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KiWi – Musikbibliothek

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Thees Uhlmann – DIE TOTEN HOSEN
(bc) „Radikal subjektive Liebeserklärungen von Künstlerinnen und Künstlern an ihre Lieblingsmusik“ lautet das Motto dieser Buchreihe. Im Fall des Buches von Thees Uhlmann über DIE TOTEN HOSEN dürfte die Besonderheit allerdings darin liegen, dass der Verfasser zwar in seiner Jugend großer Fan der Düsseldorfer Punkband war, mittlerweile aber auch ein sehr kollegiales bis geradezu freundschaftliches Verhältnis zu seinen Helden von einst pflegt. Nichtsdestotrotz schreibt er über die Band mit einer Begeisterung, als wäre er immer noch der 14jährige Junge, der irgendwo im Niemandsland zwischen Stade und Cuxhaven aufbricht, um über die Punkmusik die Welt zu erkunden. So wie damals im Dezember 1988, als einer seiner Mitschüler einen Bus zum HOSEN-Konzert in Hamburg gechartert und sich somit das Leben einer ganze Generation Provinzjugendlicher von einem Tag auf den anderen bedeutend verändert hat. Thees Uhlmann versteht es dabei perfekt, persönliche Anekdoten von sich selbst zum Besten zu geben und dennoch immer wieder einen Bogen zu den TOTEN HOSEN zu schlagen. Insofern ist sein Buch nicht nur eine Huldigung, sondern bietet zugleich einen interessanten Einblick hinter die Kulissen des eigenen Lebens. Eines Lebens, das ohne den besagten Konzertausflug nach Hamburg mit Sicherheit anders verlaufen wäre.


Tino Hanekamp – NICK CAVE
(so) Wer mich kennt, der weiß, dass ich unglaublich gerne zitiere. Aus Filmen, aus Serien, Schülerkommentare… und eben auch aus Büchern. Und ich weiß auch, dass das manchmal ganz schön nervig sein kann. Als ich „Sowas von da“ von Tino Hanekamp gelesen hatte, waren dem Zitateschatz einige Zuwächse anzumerken. Ich könnte jetzt auch diese Buchbesprechung nur mit Zitaten pflastern, einfach, weil es so viele Möglichkeiten dazu in diesem Road Trip über NICK CAVE gibt. Aber ich versuche mich zurückzuhalten. Dennoch möchte ich den für mich zentralen Satz nicht unerwähnt lassen: „Du musst dich umdrehen und dem kleinen Scheißer in die Eier treten.“ Jeder, der sich irgendwie künstlerisch betätigt, kann sicherlich etwas mit diesem Satz anfangen.
Aber zum Buch. Tino Hanekamp erwähnt immer wieder, dass er einen Tatsachenbericht und keine Literatur verfassen wolle. Sein Road Movie in Buchform steuert zielstrebig auf den Höhepunkt zu, das Gespräch mit Cave – nach 22 Jahren ein weiteres Mal, nachdem Hanekamp Caves Satz zu ihm aus dem letzten immer wieder in sich herumgewälzt hat. Man erfährt in diesem Werk, das erneut – wie schon „Sowas von da“ – einfach faszinierend und mitreißend, voller Leben geschrieben ist, sehr viel über NICK CAVE, aber auch über Tino Hanekamp, über Ixtzel (gesprochen wie Michelle ohne M) und nicht zuletzt auch über Mexiko. Und man wird von der ersten Seite an hineingezogen in das, was Hanekamp uns erzählen möchte, hineingezogen in diesen Zustand des Fanseins, das eben den Fanatismus beinhaltet und dem es nicht gelingt, den professionellen Musikjournalistenabstand zu wahren, was durchweg positiv ist. Hanekamp weiß so gut wie alles über NICK CAVE, was man so wissen kann. Das teilt er auch sehr gerne mit, es ist aber nie langweilig, sondern eher eine Wissensvermittlung, die so nebenbei passiert. Denn es passiert noch so viel mehr, die Alben und Songs von CAVE bilden dabei nur den Rahmen bzw. die Straße, auf der die Geschichte fährt. Zudem gelingt es dem Autor, den eigentlichen Höhepunkt immer wieder zu verzögern, anzudeuten, vorahnen zu lassen, aber immer wieder eine neue Abzweigung auf dem Weg dorthin zu nehmen. Wenn man das Buch zur Seite legt, möchte man es eigentlich gleich wieder lesen. Wenn man all die Fakten im Kopf behalten möchte, dann muss man das wahrscheinlich auch.
Jeder, dem NICK CAVE etwas bedeutet, wird hier sicherlich den ganz persönlichen Berührungspunkt, den ganz persönlichen Vergleich entdecken können, der dieses Buch dann zu etwas noch Besondererem macht. Den Punkt, der dich endgültig mit ihm verbindet. Wahrscheinlich habe ich damals in Bonn, im Schein der untergehenden Sonne direkt neben Tino Hanekamp gestanden und NICK CAVE angehimmelt. Möglich wär’s.
Schade ist nur, dass Hanekamp schlussendlich doch Literatur gelungen ist und es nicht beim Tatsachenbericht bleibt. Aber schließlich kann man nicht alles haben.

Anja Rützel – TAKE THAT
(jg) TAKE THAT muss man niemandem mehr erklären – kennt jeder, selbst ich, als Nicht-Popmusik-Hörer. Anja Rützel könnte dem einen oder anderen auch schon mal begegnet sein, und zwar als Autorin diverser Artikel und Kolumnen u.a. bei Spiegel Online, Spex, Business Punk oder im SZ-Magazin.
Rützels Beschreibung von TAKE THAT ist weniger gonzojournalistisch als die von Thees Uhlmann von den TOTEN HOSEN, dafür aber etwas informativer. Anja Rützel ist selbst erst relativ spät zum Fan der britischen Boygroup geworden, genau genommen erst zur Zeit ihrer Auflösung. Insofern handelt es sich hierbei auch nicht um die Schilderungen der eigenen Teenie-Hysterie, sondern eher um eine rückblickende Betrachtung, wobei vor allem die Entwicklung von der früheren Boygroup zu einer erwachsenen Popband nachgezeichnet wird. Nach einer kurzen Einführung werden dabei die fünf Musiker einzeln porträtiert: Gary Barlow, der sich vom unscheinbaren Songwriter zu einem doch ganz hübschen und gar nicht mehr so uncoolen Mann gemausert hat. Mark „Babe“ Owen, der damals so niedlich wie ein Eichhörnchen rüberkam, es auf den zweiten Blick aber faustdick hinter den Ohren hatte. Natürlich „Bad Boy“ Robbie Williams, der nach durchzechten Nächten und weiteren Eskapaden aus der Band geworfen wurde, um dann eine doch sehr erfolgreiche Solokarriere zu starten. Howard Donald, von dem der Autorin vor allem sein häufig entblößter Hintern in Erinnerung blieb und der (Achtung, unnützes Wissen!) nach der TAKE THAT-Karriere bei seiner Freundin in Münster wohnte und gelegentlich als DJ in einer Würzburger Disco auflegte. Und zu guter Letzt war da noch das Mysterium Jason Orange, der zwar immer im Hintergrund stand, dafür aber gut tanzen konnte und zudem noch gut aussah.
Der Schreibstil von Anja Rütsel erfolgt in einem lockeren Plauderton, ganz so, als ob sie einer besten Freundin von der damaligen und noch immer vorhandenen Schwärmerei berichtet. Das löste bei mir zwar keine so lauten Lacher aus, wie es Thees mit seinem Roman über die Hosen schafft, aber es liest sich nett nebenbei und ist vor allem wegen ihrer schön zusammengetragenen Anekdoten und Randnotizen ganz unterhaltsam. Wer hätte zum Beispiel gewusst, dass der TT-Manager Nigel Martin-Smith zu Beginn versuchte, die Boygroup in Gay-Clubs zu vermarkten, bis er durch einen Auftritt in einer Teenie-Disco bemerkte, dass die Band dort viel enthusiastischer bejubelt wurde als von den Männern?

Sophie Passmann – FRANK OCEAN
(jg) Frank wer? FRANK OCEAN war mir tatsächlich nur vom Namen ein Begriff. Kurz zusammengefasst: Der Kalifornier sieht zwar aus wie ein HipHopper, macht aber recht mainstreamigen Singer/Songwriter-Pop mit einer Prise R’n’B und einer Menge Autotune und hat vor seiner Solokarriere unter anderem als Songwriter für JUSTIN BIEBER gearbeitet. Da verzeihe ich es mir fast selbst, dass ich den guten Frank bis dato nicht näher einsortieren konnte. Sophie Passmann wiederum ist Autorin, Poetry-Slammerin, Kolumnistin (Zeit Magazin, Neo Magazin Royal, Jolie) und Radiomoderatorin (1 Live, Dasding). Ihr zweites Buch „Alte weiße Männer: Ein Schlichtungsversuch“ wurde von der Presse weitestgehend verrissen. Keine allzu guten Voraussetzungen für eine Buchrezension, und ich muss gestehen, dass mich die beiden Bücher, die Bernd und Otti sich unter den Nagel gerissen haben, weitaus mehr interessiert hätten.
Doch Sophie Passmann wählt eine völlig andere Herangehensweise, wie sie den zu besprechenden Künstler in ihre Geschichte einbaut. In ihrem Band beschreibt sie die Zeit, in der sie unter Depressionen litt und den Tod herbeisehnte. In der sie Freundschaften beendete, Jobs kündigte, quasi ihr bisheriges Leben komplett über den Haufen warf. Und in der FRANK OCEANs zweites Album „Blonde“ erschien, das vielleicht nur zufällig der musikalische Begleiter in dieser emotionalen Lebenskrise wurde. So mag man das Schaffen des Künstlers auch gar nicht mehr aus musikalischer Sicht in Frage stellen, wenn das Album der Autorin in dieser Zeit als wichtige emotionale Stütze galt und sich heute, rückblickend, „wie eine Kriegsverletzung anhört“ und jeder einzelne Song seine eigene Geschichte erzählt, einer davon für sie inzwischen sogar unhörbar geworden ist. Wobei „zufällig“ nicht ganz stimmt, wie man im Laufe des Buches erfährt. Die Musik von FRANK OCEAN hatte Sophie Passmann schon immer etwas bedeutet, und mit dem Künstler, der sich in der oft schwulen- und frauenverachtenden HipHop-Welt als bisexuell outete, hatte sie bereits vorher sympathisiert. Vielleicht hatte er auch in dem Leben vor der Depression längst eine gewisse Vorbildsfunktion, das die Autorin schon zu diesem Zeitpunkt als sehr trostlos beschreibt. Die Songs von „Blonde“ bewegen sie in dem Moment emotional, wo sie sonst nichts mehr zu bewegen scheint, geben ihr wieder Hoffnung. Sie begleiten Sophie in ihrer anstrengenden Therapie, die sie letztendlich wieder aus ihrer Depression herausführt. Dabei gelingt es Sophie Passmann, dem Leser eindrucksvoll zu vermitteln, wie ein Depressiver fühlt und wie er wieder Hoffnung schöpft. Wie er die Kraft wiederfindet, sich in eine Therapie zu begeben und auch, wie sich eine Therapie aus der Sicht eines Betroffenen anfühlt. Ob man FRANK OCEAN nun mag oder nicht, ist am Ende eigentlich irrelevant.