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Stemweder Open Air 2015

Seit einigen Jahren bereits ist das Stemweder Open Air ein fester Kandidat in meinem Festival-Kalender. „Stem-was?“ wird sich der eine oder andere Leser an dieser Stelle fragen, daher an dieser Stelle ein paar kurze Hintergrundinfos, die ich mir zugegebenermaßen selber ergoogelt habe: Das Stemweder Open Air findet bereits seit 1976 in der Ostwestfälischen Provinz statt und ist somit eines der ältesten Umsonst-und-Draußen-Festivals in Deutschland. Doch was verschlägt einen Hamburger immer wieder aufs Neue zu einem überregional eher unbekannten Festival, welches weder durch einen besonders ansprechenden Internet-Auftritt glänzt, noch große Bandnamen im Line-Up vorzuweisen hat? Um ehrlich zu sein wurde ich bei meinem ersten Besuch von einem Freund mitgeschnackt, der ursprünglich aus der Gegend kommt und bereits seit Schulzeiten Dauergast auf diesem Festival ist. Und dort gefiel es mir dann auf Anhieb so gut, dass ich ab da an ebenfalls mit dem Stemwede-Virus infiziert war. Ein durchweg entspanntes Publikum und ein sehr schönes, in einem kleinen Waldstück gelegenes Konzertgelände zählen definitiv zu den Pluspunkten des Stemweders; und die Herausforderung, als unkommerzielles Umsonst-Festival mit einem sehr überschaubaren Budget auskommen zu müssen, haben die Organisatoren längst zu einer Tugend gemacht und präsentieren dem Publikum so manchen musikalischen Geheimtipp, auf den man sonst unter Umständen niemals gestoßen wäre. Wie zum Beispiel die aus der Region stammende Band SCHAFE UND WÖLFE, die am Freitag die Hauptbühne eröffnen durften und mit ihrer Mischung aus tanzbarem Indie und Sprechgesang ein wenig an KRAFTKLUB erinnerten. Ebenfalls in Erinnerung blieben die parallel auf der zweiten Bühne aufspielenden THE TRASH TEMPLARS aus Bielefeld, deren Unterhaltungsfaktor allerdings weniger aus ihrem durchschnittlichen Garagen-Punk, sondern vielmehr aus ihren Tempelritter-Kostümen und der damit einhergehenden „Ritter der Kokosnuss“-Hommage resultierte.

Das Highlight des ersten Tages waren aber zweifelsohne THRE BABOON SHOW. Die Schweden haben sich in den letzten Jahren zu Recht den Ruf erspielt, eine der besten Live-Bands Europas zu sein und wollten diesen offenbar auch vor dem Stemweder Publikum verteidigen. Angetrieben von ihrer energiestrotzenden Frontfrau Cecilia lieferten sie eine beeindruckende Show ab, die Augen und Münder offen stehen ließ. Kein Wunder bei solchen Hits wie „Damnation“, „The history“ und selbstredend auch das allseits bekannte „You got a problem without knowing it“! Die darauf folgenden OHRBOOTEN brachten den Puls mit ihrer altbewährten Mischung aus Reggae und HipHop wieder zurück auf Normalgeschwindigkeit, so dass bei dem einen oder anderen Gute-Nacht-Cocktail der erste Tag entspannt ausklingen konnte.

Tag 2

Der zweite Tag begann zunächst relativ wuchtig: LA CONFIANZA Schmetterten ihren Crossover-Sound über die Hauptbühne und brachten das Publikum mit Stücken wie „Stillstand“, „Mehr“ oder dem sich immer weiter aufbauenden „Trotzdem!“ bereits am Nachmittag auf Betriebstemperatur. Nach einem kurzen Abstecher zur Hamburger Blues-Rock-Formation LOW FLYING DUCKS gab es im Anschluss eine kleine Verschnaufpause an der „Sonnensystem“, welches in seiner Art ziemlich einmalig in der deutschen Festivallandschaft sein dürfte. Es handelt sich hierbei nämlich um eine Art Chillout-Area mit integrierter Singer/Songwriter-Bühne, vor der es sich die Besucher auf mit Stroh gefüllten Kaffeesäcken im Schatten von Sonnensegeln gemütlich machen können. Bei so viel Wohlfühlatmosphäre kann es schon mal passieren dass man überhaupt nicht mitbekommt, wie die beiden Herren hießen, die da ihre englischsprachigen Folkpop-Songs zum Besten gaben… Eigentlich sollte als nächstes mit KMPFSPRT einer meiner persönlichen Höhepunkte dieses Festivals auf der Agenda stehen, aber Pustekuchen: Die Kölner mussten leider kurzfristig absagen und wurden durch THE COLTS ersetzt, die mich mit ihrem zum Soundcheck dargebotenen ROSE TATOO-Cover „Nice boys (don´t play Rock´n´Roll)“ allerdings nicht zum längeren Verbleib vor der Bühne überreden konnten.

„Gleich spielen BLOODVALE! Die sind so schlecht, dass man die unbedingt gesehen haben muss!“ lautete der etwas unkonventionelle Mobilisierungsversuch eines meiner Mitcamper. Also auf zur Wiesenbühne, wo sich die vier jungen Herren gerade am Trash Metal versuchten. So schlecht wie angekündigt war das Dargebotene dann allerdings doch nicht, wenngleich der Auftritt und vor allem die zwei Dutzend Fans vor der Bühne so ziemlich allen Klischees entsprach, die einem als Nicht-Metaler bei dieser Kombination in den Sinn kommen. Also schnell weiter zu SEXTO SOL, die auf der Hauptbühne wqesentlich mehr Publikum anzogen. Deren Mix aus Ska, Punkrock und lateinamerikanischer Folklore bietet zwar ebenfalls eine gewisse Angriffsfläche für Klischees und wird von einigen Zeitgenossen gerne vorschnell als „Zirkus-Ska“ abgestempelt, doch die aus Kiel stammende Band hat inhaltlich viel zu viel zu bieten, als dass diese Bezeichnung berechtigt wäre. Vor allem was Themen wie Rassismus oder soziale Ungerechtigkeit betrifft sind SEXTO SOL sehr engagiert, was nicht zuletzt auf die lateinamerikanische Herkunft einiger Bandmitglieder zurückzuführen ist. Mit eindeutigen Ansagen motivierten sie die Zuhörer zu Solidarität mit Flüchtlingen und Widerstand gegen Neonazis auf und bekamen dafür zu Recht viel Applaus.

Weniger Applaus bekam hingegen die Schlechtwetterfront, die am Abend über Stemwede zog und für den einen oder anderen Regentropfen sorgte. Und das ausgerechnet kurz vor dem Auftritt von FEINE SAHNE FISCHFILET, deren geplanter Auftritt beim Wutzrock-Festival vor einigen Wochen bereits aufgrund einer Unwetterwarnung gecancelt werden musste. Doch Petrus hatte am Ende doch noch ein Einsehen, so dass das Festivalgelände pünktlich mit zu den ersten Tönen der Mecklenburger aus allen Nähten platzte. Zahlreiche Bengalos (sowohl vor, als auch auf der Bühne), Crowdsurfing auf aufblasbaren Plastikinseln und tausendfach mitgegrölte Textzeilen bildeten einen eindrucksvollen Gesamtrahmen, während die Band mit „Für diese eine Nacht“, „Geschichten aus Jarmen“, „Wut“ oder „Komplett im Arsch“ Hymnen am Fließband beisteuerte. Während es im Anschluss den Großteil des Publikums Richtung Zeltplatz zog, folgte mit TUBBE noch ein weiterer Audiolith-Act. Das sympathische Elektropop-Duo hatte zur Verstärkung noch einen Schlagzeuger dabei und meisterte die undankbare Aufgabe, als Rausschmeißer nach FEINE SAHNE FISCHFILET spielen zu müssen, mit Bravour. Mit Stücken wie „Sechzehn Zwerge“ oder „In Berlin darf man das“ brachten sie die Verbliebenen jedenfalls ganz gut zum Tanzen und setzten einen schönen Schlusspunkt hinter ein wieder einmal rundum gelungenes Festival. Bis zum nächsten Mal, Stemwede!

Bernd Cramer

Konzert-Junkie & Vinyl-Liebhaber. Schreibt über Musik, ohne zu Architektur zu tanzen.