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LIARS – „Wir wissen nicht, was wir tun“ – zum neuen Album „Sisterworld“

Sie sind laut, sie sind unberechenbar, sie lieben die Abwechslung. Und sie hassen es, in Schubladen gesteckt zu werden. Gleich mit ihrem Debüt „They threw us in a trench and stuck a monument on top“ (2004) wurden sie vor den Karren der New Yorker Post-Punk-Szene gespannt. Seitdem gehen sie mit jedem Album stilistisch in eine andere Richtung, schlagen immer neue Haken, lassen sich nicht festlegen. Am 05. März erscheint ihr fünftes Studioalbum „Sisterworld“, ein düsteres Verwirrspiel zwischen Rhythmus, Gewalt und Ironie. Wie naheliegend, dass sie die Aufnahmen in Los Angeles machten, wo Hollywood und einer der gefährlichsten Orte der Vereinigten Staaten gleich nebeneinander liegen. Wir sprachen über die Beziehung von LIARS zu L.A., über Identitätssuche und über ein exklusives Doppelalbum, das parallel zu „Sisterworld“ erscheinen wird.

[F] Mit „Sisterworld“ seid ihr zu euren geografischen Wurzeln zurückgekehrt. Ihr habt das Album in Los Angeles aufgenommen, wo ihr euch kennengelernt habt. L.A., die Stadt der zerbrochenen Träume…
[A] Angus: Viele Leute kommen nach L.A., um berühmt zu werden. Die Stadt hat sehr viel mit zerbrochenen Träumen zu tun.

[F] Julian (Drums) hat damals in L.A. in einem Plattenladen gearbeitet, Aaron (Gitarre) und Frontmann Angus haben dort Kunst studiert. Was bedeutet L.A. für euch?
[A] Angus: Es ist wirklich eine faszinierende Stadt. Sehr modern und auch sehr dezentralisiert. Aber es gibt keine gute Definition dafür, was L.A. wirklich ist. Es gibt eine Idee davon, was diese Stadt sein will, aber in der Realität ist es ganz anders. Wenn man im Auto durch L.A. fährt, kann man vielen Dingen, die in der Stadt passieren, aus dem Weg gehen. Aber wenn man sich Zeit nimmt und mit offenen Augen durch die Stadt geht, kann das, was man dort sieht, einen wirklich fertig machen.
Aaron: Wir sind daran interessiert, die Seite von L.A. aufzudecken, über die niemand spricht: die Gewalt, die Obdachlosigkeit – und sehen, wie es die Menschen schaffen in einer Stadt, die bekannt ist für ihre Oberflächlichkeit und Gleichgültigkeit, ihre persönliche Identität zu bewahren.

[F] Bisher verfolgte jedes eurer Alben einen komplett anderen musikalischen Fokus als das Album davor. Sucht ihr genauso nach eurer Identität – als Band, als Musiker – wie vielleicht die „verlorenen Seelen“ in L.A.?
[A] Angus: Es ist schwer zu wissen, wer wir sind – oder das Leben, besonders die Suche danach. Wenn man nicht weiß, wer man ist, ist das von außen betrachtet „nicht gut“. Es wird immer erwartet, dass man wenigstens so tut, als wüsste man, was man tut. Ich glaube, wir sind in dieser Hinsicht sehr ehrlich: Wir wissen nicht, was wir tun. Jedes Album ist die Entdeckung eines anderen Teils von uns. Ich glaube, das ist so ähnlich wie das Thema „Identität“ in Los Angeles.
Aaron: Es ist viel gesünder, sein ganzes Leben nach seiner wahren Identität zu streben und zu versuchen herauszufinden, wer man ist. Echtes Wissen wird man zwar auch nicht erreichen, wenn man sein ganzes Leben damit verbringt, auf ehrliche Art und Weise zu suchen. Aber es ist immer noch besser, als einfach vorzugeben, man hätte seine Identität gefunden. Ich glaube, „Sisterworld“ war sehr inspiriert von dem, was passiert, wenn man seine Identität nur vorgibt: Tragödien, Gewalt, Traurigkeit, Isoliertheit.

[F] Ich habe „Sisterworld“ nur einmal gehört, aber Desillusionierung, Traurigkeit und Wut waren die ersten Worte, die ich dafür finden konnte. Ich habe mich gefragt, was mit euch in L.A. passiert ist.
[A] Aaron: Ich habe für mich herausgefunden, dass die Wichtigkeit, das Selbst zu kennen, mein erster Antrieb ist. Aber mein extremes Suchen hat mich mürbe gemacht. Ich will etwas teilen und nicht allein sein mit meinen Entdeckungen. So geht es uns allen. Und so ist „Sisterworld“. Die beste Inspiration für uns ist Musik zu machen, die wir selbst auch hören wollen. Ich habe viele Menschen gesehen, die sich verbogen haben, und ich glaube nicht, dass man dauerhaft darauf aufbauen kann. Lieber hänge ich mit jemandem rum, der keine Antworten und viele Fragen hat.

[F] Also kann man „Sisterworld“ als ein sehr aufrichtiges Statement zu L.A. und zu eurem momentanen Status der Suche sehen?
[A] Angus: Ja. Es ist nicht immer der bequemste Weg, aber in sich hinein zu sehen und Statements zu entdecken, von denen man weiß, dass sie wahr sind, ist auch befreiend.
Aaron: Manchmal muss man etwas schaffen, das vielleicht desillusioniert wirkt, um sich selbst nicht zu belügen. Denk an die Star Trek-Fans – ich glaube, das ist es, worum es in „Sisterworld“ geht: Sie tragen keine Tankwartklamotten oder fahren Pick-Ups, nur weil es der Realität entsprechen würde. Sie haben sich selbst und was sie interessiert gefunden. Und sie haben Leute gefunden, mit denen sie das teilen können. Das ist wirklich bewundernswert: Tun, wonach man sich fühlt, obwohl die anderen Leute vielleicht sagen, dass man albern oder kindisch ist. Es gibt keine Garantie dafür, dass man Respekt dafür erntet, wenn man den Bereich gefunden hat, in dem man sich ausdrücken kann.

[F] Gab es neben diesen Eindrücken und Erfahrungen, die ihr in Los Angeles erlebt habt, ein ursprüngliches Konzept für „Sisterworld“?
[A] Angus: Ja, wir wollten etwas machen, was in der heuten Musikwelt noch fehlt, wie Kritik an den Funktionsweisen der Gesellschaft.

[F] Ihr habt „Sisterworld“ im Studio bei dem Filmmusikspezialisten Tom Biller („Punch-drunk love“, Where the wild things are“) aufgenommen. Wie hat das Thema Filmmusik euch bei den Aufnahmen beeinflusst?
[A] Angus: Es war weniger ein künstlerischer als ein praktischer Einfluss. Es gab jede Menge Dinge, die für das Album erledigt werden mussten. Tom kennt in L.A. viele Leute aus den verschiedensten Bereichen. Mit ihm zu arbeiten, machte es für uns wesentlich leichter zu bekommen, was wir brauchten. Außerdem kann er als Filmmusiker bei den Aufnahmen mit vielen Instrumenten arbeiten. So hatten wir mehr Bewegungsfreiheit.

[F] Zusätzlich zum neuen Album erscheint noch ein Doppelalbum, auf dem alle elf Stücke von „Sisterworld“ von anderen Musikern interpretiert werden. Mit dabei sind THOM YORKE, Alan Vega (SUICIDE), MELVINS, Tunde Adebimpe (TV ON THE RADIO)… Wie seid ihr auf die Idee für dieses Projekt gekommen?
[A] Angus: Wir hatten die Idee, als das Label für unsere neue Single einen Remix machen lassen wollte. Normalerweise sind Remixe Tanzlieder, und wir fanden den Gedanken ziemlich langweilig. Wir kennen viele interessante Künstler, die nicht unbedingt für ihre Remixe bekannt sind und gaben ihnen die Möglichkeit, unsere Songs zu verschandeln und gleichzeitig etwas für die Tanzfläche zu produzieren.

[F] Warum habt ihr gerade diese Künstler ausgewählt?
[A] Angus: Wir schätzen die Integrität in ihrer Arbeit. Es war nicht schwer, dabei gerade an diese Musiker zu denken, denn wir bewundern ihre Musik.

[F] Wie war die Zusammenarbeit? Habt ihr sie argwöhnisch beobachtet, während sie an euren Stücken arbeiteten?
[A] Angus: (lacht) Nein, wir haben ihnen einfach die Stücke geschickt, und sie schickten sie fertig zurück. Sie konnten machen, was sie wollten, es gab keine Regeln.

[F]Wow. Das finde ich ziemlich tapfer.
[A] (Lachen) Julian: Das ist komisch, irgendjemand hat das schon mal gesagt. Er meinte, es sei unheimlich, was wir getan haben – jemand könnte die Stücke zerstören.
Angus: Aber wir wissen, dass diese Leute gute Arbeit machen und vertrauen ihnen. Es wäre viel unheimlicher, unsere Musik irgendeinem DJ oder Produzenten zu geben.

[F]Wie war es, als ihr euch die Ergebnisse angehört habt?
[A] Angus: Sehr spannend. Und lustig. Wir hätten uns keine besseren Interpretationen wünschen können.

[F] Habt ihr die Stücke und was sie für euch bedeuten noch wiedererkannt?
[A] Angus: Die besten Stücke sind die, die komplett anders geworden sind. Was meinst du, Aaron?
Aaron: Ja, stimmt. Es war eine erstaunliche Erfahrung von musikalischer Kommunikation. Die Künstler machten uns eine Art Geschenk mit ihren Versionen der Stücke. Sie zeigen uns viel über sich und unsere Beziehung zu ihnen. Eine sehr aufregende Art zu kommunizieren.

[F] Wollt Ihr noch öfter so kommunizieren?
[A] Angus: Ja. Wir haben den Künstlern schon angeboten, dass wir im Gegenzug Stücke von ihnen interpretieren.

[F] Wenn ihr so offen mit eurer Musik umgeht, wie stark ist dann eure Beziehung dazu?
[A] Angus: Bevor wir die Stücke wegschickten, war unsere Arbeit natürlich komplett abgeschlossen.
Aaron: „Sisterworld“ ist ganz allein unser Album und das Konzept für das Doppelalbum ist etwas völlig anderes. Wir sagen nicht: Jeder kann auf unserem Album spielen. Wir vertrauen den Leuten, die an unseren Stücken gearbeitet haben, aber wir vertrauen noch lange nicht allen Leuten.

[F] Habt ihr etwas bei dem Projekt gelernt?
[A] Angus: Wirklich interessant ist es, wenn jemand anderes deine Texte in einer ganz anderen Stimmung singt. Während ich singe, denke ich immer daran, wie ich den Text geschrieben habe. Niemand außer mir hat diese Beziehung zu meinen Stücken. Wenn jemand anders die Texte fröhlicher oder entspannter singt, verändert sich plötzlich ihre Bedeutung.

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