Aktuell ist DIGGER BARNES zusammen mit seinen beiden langjährigen Freunden und Musiker-Kollegen ALLIE PARKER und FRIEDRICH PARAVICINI unterwegs, um zu dritt die Songs der jeweils anderen zu spielen. Außerdem tritt er in Kürze mit dem Theaterstück "Krieg" im Rialto Kino in Wilhelmsburg und somit erstmals außerhalb von Bremen auf, wo das Stück im Herbst letzten Jahres anlief. Zuvor erschien noch sein zweites, großartiges Album mit dem Titel "Every story true" und irgendwann dazwischen arbeitete er am Debüt von ALLIE PARKER mit. Ein umtriebiger Mann also, mit dem es viel zu besprechen gibt.
[F] Du bist momentan, neben deinen Solo-Sachen als DIGGER BARNES, auch im Theater mit dem Stück "Krieg" unterwegs. Wie kam es dazu?
[A] Wir haben in Hamburg drei Wochen vorgeprobt und danach noch drei Wochen vor Ort in Bremen. Das Stück "Krieg" ist eigentlich ein Monolog mit einem einzigen Schauspieler, ich mache die Musik und Pencil Quincy das Bühnenbild mit seiner Magic Machine. Ich hatte immer Lust, so etwas zu machen, weil es eine in sich geschlossene Aktion ist und weil es cool ist, zu experimentieren und sich auszuprobieren. Es ist ein weiterer Baustein in der Tätigkeit als Musiker, ich lerne dabei extrem viel, und es hat keine weitreichenden Folgen. Wenn ich das mit DIGGER BARNES vergleiche, ist der dortige Weg immer vorgezeichnet: Erst erscheint eine Platte, dann muss ich mit den Songs auf Tour gehen. Bei DIGGER BARNES machen wir alles alleine: das Label, das Booking… Da fällt einem irgendwann die Decke auf den Kopf.
[F] Wie kam der Kontakt überhaupt zustande?
[A] Kristina Brons hat uns mit DIGGER BARNES in der Schweiz gesehen, wo sie als freie Regisseurin arbeitete. Die Show hat ihr gefallen, und sie sprach uns im Anschluss daran an, dass sie uns für ihr nächstes Stück gerne anstellen würde. Und so kam eins zum anderen. Das Gute daran ist, dass ich nichts erfüllen muss, was ich nicht kann. Ich habe den Luxus, dass ich freie Hand habe, dass es sich aber gleichzeitig um eine professionelle Angelegenheit handelt, die von anderen Leuten vorangetrieben wird.
[F] Angenommen, es wäre jetzt niemand auf euch zugekommen: hättest du so eine Idee wie ein Theaterstück auch alleine umgesetzt?
[A] Ich weiß nicht. Wahrscheinlich nicht. Das sind zu viele neue Strukturen, in denen ich mich nicht richtig auskenne. Wenn man etwas wirklich gut machen will, braucht man extrem viel Zeit. Die Diamond Road Show ist ja beispielsweise über Jahre zusammengewachsen. Schon alleine bis man dieselbe Sprache spricht, um gemeinsam Entscheidungen treffen zu können. Ich merke es auch jetzt gerade, dass man sich erst richtig kennen lernen muss, bis man sich vernünftig versteht. Mit DIGGER BARNES haben wir schon genug zu tun, und da sollte man auch aufpassen, dass man den Fokus nicht verliert.
[F] Du sprichst die ganze Zeit von "wir". Ich hatte dich bis zu diesem Gespräch eher als Einzelkünstler wahrgenommen.
[A] Wir sind eigentlich eine klassische Band, auch von der sozialen Struktur – nur eben zu zweit. Pencil macht die komplette visuelle Seite und ich die Musik. Manchmal gehe ich auch alleine auf Tour, aber es ist mir sehr wichtig, jemanden zu haben, mit dem ich mich ständig austauschen kann. So ein Einzelgänger bin ich dann doch nicht.
[F] Ihr hattet vorher zusammen eine gemeinsame Hardcore-Band.
[A] Genau, wir kennen uns mittlerweile seit 24 Jahren. Bei JENIGER hat er damals getrommelt, ich Bass gespielt, und das ging so für acht Jahre.
[F] Bringt sich Pencil denn auch musikalisch noch mit ein?
[A] Nein. Er macht nur den visuellen Teil, und so ergänzen wir uns ziemlich gut. Jeder hat sein Gehege und seine eigenen Kompetenzen, und wir respektieren uns extrem in dem, was wir machen. Diese Diamond Road Show ist ein dankbares Format und eine ungewöhnliche Kombination in unserer Szene. Das Erzählerische kommt durch die Bilder mehr zum Tragen, und gleichzeitig halten wir es sehr schlicht, um nicht abzulenken. Diese zweite Ebene ist aber für die Unterhaltung sehr wichtig. Wir hatten irgendwann überlegt, ob wir in Richtung Theater gehen sollen und eine durchgängige Story erzählen, aber die Idee haben wir schnell wieder verworfen, weil es gar nicht nötig ist. Abgesehen davon, hört Pencil privat auch ganz andere Musik.
[F] Wie kam es zu der Schaffung der Figur "Digger Barnes"?
[A] DIGGER BARNES war von Anfang an eine Kunstfigur und hat schon immer englisch gesprochen. Wichtig ist, dass DIGGER BARNES aus der Fremde kommt. Würde man seine Art ins Deutsche übersetzen, dieses Schnoddrige, erhielte man gleich eine ganz andere Figur. Das wäre dann eher der Junge aus dem Hafen, und man müsste eine Seemanns-Show machen. Für mich ist diese Figur auch wichtig, um den Schalter zwischen Bühnenfigur und privater Person umzulegen.
[F] Ist DIGGER BARNES denn zu 100% eine Kunstfigur, oder steckt auch ein Teil von dir in ihr?
[A] Es steckt natürlich viel von mir drin, sonst funktioniert eine Kunstfigur auch nicht. Sie ist eine Verdichtung von Erlebtem. Ich glaube, bei vielen Künstlern verschwimmt es, wenn sie auf die Bühne gehen und wenn sie denken, das sei alles noch privat. Das ist es nie. Als DIGGER BARNES kann ich mir guten Gewissens Sachen erlauben, weil ich einen bestimmten Charakter verkörpere. Er enthält zwar auch Teile von mir, aber ich kann das vereinfachen und muss nicht meine gesamte Persönlichkeit auf die Bühne stellen. Wobei die Frage, was an Kunst und Musik noch privat ist, ja fast schon philosophisch ist…
[F] Wie würdest du reagieren, wenn dir DIGGER BARNES im realen Leben begegnen würde? Wäre er dir sympathisch oder suspekt, vielleicht sogar unsympathisch?
[A] Gute Frage! (Er denkt lange nach; Anm. d. Verf.) Kann ich gar nicht beantworten, weil die Person doch zu nah an mir dran ist. Darüber müsste ich lange nachdenken.
[F] Kommt dir für die Schaffung der Figur denn deine Schauspielausbildung zugute?
[A] Ich habe zwar eine Schauspielausbildung gemacht, aber real eigentlich nie als Schauspieler gearbeitet. Dafür habe ich schon immer Musik gemacht und das als viel stärker empfunden. Ich habe in der dreijährigen Ausbildung zwar viel gelernt, aber relativ schnell entschieden, dass ich das nicht als Beruf ausüben möchte. Schauspieler ist ein harter Job, man muss richtig Bock drauf haben und in seinem ganzen Leben sehr flexibel sein. Nach der Schule kamen zwar ein paar Jobs rein, aber das ist bei mir schnell verebbt, weil ich mich nie drum gekümmert habe. Die Struktur der Musik, eine Band zu haben und selbst entscheiden zu können, was man macht, hat mir immer besser gefallen. Ich habe zwar jetzt für zwei Jahre als Orchesterwart im Thalia Theater gearbeitet, aber meine Entscheidung nie bereut. Ich war als Schauspieler auch nicht sonderlich begabt, und das Theater war nicht meine Welt. Allerdings nutze ich für DIGGER BARNES schon ein paar Dinge, die ich gelernt habe. Vor allem was die Präsenz betrifft, und die stimmliche Anwesenheit. Im Theater lernt man viel zum Thema Anspannung und Entspannung. Das ist vor allem wichtig, wenn man alleine auf der Bühne steht und das Publikum eine Stunde lang bei Laune halten will. Manchmal gelingt diese Präsenz auch nicht, wenn man einen schlechten Tag hat. Aber mit gewissen Techniken kann man sich das zumindest vornehmen.
[F] Bei deinem neuen Album benutzt du viel mehr Instrumente als bisher. Hast du alles selbst arrangiert?
[A] Es sind nicht viel mehr Instrumente als bei der letzten Platte, sondern vor allem andere. Ich arbeite bei den Aufnahmen sehr eng mit meinem längsten Freund zusammen. Friedrich Paravicini ist selbst Musiker, Multiinstrumentalist und hat ein Studio mit vielen Instrumenten, die zur Verfügung stehen. Wir arbeiten dort sehr viel zu zweit. Ich spiele die Sachen, die ich spielen kann, er den Rest, und ganz zum Schluss holen wir noch Leute dazu, um weitere Klangfarben und Backing Vocals zu ergänzen. Live habe ich auch schon zusammen mit meiner Schwester und als Trio gespielt, aber zuletzt fast nur noch alleine. Es ist schwierig, mit mehreren Leuten zu touren, auch, weil man sie nicht so gut bezahlen kann, wie man gerne möchte. Aber irgendwann wird es mal die Superband geben mit zehn Leuten und Orchester.
[F] Das stelle ich mir gerade bei den neuen Songs sehr spannend vor. Wie wär´s mit einem solchen Konzert auf Kampnagel?
[A] Das ist eine gute Idee. Ich kenne auch tatsächlich viele Musiker hier in Hamburg, aber sie haben fast alle damit zu kämpfen, überhaupt davon leben zu können. Meistens haben sie einen festen Zweitjob, der sie davon abhält, auf Tour gehen zu können, und das ist wirklich ein Dilemma.
[F] Kannst du denn inzwischen von deiner Musik leben?
[A] In diesem Jahr wird es darauf hinauslaufen. Als ich zwischenzeitlich für zwei Jahre als Bassist bei CHUCK RAGAN gearbeitet habe, ging das auch. Aber auch wirklich nur aufgrund der Tatsache, dass ich 200 Tage im Jahr nicht zu Hause war. Auf Tour gibt man nicht viel Geld aus, aber ich musste auch erkennen, wo meine Limits sind. Ansonsten riskiert man, nie wieder auf Tour gehen zu wollen und das Interesse an der Musik zu verlieren. Insofern war der Theaterjob eine angenehme Ergänzung, weil man selbst nichts organisieren muss. Wenn man zwei Wochen auf Tour gehen will, hat man vorher zwei Monate Arbeit, die nicht bezahlt werden.
[F] Hast du neben DIGGER BARNES noch andere musikalische Projekte?
[A] Nein, gerade nicht. Das war eine bewusste Entscheidung. Ich habe immer sehr gerne Kontrabass gespielt, weil es im Idealfall viel Spaß macht. Wenn man dann noch jemanden supportet, auf dessen Musik man steht, ist das sehr entspannend. Auch wenn ich gerne alleine auf der Bühne stehe, ist das doch sehr anstrengend, weil man sehr viel Verantwortung trägt.
[F] Wie du schon sagtest, warst du zwischenzeitlich ja auch in Amerika als Livebassist mit CHUCK RAGAN und AUSTIN LUCAS unterwegs. Wie war das?
[A] Für insgesamt drei Jahre. Es war eine tolle Zeit, ich habe viel gelernt und ich bereue es nicht, aber wenn man nebenbei noch ein eigenes Projekt hat, klappt das irgendwann nicht mehr. Wenn man täglich für acht bis zwölf Stunden im Auto sitzt, bleibt Dir nur noch die Show und ein Abendessen, und das macht einen auf Dauer fertig. Deshalb sind Ami-Bands aber auch so selbstbewusst, wenn sie es bis nach Europa schaffen.
[F] Hast du zwischenzeitlich mit dem Gedanken gespielt auszuwandern?
[A] Als es losging, überlegte ich das tatsächlich. Zu dem Zeitpunkt hätte es auch Sinn gemacht, aber dann habe ich den richtigen Moment verpasst. Wir waren ja ununterbrochen unterwegs, und irgendwann war ich überdosiert von dem ganzen Ami-Ding. Mittlerweile vermisse ich es aber auch. Cool war immer das Pendeln zwischen zwei Kulturen, wenn man registriert, was an Amerika gut ist und was man an Europa hat. Wenn man aber immer nur in Hamburg sitzt, bemerkt man ja gar nicht, was hier gut ist.
[F] Was hast du aus Amerika mitgenommen?
[A] Positives Denken. In den USA werden Probleme als Herausforderung gesehen. Wenn ein Problem kleingeredet wird, kann das zwar auch nerven, aber insgesamt herrscht dort mehr die Auffassung: "Klar, wir schaffen das!" Da wünsche ich mir hier manchmal etwas mehr Pragmatismus. Was ich an Amerika außerdem toll finde, ist diese grundsätzliche Freundlichkeit im Erstkontakt. Dass in Hamburg immer alle muffelig sind, geht mir auf die Nerven. Das bemängeln ja auch viele Leute von außerhalb. Ich war früher auch so, aber das habe ich in den letzten zehn Jahren geändert.
[F] Wenn man deine letzte Platte aufmerksam hört, stellt man fest, dass es viele Details gibt, die auf den ersten Blick gar nicht auffallen, auf den zweiten Blick aber umso mehr begeistern. Worauf achtest du, wenn du Musik schreibst?
[A] Im Vergleich zum Debüt ist das neue Album viel melodischer geworden. Ich habe mich aber schon immer sehr für Sounds interessiert und wie man Instrumente als Klang einsetzt, während andere Leute eine ganz unterschiedliche Wahrnehmung haben und sich zum Beispiel mehr für niveauvolle Texte interessieren. Deshalb sehe ich mich auch nicht so sehr in der Country-Ecke. Ich bin zwar ein klassischer Songwriter, aber mich interessiert viel mehr, wie man Songs arrangiert, wie man ungewöhnliche Instrumente einsetzt und wie man aufnimmt. Was Musik emotional mit einem macht, hat ganz viel damit zu tun, wie man Sachen hinstellt und benutzt, wie man sie einsetzt und miteinander verzahnt. Das ist fast wie ein gutes Essen, wo man einzelne Zutaten herausschmeckt. Daran habe ich Spaß. Ich finde auch, dass Kochen sehr viel mit Musik zu tun hat. Es reicht nicht, einfach nur gut zu kochen, man muss das Essen auch vernünftig anrichten, eine angenehme Atmosphäre schaffen und sich überlegen, was man wann serviert. Genauso sollte man bei der Zusammenstellung einer Platte darauf achten, ob Songs nacheinander funktionieren und sie nicht wahllos hintereinander packen. Ich finde, dass gerade die neue Platte gut durchzuhören ist.
[F] Könntest du dir nach dem Theaterstück auch vorstellen, Filmmusik zu machen?
[A] Ja, ich würde sehr gerne mal einen richtig guten Film vertonen.
[F] Musikalisch im Stile von DIGGER BARNES?
[A] Das weiß ich gar nicht. Ich muss sehen, wie das bei dem Theaterstück wahrgenommen wird. Man schöpft natürlich eh nur aus dem, was man macht, und ein gewisser Wiedererkennungswert wird wahrscheinlich immer da sein. Wobei ich versuche, dass die Musik beim Theater oder Film möglichst dienlich ist. Wenn ich da meine Ego-Schiene fahre, meine Songs spiele und wieder nach Hause gehe, nutzt das keinem. Ich hoffe, dass ich sensibel genug bin, zu erkennen, ob die Musik im Gesamtkontext Sinn ergibt.
Videos:
http://www.youtube.com/watch?v=–K2nyH1cPs
Links:
http://www.diggerbarnes.net/
http://www.diamondroadshow.com/
http://allieparker.bandcamp.com/
http://www.friedrichparavicini.de/