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Dour-Festival – Das kleine Highlight in Belgien

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15.-17.07.04

Das diesjährige Dour-Festival sollte für uns das erste Festival in Belgien überhaupt sein – sowohl für Lena, die mich als Fotografin begleitete, als auch für mich.

Tag 0: Los ging es eigentlich schon am Mittwoch. Ich fuhr über mitfahrgelegenheit.de von Hamburg nach Köln und freute mich über einen Mitfahrer, mit dem ich stundenlang über Musik fachsimpeln konnte. Die Fahrt verging wie im Fluge.
Nachdem ich Lena von der Arbeit abgeholt hatte, deckten wir uns bei Plus für vier Tage Festival ein. Da wir per Zug reisen wollten, sollte die Last auf dem Rücken nicht allzu schwer ausfallen, was jedoch ohne Einkaufszettel natürlich nie klappt. Aber wer denkt auch schon vorher daran, dass Eiskaffee aus dem Tetra-Pak die ideale Wahl für ein Open Air sein könnte? Die Menge an Bier reduzierten wir wohl oder übel auf einen Six-Pack, mit dem Entschluss, am zweiten Tag den Ort nach einer neuen „Tankstelle“ zu durchforsten.
Der Abend vor der Fahrt nach Belgien fiel recht entspannt aus; eine letzte Dusche, ein Feierabend-Bier und ab in die Kiste, schließlich stand der Wecker schon auf sieben. Kopfzerbrechen bereiteten mir lediglich meine Schuhe, die ob der durchlatschten Sohle und der von unten eindringenden Feuchtigkeit nicht gerade gut rochen. Warum einem so etwas ausgerechnet dann passieren muss, wenn man gerade keine Ersatzlösung parat hat, weiß ich auch nicht.

Tag 1: Nach einer viel zu kurzen Nacht standen wir am nächsten Vormittag bereits mit Sack und Pack am Fahrkartenschalter und informierten uns über günstige und schnelle Verbindungen. Seltsamerweise kostet die Junior-Fahrt im Thalys in der ersten Klasse weniger als in der zweiten. Dafür macht man sich doch gerne jünger als man tatsächlich ist!
Auf der Fahrt stellten wir überrascht fest, dass Belgien mehr Hügel hat als erwartet, dass der gesamte Lebensstandard erkennbar niedriger ist als in Deutschland, und dass die Industrie oft inmitten der Wohnviertel untergebracht ist. Die ersten potentiellen Festivalgänger trafen wir erst am Bahnhof in Liège – verbunden mit der Sonne, die die Zweitliga-Stadt Köln natürlich nicht hatte, aber die uns die nächsten Tage treu begleiten sollte.
In Saint Ghislain stiegen wir um in einen proppevollen Shuttle-Bus, der uns für 3 Euro zum Festival hin- und zurückbrachte. Da das Festivalgelände von der Bushaltestelle zwar ein ganzes Stück zu laufen war, der Weg zum Presseeingang jedoch noch 1000mal weiter, entschieden wir uns unentschlossen für den ersten Weg. Zum Glück! Pressebänder gab’s hier nämlich auch und, zu unserer Freude, sogar ohne die üblichen Problemchen. Allerdings stellten wir fest, dass wir gut daran taten, unsere Französisch-Kenntnisse, die bereits seit mehreren Jahren brach lagen, wieder auszugraben, da man mit Englisch oft nicht weit kam. Der Weg über ein glitschiges Rübenfeld führte uns zu unserem zukünftigen Zeltplatz, und nach dem ersten „Geschafft!“-Bier gingen wir endlich auf das Festival-Gelände, um die letzten zehn Minuten von ZEKE mitzubekommen. Zehn Minuten klingt zwar nicht nach viel, kann bei ZEKE im besten Fall jedoch durchaus mit zehn Songs gleichzusetzen sein. Heute war aber kein bester Fall; vielmehr wirkte das mittlerweile zum Trio geschrumpfte Quartett ein wenig müde und lustlos und hatte mit der Band aus Seattle, die mich noch vor drei (?) Jahren in Groningen begeistert hatte, leider nicht mehr viel gemein. Schade!

Nach einem Interview mit Nic von !!! (CHK CHK CHK), guckten wir uns ein wenig SLEEPPERS aus Frankreich an, die mir aus der Ferne irgendwie schon sehr bekannt vorkamen. Von Nahem bestätigte sich dann, dass nicht alle Parts aus der musikereigenen Feder stammten. In den guten Momenten erinnerten sie an UNSANE und GROOP DOGDRILL, insgesamt waren sie jedoch ein wenig zäh. Nicht lange überlegt, sondern weiter, um das Gelände, die übrigen Bühnen und die anderen Bands zu inspizieren! Für AVRIL konnte sich eher Lena begeistern – vielleicht, weil er ein knackiger Franzose ist, oder aber weil’s wie die CHICKS ON SPEED in männlich klang. Geschmackssache! Bei SENSER fragte ich mich danach wirklich, was die Reunion soll. Ich gebe zu, dass „Stacked up“ vor zehn Jahren durchaus innovativ war und auch mir gefallen hat. Für den vier Jahre später erscheinenden Nachfolger interessierte sich dann eigentlich keiner mehr, und so löste sich die Band im darauf folgenden Jahr vernünftigerweise auf. Warum sie aber inzwischen auf die Idee kamen, wieder gebraucht zu werden, und den Crossover wieder aufleben zu lassen, ist mir völlig schleierhaft. SENSER 2004 klingen wie anno dazumal und sind demnach überflüssiger als ein Kropf.

Kurze Pause, und dann ging’s auch schon weiter zu den eben noch interviewten !!!. Ich war gespannt, ob sie die Zuschauer auf der Draußen-Bühne ebenso im Griff hatten wie eine Woche zuvor im Hamburger Logo. Dort schafften sie es nämlich, das eher unterkühlte, nordische Publikum von seinem Style-Sessel zu schubsen und es dazu zu veranlassen, ganz ungeniert mitzutanzen. Auch wenn das siebenköpfige Elektro-Funk-Dance-Groove-Dub-Monster das Publikum durchaus motivierte bis erheiterte, so kam Nics selbstverliebte, provokante Bühnenshow nicht bei jedermann an. Für Stimmung sorgten die New Yorker aber allemal. Nach einer Stärkung schlenderten wir noch ein wenig über’s Gelände und holten uns zwischenzeitlich immer wieder ein paar Bierdosen vom Eingang ab, um sie vor dem Camping-Gelände zu entleeren. Der Durchlass ähnelte mittlerweile nämlich schon eher einem kleinen Gratis-Lebensmittelmarkt als einem Festival-Einlass, da nicht nur Glas, sondern auch Dosen strikt verboten waren. Und praktischerweise entschlossen sich die wenigsten Besucher, ihre Vorräte auf Ex wegzukippen und ließen sie für uns zurück. Der Abend endete schließlich in einem kleinen Disco-Zelt im Wohnzimmerlook mit mehr Bass als Drum und lustig tanzenden Leuten, bevor wir müde in den Schlafsack krochen.

Tag 2: Nach einem leckeren Frühstück machten wir uns auf zum örtlichen Supermarkt, um ein wenig Bier für die nächsten Tage zu holen, da die Eingänge mittlerweile leider entrümpelt waren. (Wahrscheinlich fand man das ganze Zeug eine Woche später im selben Supermarkt wieder.) Bier ist zwar teuer in Belgien, aber immer noch günstiger als auf dem Festival-Gelände. Für den Verzehr von selbigem war es noch ein wenig zu früh aber bereits viel zu heiß. Umso besser frequentiert war mittlerweile hingegen die kleine Wasserstelle, und man musste sich die übrigen Tage darauf einstellen, eine Viertelstunde Geduld mitzubringen, um seine Flaschen und Kanister dort wieder aufzufüllen. Die Wartezeiten an den Duschen lagen noch höher – im Gegensatz dazu musste man bei der Vielzahl der Dixie-Klos jedoch kein einziges Mal Schlange stehen. Und Klopapier gab’s auch noch gratis!
Aber auf zum Festivalgelände: neben den Schatten spendenden Jungbirken und den Sonnecreme- und Deo-Ausgabe-Stellen, bei denen sich junge Belgierinnen hin und wieder durchaus dazu überreden ließen, einen schönen Rücken auch mal einzucremen, wussten an diesem Tag auch SEEED zu begeistern. Obgleich sie vor einem Publikum spielten, von dem der Großteil sie wahrscheinlich noch gar nicht kannte. Die Musik passte aber auch hundertprozentig zu den hochsommerlichen Temperaturen und den wovon auch immer geplätteten Zuhörern. LADYTRON’s DJ-Set reichte von zeitgenössischer elektronischer Musik zu altem Funk, wobei der Herr Wu heute ohne die restliche Band auskam. Dass somit alles digital statt analog war, tat der Stimmung dabei jedoch keinen Abbruch.

Richtig gut gefallen haben an Tag zwei außerdem 16 HORSEPOWER, wobei der spröde, melancholische Charme der Musik durch das nächtliche Bühnenbild noch verstärkt wurde. Enttäuschung des Tages: das Magic Tent mit einem sehr monotonen Streetpunk/Hatecore/Metal/Old School-Aggro-Programm, bestehend aus BLOOD FOR BLOOD, WALLS OF JERICHO, DIE MY DEMON, SWORN ENEMY, DO OR DIE und anderen Konsorten. Auf den Prollo-Faktor braucht man bei den Bandnamen ja nicht explizit mehr hinzuweisen. Abgerundet wurde das gnadenlose Programm durch unsere Lieblinge OOMPH! – Keine weiteren Worte!
Verpasst habe ich in der Nacht ärgerlicherweise JAZZANOVA, obwohl ich mich schon den ganzen Tag drauf gefreut hatte und extra um halb sechs aufgestanden bin. Wer jetzt schmunzelt, sollte wissen, dass sie mit 2:30-4:30 auch nicht gerade die optimale Zeit erwischt haben. Aber durchhalten ging einfach nicht mehr. Shit, shit, shit! Dafür begann auch schon

Tag 3! Ich entschloss mich die Halde zu erklimmen, die neben dem Festival-Platz lag, um einen Ausblick über das gesamte Gelände zu bekommen. Der Berg reizte mich schon seit der Ankunft, aber die Hitze machte den Plan bisher zunichte. So früh morgens waren die Temperaturen noch angenehm, und der Aufstieg dauerte nicht so lange wie vermutet. Oben angekommen bekam man nicht nur einen Ausblick über das Festival-Gelände, sondern ganz Dour plus Nachbarschaft. Es waren sogar einige andere Frühaufsteher oder Spätinsbettgeher oben, die ebenfalls die aufgehende Sonne beobachteten und die Ruhe genossen. Der steile Abstieg durch das dornige Gestrüpp gestaltete sich schwieriger als der Hinweg, aber gelohnt hat es sich auf alle Fälle! Geschlafen wurde anschließend auch noch ein wenig, schließlich stand mit dem Samstag der spannendste Tag des Festivals auf dem Programm. Das Magic Tent entschädigte heute für das gestrige Programm mit Sachen wie TO ROCOCO ROT, EXPLOSIONS IN THE SKY und PINBACK, während auf den anderen Bühnen noch MAGNUS, KARATE und AEREOGRAMME spielten, um nur einige zu nennen. Deshalb die Rezi für heute auch nur in Kurzform:
TOM SWEETLOVE: der erste Act des magischen Zeltes; wurde vom „Webzine Nameless“, dem heutigen Präsentator der Bühne mit „Postrock zwischen LABRAFORD, DO MAKE SAY THINK und YANN TIERSEN“ umschrieben. Stimmt zwar von der Richtung, aber noch nicht ganz von der Qualität.

SHAI HULUD: hielt ich nur fünf Minuten aus – Schuld war wahrscheinlich der gestrige HC-Overkill.

TO ROCOCO ROT: nach einem längeren Soundcheck ging’s endlich los, und es strömten immer mehr Besucher ins Zelt. Samples und sonstige Geräusche treffen auf ein analoges Schlagzeug, was einem aber erst auffällt, wenn man auf die Bühne schaut. Da verwirren auch nicht mehr die Erklärungen der Songs zwischen selbigen. Für mich die deutsche Ausgabe von TORTOISE; nicht ganz so gut, dafür aber ziemlich sympathisch.

LALI PUNA: Hach, was soll man über sie noch sagen? Sie sind und bleiben der kleine Bruder von THE NOTWIST, und irgendwie schwanken ihre Songs auch immer zwischen belanglos und doch ganz schön.

PHOENIX: fielen ärgerlicherweise wegen DIDO-Support aus

EXPLOSIONS IN THE SKY: Eines der Highlights des Tages und eine der meistzitierten Bands der letzten Jahre. Zu Recht! Intensive Songs zwischen laut und leise, zurückhaltende Musiker, die dennoch und augenscheinlich alles geben, ein wahnsinnig euphorisches Publikum, und selbst Geoff Farina fragte später nach: „Mensch, habt ihr das gesehen!?“

KARATE: absolute Meister an den Instrumenten, und etwa gleich zurückhaltend wie EITS; das Programm war ein guter Querschnitt durch die bisherige Diskographie plus ein paar neuen Songs, die wieder besser gefallen als das „Some boots“-Material.

PINBACK: hoher Gesang verbunden mit dezenten Electronics, sowie ein richtiger Könner am Bass; die Songs scheinen zwar nie ganz auskomponiert, bestechen aber dafür durch traumhafte Melodien, an denen sich andere emotionale Bands die Zähne ausbeißen.

MAGNUS: dEUS-Mastermind Tom Barman und Techno-Pionier CJ BOLLAND mit tanzbaren Beats und Grooves, die rein gar nichts mit dEUS gemein haben. Aber Herr Barman bewegt sich ja auch schon seit geraumer Zeit in der House-Szene. Live wurden sie von ihren Landsmännern natürlich abgefeiert wie nichts Gutes, aber in der Tat fällt es schwer, sich dabei nicht zu bewegen.

ALPHA BLONDY: Lena sagte mir, dass ALPHA BLONDY eine der bekanntesten Reggae-Bands seien, und dass es sie schon seit Ewigkeiten gibt. Wusste ich natürlich beides nicht, aber was diese Sparte angeht, bin ich auch gänzlich nicht auf dem Stand. Es waren jedenfalls viele Leute auf der Bühne, sie klangen für Reggae auch sehr professionell, aber für mich bestand da leider auch kein Unterschied zu anderen Bands. Den Fotografen von http://www.reggaephotos.de/, einer der wenigen Deutschen, die wir auf dem Festival trafen, lernten wir just vor ihrem Auftritt kennen. Der hätte mich für diese Beschreibung bestimmt verkloppt. Zurecht!

ERLEND OYE: Angeblich soll die eine Hälfte der KINGS OF CONVENIENCE den Berlinern seine DJ-Sets mittlerweile ja schon fast aufdrängen. Fakt ist jedoch, dass er weiß, zu welchen Stücken die Menge tanzt, und dass seine Stimme überraschend gut zu allem möglichen Stuff, sogar Schlagern, passt.

BRANT BJORK AND THE BROS: Mit dem Stonermetal-Kram, sowie mit KYUSS hat BRANT BJORK mittlerweile nicht mehr viel zu tun. Vielmehr dreht sich ein Song fast ausschließlich um ein einziges Riff, wodurch die Musik sehr laid-back und passend zu seiner Optik im weißen Unterhemd nach Südstaatenrock klingt. Dreckig, schwer und langsam – that’s right!

FIFTY FOOT COMBO: noch nie zuvor was von vernommen, aber extrem sexy, sehr authentisch und verdammt geil waren zu so später Stunde die Belgier FIFTY FOOT COMBO. Geboten wurde eine 1A-Rock&Roll Show mit einer lasziven Dame an den Rhodes, gut gestylten Jungs an ihren Surfgitarren, einem fetten Bass und straighten Schlagzeugspiel. Ungelogen, die Jungs sind auf dem besten Wege, meinen Faves ROCKET FROM THE CRYPT das Wasser zu reichen. Wow!

MONDO GENERATOR: Mit Nick Oliveri’s MONDO GENERATOR endete für uns um halb drei der Tag. Mich erinnert der Freak ja irgendwie an Henry Rollins, wobei letzterer wohl etwas mehr in der Birne haben soll. Stimmt es eigentlich, dass die Band mittlerweile schon der Vergangenheit angehört??

Tag 4 = Abreise-Tag! Viel sollte heute nicht mehr passieren. Da wir am frühen Nachmittag schon wieder abreisen mussten, blieben die Auftritte der SUPERSUCKERS, REAL McKENZIES und MISFITS leider für uns verborgen. Wir packten also unsere Sachen zusammen und ließen uns anschließend nur noch von ELECTRIC EEL SHOCK unterhalten. Oh man, die Jungs sind so lustig – ich glaube, bei denen fließt wirklich Rock’n’Roll in den Adern. Keine Pose, die da ausgelassen wird, die üblichen Ansagen im Minutentakt, stupideste Lyrics und die antike RED HOT CHILI PEPPERS-Socke als einziges Kleidungsstück bei Drummer Tomoharu ‚Gian‘ Ito.
Danach ging’s auf zum superheißen Bus, in dem es so warm war wie in einem gut gefüllten Club, und anschließend mit der Bahn zurück nach Deutschland. Duschen war wunderschön und das Bett unglaublich weich. Dour, bis zum nächsten Jahr!