Liest man bei anderen Bands auf dem Backcover nur fünf Songtitel, denkt man sofort an eine EP. Bei NEUROSIS ist aber einiges anders. Da werden fünf Songs, wie im Falle ihres neuen Albums, mal gerne auf eine Spielzeit von mehr als 40 Minuten ausgedehnt, aber auch sonst hat diese Band Maßstäbe in Sachen Kompromisslosigkeit gesetzt. Als ich ihr Album „Through silver in blood“ erstmals durchhörte, fühlte sich das an wie eine Stunde Katharsis. Überraschenderweise fühlte ich mich danach jedoch nicht erschlagen, sondern wie neugeboren.
„Through silver in blood“ liegt inzwischen 20 Jahre zurück, ich selbst habe soeben meinen 40. Geburtstag gefeiert und soeben erschien mit „Fires within fires“ das elfte Album von NEUROSIS – pünktlich zum 30jährigen Bandjubiläum. So viel zu den Jubiläen.
Meine erste Frage: Wie hält man das 30 Jahre lang aus? Anscheinend ziemlich gut. Seit 1993 gab es jedenfalls keine Besetzungswechsel mehr. Und was hat sich musikalisch in der Zwischenzeit getan? Ich muss gestehen, dass ich NEUROSIS nach der „Times of grace“ (1999) aus den Augen verloren habe. Zwar las ich kürzlich, dass ihr aktuelles Werk wieder wesentlich härter und spröder als die Vorgängeralben sein soll, aber mir gelingt somit nur der Vergleich zu der Frühzeit der Kalifornier.
Und ich stelle erfreut fest: es hat sich nur sehr wenig verändert. Anders ausgedrückt: der Schritt zurück in die Neunziger ist geglückt. „Bending light“, der Opener, beginnt sehr langsam und schwer, mündet schließlich in einen ruhigen Part, der fast an BOHREN & DER CLUB OF GORE erinnert. Aber wer nun den Fehler beginnt und an dem Lautstärkeregler schraubt, wird Sekunden später wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgebrüllt. Das nenne ich einen brachialen Wiedereinstieg!
Das anschließende „A shadow memory“ fällt sehr leidend aus, während im folgenden „Fire ist he end lesson“ für NEUROSIS-Verhältnisse gar rockige, ja fast discotaugliche Parts folgen, die mich ein wenig an KARMA TO BURN erinnern. Das vorletzte „Broken ground“ überrascht mit ruhigen, beinahe balladesken Momenten, bevor im abschließenden zehnminütigen „Reach“ ein Ausflug in Richtung Filmmusik gewagt wird.
Meine Umschreibungen mögen Die-Hard-Fans vielleicht verschrecken, man muss diese Veränderungen aber nur als kleine experimentelle Abwandlungen vom ursprünglichen Sound sehen – die typischen NEUROSIS-Trademarks sind in jedem Song noch klar erkennbar. Insofern freue ich mich, dass zwar keine Rundumerneuerung stattgefunden hat, die Band aus Oakland aber auch keinen Stillstand betrieben hat. Ich bin gespannt auf die Zukunft!