Man kann Festivals aufgrund des Line-Ups aussuchen. Oder weil es direkt um die Ecke liegt. Oder aber, weil man sich einer Gruppe von Freunden anschließt, die ebenfalls dort hingehen. In Deutschland hat man mittlerweile die Wahl zwischen mehr als 200 Festivals.
Auf das Open Air Safiental wurden wir aber anderen Gründen aufmerksam. Zu Beginn standen die Reiseplanungen für einen Urlaub in der Schweiz. Erst im zweiten Schritt kamen wir auf die Idee, ein Festival zu besuchen, das inmitten der Alpen stattfindet, am liebsten umgeben von Bergen, möglichst klein und gemütlich. So landeten wir beim Openair Safiental, das genauso umschrieben wurde und wo die Bilder eine idyllische Atmosphäre mit Camping im Wald versprachen. Ebenso charmant empfanden wir es, dass die Homepage eher sporadisch aktualisiert wurde und das finale Line-Up auch anderthalb Monate vor dem Festival noch nicht feststand.
Doch beginnen wir mit den Vorbereitungen. Die begannen mit dem Packen der Reiseutensilien. Zelte, Schlafsäcke und Isomatten waren schnell aufgetrieben, eine Freundin aus Zürich wechselte unsere Euro in Schweizer Franken und empfahl uns, auch auf die nächtlichen Temperaturen zu achten. Ein guter Hinweis! Die angekündigten 6°C ließen mich dann doch davon überzeugen, eine zusätzliche Bettdecke einzupacken.
Unser Weg führte von Zürich aus am blau schimmernden Walensee vorbei in die östlichen Voralpen. Die Berge wurden höher, die Anzahl der Tunnel nahm merklich zu. Bis wir schließlich in Bonaduz, einer kleinen Stadt in Graubünden, die Autobahn verließen. Ab jetzt wurden die Straßen schmaler, die Steigungen steiler, und wir entwickelten langsam ein Gespür dafür, was die Anreiseinfo auf der Festival-Homepage mit den Worten „Der Weg ins Safiental ist eine Legende unter den Straßen und nicht für jedes Auto und Fahrer geeignet – fahrt am besten mit jemanden, der die Straße kennt: dem Postautochauffeur“ gemeint war. So hängten wir uns für die letzten 15 Kilometer an einen LKW, der die engkurvige, meist einspurige Straße nach Safien im erstaunlichen Tempo nahm und manches entgegenkommende Auto dazu zwang, zweihundert Meter bis zur nächsten Ausbuchtung zurückzusetzen. Der Massentourismus ist im abgelegenen Safiental definitiv noch nicht angekommen, auch wenn die ursprünglich unasphaltierte Safierstraße inzwischen weitestgehend ausgebaut wurde. Als wir schließlich auf dem 1.300m über dem Meer gelegenen Safien angekommen waren, leitete uns ein Parklotse auf eine grüne Wiese, die nun als Parkplatz diente. Die letzten 400m bis zum Zeltplatz galt es, zu Fuß zurückzulegen. Auf dem Weg dahin passierten wir einen kleinen Stand, wo die Festivalbändchen ausgegeben wurden, einem Gebirgsbach, mehreren Komposttoiletten, bis wir schließlich am Festivalgelände ankamen. Der Zeltplatz? Ist relativ. Wer wollte, baute sein Zelt in der Nähe der Bühne auf, wer lieber ruhig schläft, ging ein paar Meter weiter und übernachtete im Wald, wahlweise auch auf einer Hängematte mit einer darüber befestigten Plane. Absperrgitter suchte man hier vergeblich, die umliegenden Bäche und Hänge verhinderten andere Zufahrtswege.
Musikalisch ging es am Samstag um halb drei mit VIBES BUILDER los. Auch wenn die Kölner einen der vordersten Plätze im Diskussions-Sammelthread „Schrecklichste Bandnamen der Welt“ belegen – ihre Ska-Reggae-Klänge funktionierten bei strahlendem Sonnenschein auch inmitten der Bündner Alpen hervorragend. Musikalisch ähnlich ging es mit RUTA CONTRABANDO weiter, die zwar aus Chur nur eine Anreise von 35km zu bewältigen hatten, mit ihrem portugiesischen Sänger aber ebenfalls für jamaikanische Stimmung inmitten der Berge sorgten.
GREENFIELD STORY aus St. Gallen sorgten im Anschluss daran für folkrockige Musik mit schlichten Texten über die Liebe und das Leben, während MARKED WITH LIPSTICKS nicht nur sehr ähnlich wie BLINK-182 klangen, sondern ihre Idole aus dem fernen Kalifornien mit zwei Cover-Songs auch noch huldigten. Als vorletzter Act des Abends sorgten SKAFARI mit, dreimal dürft ihr raten, natürlich Ska für gute Stimmung. Inklusive Trinkspielchen mit dem Publikum und einem Bassisten mit Dieter-Thomas-Kuhn-Perücke im Boratkostüm. Zum Abschluss des Abends stellten CARPET TOWN erst weit nach Mitternacht unter Beweis, dass man auch als sehr junge Band durchaus sehr altmodische Musik irgendwo zwischen STATUS QUO und SOUNDGARDEN machen kann.
Auch wenn im Safiental am ersten Tag nicht allzu viele musikalische Lichtblicke auszumachen waren, so lernten wir die sehr schmackhafte schweizerische Form der schwäbischen Spätzle (Pizokel) kennen und erfuhren, dass es sich bei Salsiz um eine regionale Salami handelt und was ein „Chuchichästli“ ist. Auch die Sinnhaftigkeit von Finnenkerzen (aka Schwedenfeuer) und Lagerfeuern (auf denen sogar auf dem Festivalgelände mitgebrachtes Fleisch gegrillt wurde) bei einstelligen Temperaturen schien mehr als einleuchtend. Im Nachhinein möchte ich hiermit außerdem noch ein Dank an die Freundin aus Zürich für ihre zusätzliche Bettdecke aussprechen.
Auf anderen Festivals ist man es gewohnt, dass man es ab 9-10 Uhr morgens nicht mehr im Zelt aushält. Im Safiental wird das Zelt im Wald von hohen Bäumen von der Sonne geschützt, und auch sonst ist es dort angenehm ruhig. Ameisenhaufen wurden mit rot-weißem Absperrband markiert, ein paar Meter weiter hackten Leute Holz fürs Lagerfeuer, an anderer Stelle kühlte eine Kiste Bier in einem Wasserlauf.
Wo es gestern Abend noch Pizokel gab, wurde nun Kaffee ausgeschenkt und ein kleines Frühstück angeboten. Zwei Scheiben Brot, ein Ei, Salsiz, vier Cocktailtomaten, einmal Marmelade und ein Päckchen Butter für ca. 12€. Als wir an einem Lagerfeuer mit Leuten aus der Nähe von Zürich darüber sprachen, was sie zum Openair Safiental zieht, sagten sie uns, dass es vor allem die Atmosphäre und die günstigen Preise seien. Ein guter Beleg dafür, wie die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in der Schweiz und in Deutschland zu einer anderen Wahrnehmung führen. Ein guter Freund aus Graubünden habe ihnen von dem Festival erzählt. So sind sie dort mit einer ganzen Gruppe von Freunden, alle um die zwanzig Jahre alt, angereist. Sie würden ganz sicher wiederkommen, aber leben könnten sie in einem so abgelegenen Landstrich dennoch nicht.
Am Sonntagmorgen spielten noch zwei Bands, die zugleich die besten Acts des gesamten Open Airs waren. BAUM passten nicht nur namentlich hervorragend ins Safiental, mit seinen indie-folkrockigen Gitarrenklängen und einer schönen Stimme ließ sich Christoph Baumgartner von zwei Begleitmusikern unterstützen. Vor allem André Bader an den Drums verpasste den Songs von BAUM einen rockigen Gegenpol, der einen schönen Kontrast zu den melancholischen Melodien bildete. Für die Aufnahmen zu ihrem kommenden Album sind BAUM zuletzt bis nach New York gereist, man darf gespannt sein, ob es bald auch außerhalb der Schweiz von ihnen zu hören gibt.
Zum Abschluss des Festivals sorgten THE WEIGHT für eine musikalische Reise zurück in die Siebziger. Mit warmem Vintage Rock wurde nicht an Gitarrensoli gegeizt, und auch die Farfisa-Orgel und der Schellenkranz kamen ordentlich zum Einsatz. Spätestens wenn sich Tobias Jussels Stimme bis in Robert Plant’sche Gefilde hochschraubte, lag der Vergleich mit LED ZEPPELIN nicht mehr fern. Eigentlich schade, dass der Gig der Voralberger zur besten Mittagszeit stattfand – zu später Stunde hätten THE WEIGHT sicherlich eine ordentliche Rockshow abgeliefert, aber heute verharrte das Publikum eher im Kinomodus.
Als wir unsere Zelte zurück zum Auto trugen, war es Zeit für ein Fazit. Auf jeden Fall würden wir jederzeit wiederkommen. Das Open Air Safiental war ein Naturerlebnis, das sich grundlegend von allen anderen Festivals unterscheidet, die ich bisher besucht habe. Selbst wenn die Musik in den Bündner Alpen für uns nicht unbedingt im Vordergrund stand – wie heißt es so schön auf der Festival-Homepage: Nicht am Arsch der Welt, sondern am Busen der Natur. Ein familiäres Festival, das perfekt geeignet ist, um den Alltagsstress der Großstadt hinter sich zu lassen. Safiental – Du hast nun einen Platz in unserem Herzen.