Kürzlich traf ich einen alten Freund wieder. Uns verbindet schon seit vielen, vielen Jahren die exzessive Begeisterung für Musik. Er kommt mehr aus der Indie-Sparte, ich eher aus der härteren Ecke. Trotz ungleicher Geschmäcker gab es immer wieder gemeinsame Berührungspunkte, und so bereicherten wir gegenseitig unseren musikalischen Horizont. Wofür wir aber beide nicht übrig hatten: Jazz.
Inzwischen ist einige Zeit ins Land gestrichen, sein damals kleiner Sohn ist mittlerweile größer als wir beide, und so dauerte es auch nicht lange, bis wir uns wieder mit aktuellen Musiktipps versorgten. In die Jahre gekommen, können wir beide etwas mit Jazz anfangen. Vielleicht nicht die anstrengendsten Free Jazz-Improvisationen, aber uns fiel auf, dass sich die Maßstäbe, was man als „kompliziert“ bezeichnet, verschieben, je mehr man sich mit der Thematik befasst.
Dass ich auf dem Weg zu einem Fußballspiel freiwillig ein Jazz-Konzert in einer Kirche mitnehmen würde, ja, sogar eine zusätzliche Hotel-Übernachtung dafür mit einplanen würde, schien mir früher undenkbar. Das wurde mir bewusst, als wir gerade noch rechtzeitig in der Christuskirche in Bochum ankamen, uns ein Glas Wein kauften und auf einer der Holzbänke Platz nahmen.
Das EMIL BRANDQVIST TRIO aus Schweden und Finnland lud ein, bereits zum zweiten Mal, nachdem das ursprünglich für Mai 2016 geplante Konzert um ein knappes Jahr verschoben werden musste. Das geräumige, moderne Kirchenschiff wurde indirekt beleuchtet, war aber leider nur etwa zu einem Viertel gefüllt. Ich hatte das Trio über das Deutschland Radio Kultur kennengelernt, 2016 ist ihr drittes Album auf dem Hamburger Label Skip Records erschienen. Dort sind die Skandinavier gut aufgehoben, teilen sie sich nun doch das Label mit dem TINGVALL TRIO, mit denen sie nicht selten verglichen werden. Aber neben der gleichen Besetzung (Schlagzeug, Kontrabass, Klavier) und einer hohen Dichte an harmonischen Melodien gibt es auch eine Menge an eigenen Erkennungsmerkmalen. Am auffälligsten ist dabei nicht nur, dass es eher untypisch ist, dass der Schlagzeuger der Namensgeber für ein Trios ist und er zwischen den Stücken mit dem Publikum kommuniziert, sondern auch seine ungewöhnliche Art, Schlagzeug zu spielen. Bei Emil Brandquist müsste man das Instrument eigentlich in Streichelzeug umbenennen, denn meistens streichelt er seine Toms und Becken nur mit Besen, aber auch, wenn er auf Schlägel oder Sticks wechselt, wird es selten laut. Dies sollte man aber keineswegs mit belangloser Untermalung verwechseln, denn wer genau hinhört, erkennt die genau Akzentuierung und die bewusste Untermalung der Melodie, die in der Regel vom Piano vorgegeben wird, so dass in gewisser Weise auch sein Schlagzeug zum Melodieinstrument wird. Doch auch seine Mitmusiker hat sich Brandqvist passend zusammengesucht: Tuomas Turunen klingt am Piano nicht selten wie ein Barpianist, seine Melodien sanft, luftig und eingängig. Nur in kurzen Momenten blitzt sein ganzes Können auf, doch selbst in den Solo-Parts hat man nicht das Gefühl, dass Turunen seine Virtuosität in den Vordergrund rückt. Gleiches gilt für Max Thornberg am Kontrabass, und so hat man während des gesamten Konzertes den Eindruck, allzu anmutigen und eingängigen Stücken zu folgen, die die Sorgen des Alltags abfallen lassen und sicherlich auch den Zugang zum Jazz vereinfachen – falls da noch Zweifel bestehen sollten.