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FACE TOMORROW – Heute, heute, nur nicht morgen!

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Packten FACE TOMORROW auf ihrem Debütalbum „For who you are“ noch die Metal-Gitarren aus, so besannen sie sich mit dem Nachfolger „The closer you get“ verstärkt auf das Songwriting und perfektionierten die Ansätze, die auf dem ersten Album zwar schon durchschimmerten, aber noch nicht vollständig zur Entfaltung kamen. Bei dem Zweitling stimmte endlich auch der Gesamtsound, und nebenbei wagten sich die Holländer erstmals in die Rocknische vor, die bisher eher von Bands wie PLACEBO und MUSE besetzt wird. Die Emo/HC-Grundwurzel ist zwar nach wie vor vorhanden, aber die Seitentriebe reichen inzwischen schon bis zur zarten Popmusik.
Grund genug also, um mit Jelle, dem Sänger der Band aus Rotterdam, über die Veränderungen, den Arbeitseifer der Fünf und ihre Entscheidung zur Selbstverwaltung zu sprechen.
Ort des Geschehens: Großefehn, Ostfriesland.
Zeitpunkt: zwischen 21 und 22 Uhr.
FACE TOMORROW haben soeben noch die Bühne des Omas Teich-Festival 2004 gerockt, und im Hintergrund machen sich gerade MAD SIN daran, den Sound zu checken. Obwohl es heute bereits der zweite Auftritt für FACE TOMORROW war, klagt Jelle nicht über Erschöpfung. Tatsächlich scheint Sesshaftigkeit für die Jungs ein Fremdwort zu sein. Anders lassen sich die ca. 100 Shows pro Jahr (!) jedenfalls nicht erklären. „Wir spielen sowohl große Sachen, wie das Lowlands-Festival, als auch kleine Club-Shows. Viele andere Bands wollen keine kleinen Shows spielen und denken, dass Fortschritt gleichzusetzen ist mit großen Bühnen. Aber das stimmt nicht – man muss auch in kleineren Venues spielen! Manchmal kriegt man 1000 € für ’ne Show, und dann spielt man wieder für umsonst. Beide Sachen sind wichtig, und so bezahlt die eine Show wieder die andere.“
Nach Belgien und Holland ist Deutschland das nächste erklärte Ziel, das von der Band vereinnahmt werden soll. Neben den Club-Shows stehen mit dem „Pukkelpop“ und „Essen bebt“ außerdem noch ein paar Festivals auf dem Programm. Spürt man bei so vielen Auftritten im Jahr eigentlich noch Unterschiede zwischen den einzelnen Shows? „Die Shows sind zwar verschieden, aber ich würde keine vorziehen. Bei den kleineren Sachen hat man mehr Kontakt zum Publikum, und die Leute wissen, was sie erwartet. Ich bin auch nicht so der Typ, der viel mit dem Publikum spricht. Aber auf größeren Shows erreicht man mehr Leute. Auch solche, die normalerweise nicht zur Show gekommen wären, da so ein Festival alle Leute vereint, die Hardrock, Indie usw. mögen.“
„The closer you get“ scheint das Ergebnis der großen Bühnenerfahrung und harten Probens zu sein. In einem Interview mit der Band habe ich gelesen, dass sie der Ansicht sind, dass nur fleißiges Proben zum Erfolg führt. Da stellt sich die Frage, ob das Proben eigentlich noch Spaß macht, oder eher als Pflicht für hohe Qualität in Kauf genommen wird. Doch als Arbeit sieht Jelle die ganze Sache nicht. „Wenn es so wäre, würde ich das auch nicht machen. Der Ergeiz entwickelt sich eher natürlich, das heißt aus dem Spaß an der Sache. Wir wollen besser werden und uns entwickeln.“ Schön, wenn man das so sieht. Aber diese Einstellung muss natürlich von der ganzen Band vertreten werden. „Ja, natürlich. Probleme tauchen da eher an anderer Stelle auf. Letztens mussten wir zum Beispiel an zwei aufeinander folgenden Wochenenden Shows absagen, da unser Schlagzeuger mit Atemproblemen usw. kollabiert ist.“ Und aus der ganzen Übung resultiert schließlich auch so eine ausdrucksstarke Stimme, wie Jelle sie inzwischen hat. „Na ja, Singen war mehr ein Versuch von mir, aber ich hätte niemals gedacht, dass wir es so weit bringen würden. Ich singe nun seit drei Jahren bei FACE TOMORROW, aber Gesangsunterricht habe ich nicht. Man sagt mir zwar, dass ich besser singe als noch vor einigen Jahren, aber das ist wahrscheinlich der normale Fortschritt. Vielleicht hängt’s auch damit zusammen, dass man backstage mit vielen Sängern spricht und auch einige Tipps mit auf den Weg kriegt, aber ich denke, dass man auf der Bühne eh die Theorie vergisst und einfach drauflossingt.“
Neben den musikalischen Aktivitäten kümmern sich FACE TOMORROW außerdem um den ganzen Background wie auch Management und Tour-Booking. Genügend Zeit für einen festen Job bleibt da natürlich nicht. Aber in Holland kamen die Finanzminister auf eine soziale Lösung, die in Deutschland ihresgleichen sucht. „Bei uns kriegt man eine Art Musiker-Stipendium, wenn man etwa 7000 € pro Jahr verdient, alles spendet und viel Zeit in diese Sache investiert. Drei Leute aus der Band profitieren nun von diesem Zuschuss in Höhe von 500 €/Monat und können gleichzeitig noch arbeiten. Nebenbei packen wir alle auch noch bei anderen Festivals mit an, und ich arbeite außerdem während der Woche mit Kindern. Den staatlichen Zuschuss gibt es vier Jahre lang, und dann muss man es als Musiker geschafft haben, oder eben nicht…“ Und so wie es momentan aussieht, sind sie momentan auf dem besten Wege. Das liegt aber zu einem gewissen Teil sicherlich auch an der Bodenständigkeit, die sich die Band durch ihre Eigeninitiative wahrt. „Ich denke, dass wir die alten Fans auch dadurch behalten, dass wir noch immer auf HC-Shows spielen, und trotz neuer musikalischer Ausrichtung noch immer gut in diese Szene passen. Ein weiterer Grund ist sicherlich auch, dass wir unsere Shows selber buchen usw.“ Wegen der gewünschten Autonomie lehnte die Band letztendlich auch die Angebote einiger Majorlabel und einer großen holländischen Booking-Agenturen ab und entschied sich am Ende für Reflection Records. „Die wollten die Band zum Teil beeinflussen, uns ankleiden und sagen, was wir nicht mehr machen sollen. Wir wollen aber lieber alles selbst machen, um den Überblick nicht zu verlieren. Wir sprechen selber mit den Leuten, die die Shows buchen und kennen die Regeln. Aber wenn wir auf einem großen Label wären, könnten wir keine kleinen Shows mehr spielen, wo man weniger als 500 € einnimmt oder auf Benefiz-Konzerten gegen Rassismus oder Tierversuche. Ich glaube, wenn wir auf einem großen Label wären, würden wir daran scheitern. So können wir auch versuchen, den Preis für die CD möglichst niedrig zu halten. Wir sagen den Leuten auch immer, dass sie die CD brennen sollen, wenn sie nicht an die CD herankommen oder die Preise zu hoch sind. Da ist uns die Verbreitung der Musik wichtiger als die Einnahmen. Eigentlich sollte es Musik for free geben!“ Na, von einer solchen Einstellung dürften sich „Copy Kills Music“-Fetischisten wie METALLICA oder die FANTASTISCHEN VIER doch gerne mal ’ne Scheibe abschneiden. Und auch sonst soll es ja so einige Bands geben, die die Majors zunächst verteufelten, aber die ihre Vorbehalte über Bord warfen, sobald ein lukratives Angebot im Briefkasten lag.
Reflection Records überrascht als Label aber trotzdem, da mit Sachen wie CONVERGE ja hauptsächlich Bands der härteren Gangart unter Vertrag sind. Wie hat sich da der Kontakt denn jetzt genau hergestellt? „Ich glaube tatsächlich, dass wir die softeste Band bei ihnen sind. Reflection Rec. hat ursprünglich als Oldschool HC-Label angefangen. Sie haben uns öfters angesehen und wohl sehr gut gefunden, und schließlich gesagt, dass sie gerne unsere Musik veröffentlichen würden.“ Und so gewährte Reflection der Band, die mittlerweile das Zugpferd des Labels ist, auch ohne Widersprüche fünf Wochen Studio. „Mittlerweile sind dort aber auch Bands wie MALKOVICH und THE RED CHORD unter Vertrag, die alle nicht mehr in die ursprüngliche Richtung gehen. Ganz am Anfang, zu „Ride like a girl“-Zeiten, war FACE TOMORROW ja auch noch eine Oldschool HC-Band. Damals sang noch Aart, der jetzige Gitarrist. Ich bin erst dazugekommen, als sie ihren Stil verändern wollten und nach einem neuen Sänger gesucht haben. Aber der Kontakt zum Label kam auch erst später.“
Der musikalische Stil wurde aber nicht nur in der Zeit zwischen besagtem Oldschool-Tape und dem ersten offiziellen Release verändert, sondern auch von „For who you are“ zu „The closer you get“ erweitert. Während man FACE TOMORROW zuvor noch in die Emo/HC-Ecke einordnen konnte, erkennt man inzwischen deutliche Einflüsse von MUSE und PLACEBO. „Es klingt vielleicht verrückt, aber es hat sich einfach so entwickelt. Bevor wir ins Studio gingen, mussten wir noch etwa sechs Stücke schreiben. Wir durften dafür zum Proben in eine große Fabrikhalle, die dem Chef unseres Gitarristen gehört, der zu der Zeit im Urlaub war. Dort haben wir zwei Wochen lang gespielt und gespielt und gejammt, alles aufgenommen und immer wieder angehört. Vorher hatten wir aber nicht bewusst über Veränderungen nachgedacht, und ich glaube auch nicht, dass das funktionieren würde.“
Live sind die Unterschiede zwischen dem alten und neuem Material jedoch nicht so groß, was den Verdacht zulässt, dass die Produktion einen entscheidenden Einfluss auf den Sound hatte. Jelle bestätigt: “’For who you are’ haben wir selbst produziert. Wir wollten unseren eigenen Sound schaffen. Jeder in der Band hat andere Einflüsse, und so dauert es immer lange, bis ein Song fertig ist. Aber so macht es auch mehr Spaß. Als ich neu in der Band war, dachte ich, dass bei so vielen Einflüssen nichts klappen würde, vor allem, weil auch noch jeder einen anderen Sound wollte. Der Drummer wollte wie die DEFTONES klingen, der Gitarrist nach HC, der Bassist wollte einen WEEZER-Sound usw. „For who you are“ haben wir selber produziert und so ist die erste Platte auch wie ein Mix von allem und Nichts.“ Während die Gitarren auf dem neuen Album nicht mehr nach Metal klingen, sondern viel besser in den Gesamtsound passen. Für „The closer you get“ zeichnet sich übrigens Axel Kabboord von THIS BEAUTIFUL MESS (Deep Elm) verantwortlich, womit sich auch musikalische Parallelen auftun. „Bei der neuen Platte wollten wir jemanden haben, der alleine darüber entscheidet. Es wurde konzeptioneller und letztendlich eine Platte, der man besser zuhören kann. Bei dem ersten Album wollten wir noch mehr das Live-Feeling rüberbringen, während uns bei dem neuen Album eine schöne Produktion wichtiger war. Im Hintergrund hört man Cellos, die aber so leise sind, dass man sie live nicht vermisst. Wenn man genau drauf achtet, kann man auch noch eine zweite Stimme von mir hören.“
Und was bedeutet „The closer you get“?
„Eigentlich ist die ganze Geschichte darin enthalten. Wir arbeiten hart und kommen unserem Ziel immer näher. Wenn wir nicht sogar schon angekommen sind. Wir sind zwar noch nicht groß, aber spielen dafür viele Shows. Und das ist es, was wir immer machen wollten. Manchmal werde ich auf Konzerten, die ich als Zuschauer besuche, von fremden Personen auf die neue Platte angesprochen. Die erzählen mir dann, welche Stücke sie mögen, oder dass ihnen die Lyrics viel bedeuten. So was ist toll und macht einen glücklich.
„The closer you get“ hat viele Bedeutungen. Für mich bedeutet es, näher an die eigene Perfektion zu gelangen, eine bessere Stimme zu bekommen oder Dinge des Lebens zu verstehen.“
Das klingt nach Hoffnung! „Ja, das soll es auch! Manchmal sagen uns Leute, dass unsere Musik etwas depressiv klingt. Aber wenn man die Texte liest, findet man immer etwas Positives und Optimistisches.“