Laut Promo-Text sollen die Songs zehn verschiedene Gefühle an zehn verschiedenen Orten beschreiben. Nun ja, mir geht es regelmäßig so, dass ich mich am Altona Bahnhof anders fühle als zu Hause, nur ist mir dieser Umstand nie signifikant genug vorgekommen, um über dessen künstlerische Umsetzung nachzudenken. Irgendwie fehlt mir da der rote Faden, wenn man schon ein Konzept zu Grunde legen möchte. Dass es sich bei „Compass” um das Debütalbum einer Band handelt, deren jüngste Mitglieder mit elf anfingen, zusammen zu musizieren, hört man an den Texten recht deutlich. Die wahrscheinlich aus dem angehäuften Material der letzten zehn Jahre stammenden Passagen triefen oftmals vor Selbstmitleid oder ergötzen sich an dem märtyrerhaften Selbstbild, das einzig anders seiende Kind an der Schule zu sein. Das hätte ich mit 15 bestimmt großartig gefunden, mit dreißig erschwert dies den Zugang zum Werk der Schweden jedoch erheblich. Instrumental wirken die Jungs hingegen erstaunlich erwachsen und zeugen davon, wozu eine einsame Jugend, als unpopulärer Teenager dazu verdammt, sich im Proberaum zu verkriechen, gut sein kann. Der Gesang von André Vikingsson pendelt zwischen der Unangestrengtheit eines Erlend Oye, jedoch ohne dessen selbstverständliche Lässigkeit, und der Jaulerei eines Pete Doherty. Wirklich innovativ ist an „Compass“ leider nichts, auch der leichte Halleffekt auf Gitarre und Stimme gemahnt höchstens an THE CURE und lässt die Jungs in Erinnerung an ihre scheinbaren Vorbilder noch kleiner wirken. Zumindest der Song „Kairo“ taugt in traditionellem Sinne als Tanzflächenhit. Diskutabel erscheint hier zwar, inwiefern nach der großen Indiewelle zu Anfang des Jahrtausends überhaupt noch Bedarf an Bands besteht, die mit relativ schlichten Mitteln versuchen, die Lücken zu schließen, die die BABYSHAMBLES, ESKOBAR oder auch später BLOC PARTY hinterließen. Da diese zumindest ihr Handwerk beherrschen, unterhaltsamen Indie-Pop zu präsentieren und eine durchaus hörbare Platte als Erstling vorlegen, bin ich schon gespannt, ob eine Weiterentwicklung mit mehr Mut zum Eigensinn stattfindet.
BYE BYE BICYCLE – Compass
- Beitrags-Autor:Verena Voigt
- Beitrag veröffentlicht:20. Juli 2010
- Beitrags-Kategorie:Tonträger