Wenn die Hamburger Indie-Ikone KETTCAR, die Deutschpunk-Formation ABSTURTZ und die christlichen Proletarier der JESUS SKINS bei einem Konzert aufeinander treffen, kann man wohl durchaus von einem ungewöhnlichen Line-Up sprechen. Doch auch wenn diese Kombination im Vorfeld vielleicht das eine oder andere Schmunzeln hervorgerufen hat, ist der Grund, weshalb es überhaupt zu diesem kurzfristig angesetzten Konzert im Knust kam, ein durchaus unerfreulicher: Am 21. Mai 2022 findet die erste Anhörung eines Prozesses u.a. gegen Crew-Mitglieder des zivilen Seenotrettungsschiffes Iuventa statt. Die Iuventa fuhr in der Vergangenheit zahlreiche Rettungseinsätze für flüchtende Menschen im Mittelmeer, bis das Schiff 2017 schließlich von italienischen Behörden unter dem Vorwurf, mit Menschenschleppern zusammengearbeitet zu haben, festgesetzt wurde. So offensichtlich konstruiert diese Vorwürfe sind und der Versuch, das Retten von Menschenleben als kriminelle Handlung darzustellen, einmal mehr die menschenverachtende Praxis der Europäischen Union im Umgang mit Flüchtenden entlarvt, ist dieses Verfahren keineswegs auf die leichte Schulter zu nehmen. Denn im Falle einer Verurteilung drohen den Angeklagten nicht nur bis zu 20 Jahre lange Haftstrafen, sondern es würde darüber hinaus auch ein Exempel statuiert werden, das auf andere Personen, die sich für flüchtende Menschen engagieren, einen abschreckenden Charakter hätte. Insofern diente der Abend nicht nur der kulturellen Unterhaltung, sondern auch dazu, Spenden zu sammeln und vor allem für diesen Prozess wichtige Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben.
Nach einem Interview mit zwei Iuvenita-Aktivist*innen zur aktuellen Situation eröffneten schließlich KETTCAR den musikalischen Teil des Abends. Ursprünglich sollten an ihrer Stelle NEONSCHWARZ mit im Line-Up stehen, aufgrund eines Corona-Falls mussten diese jedoch passen. Zwar hatten auch KETTCAR den Covid-bedingten Ausfall ihres Bassisten zu beklagen, dieser wurde jedoch kurzfristig von jemandem aus dem Bandumfeld ersetzt. So kam das Publikum zumindest in den Genuss eines halben Dutzend Songs wie „Deiche“, „Kein Außen mehr“, „Money left to burn“ und „Benzin und Kartoffelchips“, ehe sie sich mit ihrem Aushängeschild „Landungsbrücken raus“ nach einer knappen halben Stunde schon wieder verabschiedeten und die Bühne an ABSTURTZ übergaben. Jene habe ich zwar bereits unzählige Male live gesehen, aber so intensiv wie an diesem Abend habe ich sie selten erlebt. Obwohl auch die Dithmarscher pandemiebedingt auf ihren zweiten Gitarristen verzichten mussten, spielten sie sich und das Publikum mit einer Mischung aus alten Songs wie „Wohin der Wind dreht“, „Solidarität“, „Wehende Fahnen“ oder „Viva“ und aktuellen Stücken wie „Wir drehen durch“ oder „Im Herzen links“ in einen regelrechten Rausch und ließen sich Zugabe um Zugabe abringen. Den Schlusspunkt des Abends setzten die JESUS SKINS, die sich gerade in Hamburgs Oi!-Szene großer Beliebtheit erfreuen und mit Gassenhauern wie „Kirchenasyl“ oder „Skinheads in der Kirche“ ihre ureigene Mischung aus Religion und Working Class-Attitüde zum Besten gaben.
Um abschließend noch einmal das Augenmerk auf den eigentlichen Grund des Abends zu lenken: Zeigt euch mit der Iuventa-Crew solidarisch! Informiert euch über ihre Arbeit, unterstützt sie durch Spenden, und macht Personen aus eurem Umfeld auf diesen skandalösen Prozess aufmerksam! Denn Seenotrettung ist kein Verbrechen und darf es auch niemals sein!
Informationen findet ihr unter www.iuventa-crew.org