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Elbjazz 2015

Als wir am frühen Freitagabend über das Werftgelände von Blohm + Voss schlenderten, schwärmte Verena, sie habe sich richtig auf das Elbjazz gefreut. Nicht wegen einer bestimmten Band, sondern weil es hier einfach schön ist. Dem konnte ich nur beipflichten, und tatsächlich neigt man dazu, das letzte Maiwochenende bereits fest in seinem Terminkalender einzutragen, bevor man sich überhaupt mit dem musikalischen Programm auseinander gesetzt hat. Allerdings konnte das Billing in diesem Jahr für meinen Geschmack nicht ganz mit den Vorjahren mithalten – wobei „Geschmack“ natürlich eine sehr subjektive Wahrnehmung ist.
Das kann jedoch auch einen großen Vorteil haben: man muss nicht so fieberhaft zwischen den verschiedenen Locations hin und her hetzen, kann sich bei Gefallen ganz entspannt auf ein Konzert einlassen oder bei Nichtgefallen einfach den nächsten Spielort besuchen. So ergaben sich beim Elbjazz 2015 durchaus einige positive Überraschungen, die ich beim flüchtigen Reinhören noch nicht für mich entdecken konnte.
Was bei einem Festival wie dem Elbjazz, wo etwa die Hälfte der Konzerte open air stattfindet, natürlich auch nicht ganz unwichtig ist: das Wetter. Das verhieß nichts Gutes, jedenfalls am frühen Nachmittag als es noch ordentlich schüttete. Erfreulicherweise ließ der Wettergott die Wolken an beiden Festivaltagen ab Nachmittag von dannen ziehen, so dass auch die Konzerte auf den Hauptbühnen und am Hansahafen genossen werden konnten.
Für uns ging es am Freitag auf der Bühne der Hochschule für Musik und Theater (HfMT) mit SILVAN STRAUSS und seiner „Urban Academy“ los. Den Hamburger Schlagzeuger kannte man bereits aus diversen Projekten, unter anderem im FELICE SOUND ORCHESTRA zusammen mit VIKTOR MAREK. Seine „Urban Academy“, die laut Umschreibung „den Puls und die Atmosphäre der Großstadt einfängt“, klang nicht weniger vielversprechend, allerdings wirkten die Stücke zu konstruiert und zu konzentriert, gerade wenn man die Lockerheit von Strauss´Schlagzeugspiel zu schätzen weiß.
So entschieden wir uns für die Barkasse in Richtung Blohm + Voss, nahmen im Vorbeigehen die souligen Klänge von ED MOTTA wahr, entschieden uns dann aber doch für eher klassischen Jazz aus Italien, da ENRICO RAVA, der Altmeister der Trompete, weniger nach Wellness-Jazz klang und mehr zum Zuhören animierte.
Im Anschluss daran folgte das QUATUOR ÉBÈNE zusammen mit STACEY KENT. Diese Kollaboration gab es bereits im Jahr zuvor in der Laeiszhalle zu sehen und auf dem Album „Brazil“ zu hören. Dass es sich bei dem QUATUOR ÉBÈNE um eines der besten klassischen Streicherquartette überhaupt handelt und Jazzsängerin STACEY KENT hervorragend mit ihrer zarten Stimme dazu passt, merkte man auch daran, dass es bereits vor Beginn ihres Auftrittes einen Einlassstopp in der 1.200 Personen fassenden Alten Maschinenhalle gab. Das sorgte vor der Halle für einige Überraschung und kleine Tumulte, wer jedoch ausharrte, kam im Laufe des Auftritts immerhin noch auf eine der hinteren Tribünen. Drinnen bot das QUATUOR ÉBÈNE einen fantastischen Ausflug von Klassik über Pop bis hin zu Jazz und Bossa Nova mit sehr dezenten Klängen, die so herrlich leicht und luftig klangen, dass man die Präzision im Zusammenspiel fast als selbstverständlich hinnahm. Ein toller Auftritt.
Ähnlich unbeschwert wirkte auch ERLEND ØYE mit seiner aktuellen Begleitung „THE RAINBOWS“. Da mag so mancher Lokaljournalist im Nachhinein zwar beklagen, was das denn bitte noch mit Jazz zu tun habe, aber wer die Zusammenstellung des Programms auch in der Vergangenheit beobachtet hat, wird feststellen, dass die Macher des Elbjazz musikalisch schon immer recht aufgeschlossen gegenüber genrefremden Stilen waren. Genauso wie ERLEND ØYE im Übrigen auch, der vom akustischen Singer/Songwriter über den House-DJ bis hin zum Discoboy und kitschigen Italo-Popper mittlerweile so ziemlich jede musikalische Spielart authentisch vertritt.
Zum Ende des Abends begab ich mich noch zur MS Stubnitz und freute mich im Nachhinein darüber, dass das Programm hier im Verzug war und ich die letzten vier Stücke des ALIEN ENSEMBLE vernehmen konnte. Verglichen mit MICHA ACHERs Hauptband THE NOTWIST agierten die sieben Weilheimer musikalisch eher im Jazz-Gewand mit Instrumenten wie Vibraphon, Harmonium, Kontrabass und diversen Blechbläsern und lieferten einen verträumt-improvisierten Auftritt, musikalisch einzuordnen zwischen Jazz, Anteilen von Krautrock und eben THE NOTWIST, von denen es zum Ende auch ein schönes Cover zu hören gab.
JIMI TENOR und seine TENORS OF KALMA leiteten dann den Abschluss des ersten Abends ein. Konnten mich die drei Finnen ein halbes Jahr zuvor im Oberhafenquartier zur Eröffnung der „Elbjazz Tracks“ noch absolut überzeugen, war mir die experimentelle Herangehensweise mit Versatzstücken aus Punk, Trance, Psychedelic und Freejazz heute eine Spur zu abgedreht. Gute Nacht und bis morgen!

Der zweite Tag begann wettertechnisch ähnlich deprimierend wie der gestrige. Soll das etwa so bleiben? Erfreulicherweise nicht. Spätestens am Nachmittag verdrängte die Sonne die Regenwolken, und es blieb trocken bis in die Nacht.
Auf dem Weg in die Maschinenbauhalle blieb ich Am Helgen hängen. Wer spielte hier? HANS LÜDEMANN TRIO IVOIRE? Der Name wirkt zwar etwas gequält zusammengestellt, die Musik hingegen nicht. Auch wenn Hans Lüdemann am Klavier in seiner sandfarbenen Winterjacke aussah wie nur zufällig vorbeigekommen – das TRIO IVOIRE erzeugte eine rhythmisch sehr versierte und tanzbare Mischung aus westafrikanischer Kultur, klassischem Jazz und modernen Beats, die niemanden um mich herum ruhig stehen ließ. Und ein Balafon bekommt man nun auch nicht alle Tage zu sehen. Auch wenn die Darbietung nicht allzu virtuos ausfiel, vielleicht hat Hans Lüdemann das als Dozent für Jazz-Klavier an der Musikhochschule Köln und „Echo Jazz“-Preisträger auch gar nicht mehr nötig – die Musik sorgte umso effektiver für eine euphorische Stimmung im Publikum. Der abschließend nicht enden wollende Applaus ließ selbst das Trio ungläubig aus der Wäsche schauen.
Als nächstes hieß es: rüber mit dem roten Doppeldecker-Bus zum Hansahafen. Dort spielte MARC RIBOT´S CERAMIC DOG auf der neu geschaffenen Open Air Bühne vorm Hafenmuseum. Die dortige Bühne hatte inmitten von Portalhubwägen, Kränen und sonstigen antiken Maschinen einen alternativen Charme, der sich angenehm von den übrigen perfekt postierten großen Bühnen unterschied. Perfekt ins Bild dazu passte, dass der Ausnahme-Gitarrist MARC RIBOT aus New Jersey sitzend performt und gleichzeitig die wildesten Klänge aus seiner Gitarre lockt.
Im Gegensatz dazu ging es im Bauche des MS Bleichen bei LAMBERT vergleichsweise ruhig zu. Wer sich hinter der afrikanischen Langohrmütze verbirgt, ist ein wohl gehütetes Geheimnis. Vielleicht aber auch ein Grund, warum bereits eine Dreiviertelstunde vor Konzertbeginn kein Einlass mehr stattfand. Ärgerlich für die Draußengebliebenen, die das Konzert nur akustisch über Lautsprecher auf Deck des Schiffs verfolgen konnten. Musikalisch bewegt sich LAMBERT mit neu interpretierten Cover-Versionen von BOY, TOCOTRONIC, BONAPARTE und JA, PANIK zwischen den „Solo Piano“-Sachen von CHILLY GONZALES und NILS FRAHM: ruhig und auf das Wesentliche reduziert. Begleitet wurde LAMBERT von zwei ebenfalls maskierten Musikern an Saxophon und Schlagzeug. Überraschend waren die eher humoresken Zwischenansagen, das Geheimnis um den Künstler wurde aber auch auf dem Elbjazz nicht gelüftet.
Die Resonanz auf KUU! war hingegen eher verhalten, und das trotz der punkig-experimentellen Herangehensweise an die Musik. Oder eben wegen dieser. Die Berliner versuchten, durch das Sprengen sämtlicher Grenzen, theatralische Performance (Sängerin Jelena Kuljic ist tatsächlich nebenbei in zahlreichen internationalen Theaterproduktionen zu sehen) und freigeistige Kompositionen etwas völlig Neues zu erschaffen, aber die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Vielleicht wurde hier zu viel gewollt oder das Publikum war einfach nicht bereit für „Sex gegen Essen“ (Albumtitel ihres Debütalbums).
Das PABLO HELD TRIO bot im Hafenmuseum hingegen eher klassischen Jazz, der von den Zuschauern wohlwollend aufgenommen wurde, auch wenn John Scofield, der auf ihrem letzten Album als Gastmusiker mitwirkte, auf dem Elbjazz nicht dabei war. Und zugleich bot das Hafenmuseum Schutz vor der draußen langsam einsetzenden Kälte.
Über mangelnden Zuspruch konnte sich MANU DELAGO vor dem Hafenmuseum dennoch nicht beklagen. Vielleicht liegt das auch daran, dass seine Musik am Hang (ein Instrument, das aussieht wie eine Kreuzung aus einem Wok, einer Steeldrum und einem Miniatur-Ufo) so ubiquitär Beachtung findet, dass er bereits von Musikern wir BJÖRK gebucht wurde und neben dem Elbjazz auch auf dem Reeperbahn-Festival und der Fusion zugegen war. Das besondere am Hang ist seine gleichzeitige Einordnung als Melodie- und Rhythmusinstrument, vor allem aber versteht MANU DELAGO es zusammen mit seiner Band das Hang derart vielseitig einzusetzen, dass man bei der musikalischen Einordnung ständig zwischen Trip-Hop, Elektronik, Kammermusik, Folklore, Pop und Metal schwankt. Beeindruckend!
Zum Abschluss des Elbjazz-Festivals zog es uns zu guter Letzt noch mal in die Maschinenbauhalle auf das Blohm + Voss-Gelände. Dass das Trio KHALIFÉ-SCHUMACHER-TRISTANO bisweilen den Sparten Fusion bzw. Elektro zugeordnet wird, war für uns zwar nicht verständlich. Dann schon eher Weltmusik, wobei mir es in den ausufernden meditativen Elementen doch ein wenig an Dramaturgie fehlte. Aber klagen wir nicht auf hohem Niveau – das Elbjazz wusste auch 2015 wieder zu begeistern, selbst wenn uns in diesem Jahr vorab ein paar Highlights fehlten. Um so sicherer verabschieden wir uns mit den Worten: Wir sehen uns 2016!