Lied, das nicht aus Brodericks Feder stammt. Es ist von seiner Frau, der Musikerin und Künstlerin Brigid Mae Power. Und wieder eine Partnerin. Mit diesem Stück stellt er potenzielle Fehler und Fragilität als gewünschte Modi noch einmal ins Zentrum und unterstreicht sie dick, wenn er nach 40 Sekunden erneut anfangen muss, weil er sich verspielt hat. Wenn man auch bereits derartige Anfänge von Liedern zu genüge kennt, so passt es hier tatsächlich sehr gut und harmoniert mit Textzeilen wie „Sometimes I want to collapse into you but I don’t know if you want me to.“, in denen Schwäche, Unsicherheit und dennoch ein starker Wille zum Ausdruck kommt. PETER BRODERICK hat auf all diese Dinge und ein paar mehr vertraut und – Zufall oder nicht – ein schönes und atmosphärisch dichtes Album aufgenommen.