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Kurz & schmerzlos (Januar – März 2022) – CD-Besprechungen in aller Kürze

„Herr Otte, wenn der Krieg kommt, müssen wir dann noch Masken tragen?“ Diese Frage war kein Aprilscherz, sondern vielmehr eine ernst gemeinte Frage eines Schülers.
Mal ganz im Ernst: Wie soll man eigentlich in der heutigen Zeit noch über irgendeinen Aprilscherz lachen, werden diese doch neuerdings ganz gerne nach wenigen Wochen Realität. Was gerade in der Welt abgeht, wird zur Genüge auf zig tausenden Seiten im Netz abgehandelt, diskutiert und auseinandergenommen – und muss definitiv auch tagtäglich in der Schule behandelt werden, um diversen Ängsten, aber auch dämlichen Gedanken entgegenzuwirken.
Vielleicht versuchen wir als kleines Indie-Fanzine einfach mal, unseren Blick auf die Musik zu richten. Denn zumindest diese bleibt ein Fixpunkt in unser aller Leben und ihr gelingt es, uns wenigstens mal für ein paar Minuten oder Stunden von all dem abzulenken, was unsere Hirne sonst zermartert und hin und her reißt. Egal, ob diese Dinge nun weit von uns, in unmittelbarer Nähe oder sogar in uns selbst stattfinden – jede:r von uns wird wissen, wovon derzeit gerne ein wenig Abstand genommen werden möchte.
Und so ist es doch beispielsweise einfach schön, dass auch heute noch echte Demo-Tapes (in Kassettenform) herausgebracht werden, dass Musik der eigenen Jugend die heutige noch beeinflusst, der Lambada eine Wiedergeburt feiert oder der Death Metal mit dem Hardcore Punk schmust… und und und. All das bieten unsere kurz & schmerzlos besprochenen Veröffentlichungen der letzten Monate.

ALMA NAIDU – Alma (Label: Leopard; VÖ: 11.02.2022)
(jg) Wer bei seinem Debütalbum bereits Größen wie WOLFGANG HAFFNER, NILS LANDGREN und DOMINIC MILLER (STING) als Gastmusiker versammelt, scheint eine große
Karriere vor sich zu haben. Tatsächlich klingt ALMA NAIDU mit ihrer sanft-souligen Stimme und dem leicht zu hörenden Jazz tatsächlich wie geschaffen für die großen Bühnen. Ein wenig mainstreamig schon, klar, mitunter sogar ein wenig ins Musicalhafte herüberschwappend, aber hieran kann man durchaus Gefallen finden. Selbst wenn man bei sich bei blueprint in der Regel ja mehr mit dem Indiebereich oder vertrackteren Jazzsachen auseinandersetzt. Für ein wenig zwischenzeitliche Entspannung sorgt ALME NAIDU allemal!
https://www.almanaidu.com/

CAPTAIN RICO AND THE GHOST BAND – Frequences d’outre-tombe (Label: Eigenregie; VÖ: 04.03.2022)
(jg) Selbstproduzierter Surf-Rock aus Frankreich, der zwar keine High End Produktion aufweisen kann, aber aus mehreren Gründen trotzdem zu gefallen weiß. Zum einen ist da natürlich das Zeitgefühl, das gegen ab Ende der Sechziger von Bands wie DICK DALE und später auch von MAN OR ASTROMAN? verkörpert wurde. Zum anderen ist es aber auch das schöne Wechselspiel von Rockabilly/Horrorbilly, bluesigen Ruhemomenten, klassischen Surfrock-Tonleitern und ausgefeilten Arpeggio-Klängen. Das alles rein instrumental! Für meinen Geschmack hätte zwar etwas Gesang für ein wenig mehr Abwechslung bzw. Dynamik gesorgt, aber auch so wissen CAPTAIN RICO AND THE GHOST BAND für genügend Unterhaltung zu sorgen.
https://captain-rico.bandcamp.com/releases

CUMBIA CHICHARRA – El Grito (Label: Cumbia Chicharra; VÖ: 18.02.2022)
(jg) Eine achtköpfige Cumbia-Band aus Marseille, die die lateinamerikanische Musik mit Afrobeat, Dub und HipHop mischt. Lambada in modern, sozusagen. Und nicht ganz so chartlastig vielleicht. Aber tanzbar ist die Musik allemal. Und wer genau hinhört, kann hier sogar Mariachi-Versatzstücke ausmachen (der Opener „Fugitivo“ erinnert mich mit seinen Bläsern ein wenig an CALEXICO). Wahrscheinlich sollte man CUMBIA CHICHARRA genauso wahrnehmen: Genregrenzen gibt es nicht! Und das ist genau die Stärke dieser Combo. 350 Konzerte von Chile über Russland und Kroatien bis nach Deutschland sprechen dafür, dass diese Musik international funktioniert. Hier ist ihr viertes Album!
https://www.lacumbiachicharra.com/

DAMIAN DALLA TORRE – Happy floating (Label: Squama Recordings; VÖ: 25.02.2022)
(jg) Was kommt dabei heraus, wenn ein studierter Musiker (Tenorsaxophonist, Komponist, Produzent), der in improvisierter und experimenteller Musik arbeitet, für sein Debütalbum 19 renommierte Musiker (RUTH GOLLER, JAN ROTH, Alex Binder (DOTA) und diverse namhafte Jazzmusiker/innen) zusammentrommelt? Definitiv keine Musik für die Charts. Stattdessen pendelt „Happy floating“ zwischen Field Recordings, Bläsern, Streichern und diversen Samplings – oder anders ausgedrückt zwischen warmen Sounds, artifiziellen Klangpassagen und sphärischen Momenten. Das hat definitiv etwas Beruhigendes, bisweilen auch aufwühlende Augenblicke – in der Summe aber auch etwas unnahbar Akademisches. Einzelne Ausschnitte daraus könnte ich mir gut bei TORTOISE oder THE NOTWIST vorstellen, doch auf Albumlänge fehlen mir hier klare Songstrukturen, vielleicht auch der Gesang. Eindrücke von DAMIAN DALLA TORREs Debütalbum könnt Ihr hier gewinnen.
https://damiandallatorre.bandcamp.com/album/happy-floating

DAMMRISS – „Weil Leben schön ist“ (Demo-CD, VÖ: September 2020)
(bc) Diese Demo-EP von DAMMRISS wurde bereits im vorletzten Jahr veröffentlicht, ist allerdings erst jetzt bei uns gelandet. Ausgeprägte Pünktlichkeit zählte halt noch nie zu den Grundtugenden des gemeinen Punkrockers, hehe… Anyway! „Weil Leben schön ist“ bietet unbekümmerten melodischen Deutschpunk, der sich inhaltlich selber nicht allzu ernst nimmt. Mein Favorit unter den fünf Liedern ist das Stück „Dekaden(t)“, das tempomäßig etwas mehr nach vorne geht und mich ein wenig an den alten WILDE 13-Hit „Uniformist“ erinnert. Mal schauen, wohin die Reise geht.
https://www.facebook.com/Dammriss/

DEAD VENUS – „Flowers & pain“ (Label: Team H, VÖ 04.02.2022)
(bc) Mit dem vor zwei Jahren erschienenen DEAD VENUS-Album „Bird of paradise“ wagte sich die ehemalige BURNING WITCHES-Sängerin Seraina Telli erstmalig aufs Progressive Rock-Terrain vor. Mit dem Nachfolger „Flowers & pain“ wird das Ganze noch einmal zusätzlich professionalisiert. Dies beginnt bereits beim aufwendig gestalteten Artwork und setzt sich in einem noch ausgefeilteren Songwriting fort. So kommen diesmal auch verzerrte Gitarren zum Einsatz, insgesamt tritt der Metal-Hintergrund der Protagonist*innen deutlicher zu Tage, ohne den Pop- und Akustikinstrument-Anteil grundsätzlich auszublenden. Man hört auf jeden Fall heraus, dass DEAD VENUS große Ambitionen haben. Wie weit diese letztlich realisiert werden, wird sich zeigen.
https://www.facebook.com/deadvenus/

GRÉGORY PRIVAT – Yonn (Label: Buddham Jazz, VÖ: 25.03.2022)
(jg) Die Zeit der Neoklassik scheint langsam vorbei zu sein. GRÉGORY PRIVAT zeigt, dass man aber durchaus moderne Klassik mit beeindruckender Schönheit komponieren kann, allerdings ist sein Klavierspiel um einiges anspruchsvoller als das von ÓLAFUR ARNALDS, MARTIN KOHLSTEDT, NILS FRAHM und Co. Genaugenommen hat es mit Modern Classic/Neoklassik auch kaum noch Gemeinsamkeiten, ähnlich wenig wie mit Soul und Jazz, wie uns das Presseinfo oder Label denken lassen könnten. Oftmals geht es schon mehr in Richtung der ursprünglichen Klassik, mit Einflüssen aus der Continuous Music. Gut möglich, dass ich dies aber auch nur so empfinde, weil GRÉGORY PRIVAT pandemiebedingt auf seinem neuen Album solo agieren musste. Dass er nebenbei auch noch als Sänger agiert und karibische Einflüsse zulässt, macht ihn sogar unverwechselbar.
https://www.gregoryprivat.com

HENRI TEXIER – Heteroklite lockdown (Label: Label Bleu; VÖ: 18.03.2021)
(jg) Zum Runterkommen eignet sich perfekt der entspannte Contemporary Jazz des legendären Kontrabassisten, Multiinstrumentalisten, Sängers, Orchesterleiters und Komponisten HENRI TEXIER zusammen mit seinem Sohn Sebastian am Saxophon und Gautier Garrigue am Schlagzeug. Bezeichnend, dass dieses Album während des Lockdowns entstanden ist, so tiefenentspannt ist die Herangehensweise des Trios ans Komponieren, Musizieren und Neuinterpretieren (u.a. „Round about midnight“ (THELONIOUS MONK) und „What is this thing called love“ (COLE PORTER)). So hat die erzwungene Immobilität inmitten der alltäglichen Verpflichtungen manchmal eben doch ihre positiven Seiten.
https://www.facebook.com/HenriTexierJazz

KATERINA GÖTTLICHOVÁ – Zimnice (Indies Scope Records, VÖ: 25.02.2022)
(so) GÖTTLICHOVÁ, die man von der Mittelalter-Band BRAAGS kennen könnte, bringt nun also ihr Solo-Debüt heraus. Herausgekommen ist ein Album zwischen tschechischer Kinderserie, tiefem Mittelalter und sehr viel Kunst. Denn kunstvoll ist es, was uns GÖTTLICHOVÁ mit „Zimnice“ hier vorlegt, in jeglicher Hinsicht. Die Instrumente fein ausgewählt, der Gesang fast schon zu schön. Abwechslungsreich ist dieses Album ebenfalls, sehr slawisch geprägt und mal ekstatisch, mal verträumt-melancholisch fängt es die vielen Gefühlszustände menschlichen Lebens recht gut ein. Dennoch gelingt es ihm einfach nicht, mich vollends zu packen, ich kann gar nicht genau sagen, woran das liegt. Aber irgendetwas fehlt – oder ist zu viel. Wahrscheinlich Letzteres, wirkt „Zimnice“ doch manchmal ein wenig überladen.
http://katerinag.cz/home-english/

KLAUS MICHEL – The End (Label: Rockwerk Records, VÖ: 25.01.2022)
(so) Tja, das ist wieder so ein Beispiel für einen preisgekrönten Künstler, der bei mir einfach nicht landen kann. Aber er wird ja an anderen Stellen zur Genüge gefeiert. „The End“ bietet handwerklich ordentliche Songs, die die Bereiche Pop, Folk und sogar ein bisschen Indie abdecken, dabei häufiger in den Americana sowie ins Psychedelische rutschen. Irgendwie ganz nett, aber teilweise doch auch ziemlich anstrengend (insbesondere diese langen Gitarrenparts…). Da hat mal wieder ein Album in mir den falschen Rezensenten gefunden. Falls ihr aber auf der Suche nach positiven Kritiken seid, dieses findet ihr in diesem seltsamen Internet zur Genüge. Für mich war’s eher so la la. Aber nun auch The End.
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LAURENT BARDAINNE & TIGRE D’EAU DOUCE – Hymne au soleil (Label: Heavenly Sweetness; VÖ: 11.03.2022)
(jg) Wie Otti in der Einleitung schon richtig beschrieb: die Zeiten stehen aktuell günstig, um die Welt schwarz zu malen. Wer jedoch keine Lust mehr auf Trübsal hat, sollte sich den smoothen Jazz von LAURENT BARDAINNE & TIGRE D’EAU DOUCE reinziehen, der mit klassischem Jazz so gar nichts zu tun hat und stattdessen lieber fröhliche Einflüsse aus Soul, Funk, Afrobeat und HipHop zulässt. Ich dachte beim zweiten Stück „La vie, la vie, la vie“ bereits, dass mein Nachbar fröhlich mitpfeift, bis ich bemerkte, dass es sich doch um eine Fender Rhodes aus dem Hintergrund handelte. Dass der Multiinstrumentalist und Komponist LAURENT BARDAINNE bereits in der Vergangenheit gerne über den Tellerrand schaute und u.a. mit PHARRELL WILLIAMS und ED BANGER kooperierte, spielt ihm hier sicherlich in die Karten. Auch wenn dies eigentlich so gar nicht meine Musik ist, bin ich mir sicher, dass ich dieses Album regelmäßig wieder aus dem Regal hervorkramen werde.
https://laurentbardainnetigredeaudouce.bandcamp.com/

MUDDY GURDY – Homecoming (Label: Chantilly Negra; VÖ: 25.02.2022)
(jg) Blues mit Roots-Feeling. Sie kommen zwar aus Frankreich und haben sich erst 2012 gegründet, ich hätte sie mir aber ebenso gut auf dem Woodstock Festival anno 1969 vorstellen können. Hinzu kommen noch ein paar Einflüsse aus dem Alternative Country und aus dem Afro-Karibischen (insbesondere die Rhythmik). Fühlt sich an, wie eine Roadtour entlang dem Mississippi, der im dritten Song passenderweise besungen wird. Als Gäste sind auf diesem Album die Enkel von R.L. BURNSIDE (Cedrik) und OTHA TURNER (Shardé Thomas) dabei. Ein hypnotisches Album, das wie eine musikalische Zeitreise klingt.
https://muddygurdy.com/the-band/

OLD SALT – Live in Room 13 (Label: Eigenregie, VÖ: 11.02.2022)
(so) OLD SALT aus Belgien geben uns den musikalischen Kurzfilm zur Corona-Pandemie an die Hand. „Eintönigkeit, Einsamkeit, Hoffnung und Verlust“, all diese Gefühle und Erlebnisse, die uns in den letzten zwei Jahren begleitet haben, thematisieren sie in den fünf Songs dieser EP. Diese selbst sind zeitlose Klassiker der Folkszene, und OLD SALT gelingt es hervorragend, insbesondere die eigene Stärke – den mehrstimmigen Gesang – in den Vordergrund zu stellen. Teilweise ist die Betonung auf Bluegrass – schlicht durch das (zu) häufig genutzte Banjo – ein wenig anstrengend, dennoch kann „Live in Room 13“ die Stimmung aufhellen und untermalt den heimischen Pub-Abend auf das Beste. Schönes kleines Ding.
http://www.oldsalt.us/

OMAR PENE – Climat (Label: Contre Jour, VÖ: 04.02.2022)
(jg) Gregor Samsa hat mit seinem Label Sounds of Subterrania der Weltmusik und dem Afrobeat ja zuletzt ein bedeutsames Sprachrohr verliehen und der Musik ein wenig aus ihrem Nischendasein verholfen. Auf Kampnagel wird dies ebenfalls schon länger praktiziert. Hinter OMAR PENE verbirgt sich Künstler aus dem Senegal, der mit ziemlich leichtfüßiger, percussiver Musik auf wichtige politische und gesellschaftliche Themen vor Ort hinweist. Wahrscheinlich ist es seiner langen musikalischen Erfahrung geschuldet (bereits Anfang der Siebziger gründete Pene mit SUPER DIAMONO seine erste Band und ist seit den Achtzigern solo unterwegs), dass er die verschiedensten Einflüsse aus Afrobeat, Weltmusik, Pop und Funk so elegant miteinander verknüpft, dass man selbst mit westeuropäischen Hörgewohnheiten sofort einen leichten Zugang zu seiner Musik verspürt.
http://www.safoul-productions.com/en/bio_en_omar_pene.htm

PIERRE VERVLOESEM GROUP – 30 Years of success (Label: Off; VÖ: 21.01.2022)
(jg) Jazz, der anstrengenden Art. Man kann es auch grob in die Sparten Avantgarde (also: künstlerisch-verquer) und Prog-Rock (also: technisch anspruchsvoll; Soli ausufernd) einsortieren. Oder aber man nennt es Jazz-Math-Rock. Wahrscheinlich wird die PIERRE VERVLOESEM GROUP eh als „die MR. BUNGLE des Jazz“ bezeichnet. Wusste ich bloß noch nicht. Wobei ich bei längerem Reinhören feststellen muss, dass die Belgier zwar enervierende Musik fabrizieren, dass dieses Verquere und der musikalische Anspruch zugleich aber auch irgendwie doch ganz geil sind. Dass Pierre Vervloesem nebenbei auch noch als Co-Produzent für dEUS tätig war, spiegelt wahrscheinlich seine Vielseitigkeit wider. Am Ende überwiegt bei mir persönlich aber doch die Erschlagenheit ob des Gehörten, und ich muss nach dreieinhalb Tracks das Album wieder schleunigst aus meinem CD-Player entfernen.
https://pierrevervloesem.bandcamp.com/

SAMAVAYO – Payan (Label: Noisolution; VÖ: 27.03.2021)
(jg) Hardrock/Stoner Rock mit zum Teil orientalischen Einflüssen. Erinnert mich stellenweise an Bands wie ALICE IN CHAINS, BLACK SABBATH, FU MANCHU und sogar INCUBUS, das Bandinfo liegt auch gar nicht so verkehrt, wenn es TOOL als Referenz nennt. Neben dem typischen Rocksound haben SAMAVAYO außerdem ein gutes Gespür für eingängige Melodien. Schön, wenn man nach 22 Jahren Bandgeschichte noch so vielseitig orientiert und interessiert ist und dies auf Tonträger umzusetzen weiß. Da lassen sich auch die zahlreichen Gäste (u.a. von DOZER, COOGANS BLUFF und STONED JESUS) nicht allzu lange bitten, ihren Beitrag zum mittlerweile siebten Album der drei Berliner beizusteuern.
https://www.samavayo.com/

SILVERSHARK – Burn to boogie (Label: Noisolution, VÖ: 21.01.2022)
(jg) Ich bin ja immer wieder überrascht, wie authentisch so manche Band sowohl musikalisch als auch optisch die Siebziger in die Gegenwart transferiert. Als Beispiele seien hier insbesondere KADAVAR und PARCELS genannt, erstere mehr im klassischen Hardrock verhaftet, letztere eher im Bereich Disco/French House angesiedelt. Mit SILVERSHARK wagen sich nun auch Steve Burner (TRAVELIN JACK) und Richard Behrens (HEAT, SAMSARA BLUES EXPERIENCE) in die Vergangenheit und versuchen dabei, Gedanken an diverse Größen aus den Bereichen Soul, Funk und Disco aufleben zu lassen. So sehr die Optik (siehe Cover) zu überzeugen scheint, so sehr mangelt es leider an der musikalischen Umsetzung. Was leicht und locker klingen soll, kommt auf „Burn to boogie“ eher langweilig bis überladen daher, die Gitarrensoli strapaziös, der Gesang aufgesetzt. Das Ganze hat für mich mehr Ähnlichkeit mit einem ungelenken Stefan-Raab-artigen Nebenprojekt als mit einer überzeugenden Retro-Band. Schade.
https://www.facebook.com/silvershark.boogie/

SOECKERS – Nie wieder (Label: Chateau Lala; VÖ: 04.03.2022)
(jg) Kollege Otti fragte sich bei ihrem Debüt, ob ihre stilistische Vielfalt nicht auch ein Hindernis sein könnte. Das kann man rückblickend nicht bestätigen – SOECKERS schafften es trotz Corona auf sich aufmerksam zu machen, und so werden die Veränderungen zwischen dem ersten und zweiten Album im Presseinfo sogleich mit der musikalischen Entwicklung von TOCOTRONIC und THE STROKES verglichen. Puh. Na gut, produktionstechnisch mag das stimmen – während bei dem Debüt noch das übliche Indierock-Instrumentarium zum Einsatz kam, wird auf „Nie wieder“ mit Chören, Streichern und diversen elektronischen Ergänzungen das ganz große Kino aufgefahren. Im Fazit erinnern mich SOECKERS aber nach wie vor an Schunkelmusik im Indierockgewand – WANDA und Co. lassen grüßen!
https://soeckers.de/

STARSHIPS – Demo Tape (Label: Eigenregie, VÖ: April 2021)
(so) „Wir spielen eine Art Emopunk“. So beginnt das handgeschriebene Presseinfoblatt zum Demotape der Band STARSHIPS aus Berlin/Hamburg. Ja, das stimmt. So eine Art Emopunk ist das eben, was uns da entgegenrumpelt. Das Smartphone auf dem Cover hat schon so seine Bewandtnis, wurde das Demo doch an einem einzigen Tag mithilfe eben diverser dieser mobilen Endgeräte eingespielt – die erhoffte Demo-Stimmung erreicht die Band damit auf jeden Fall. Die fünf Songs erinnern an Bands wie KIPPEN oder auch (um etwas zu hoch zu greifen) DUESENJAEGER, schaffen es aber noch nicht in deren Preisklasse, beweisen dennoch das Potential für mehr. Mal sehen, was da als nächstes folgt…
https://starshipsstarships.bandcamp.com/

THE BRUTE – Brute : One (Label: Timezone, VÖ: 19.11.2021)
(so) Ein Debütalbum, das klingt, als wäre es das neueste Werk von DEPECHE MODE. Insbesondere stimmlich erinnert THE BRUTEs Mastermind Daniel Gierke an DAVE GAHAN, aber auch instrumentell könnte es sich hier zumindest um ein Sideprojekt handeln. „Brute : One“ bietet uns Industrial-Pop und EBM in recht hoher Qualität, aber leider taucht im hörenden Hirn immer wieder der große Name dieser Musikrichtung auf und verschwindet auch nie ganz, was der Eigenständigkeit dieses Albums einen deutlichen Bärendienst erweist. Schade, denn insgesamt ist „Brute : One“ wirklich sehr gut hörbar. Auch wenn es sich sehr auf den Blick in den Rückspiegel Richtung Ende des letzten Jahrtausends konzentriert. Das macht THE BRUTE zumindest richtig gut.
https://www.thebrutemusic.com/

VERROTTEN – s/t (Label: Anarchy Of Sounds records, VÖ 14.02.2022)
(bc) Ich denke mal, angesichts des Artworks und des Bandnamens erübrigen sich Spekulationen darüber, was einen bei VERROTTEN erwartet. Hier wird die düstere, brachiale Hardcore-Punk-Schiene gefahren, angereichert mit diversen Death-Metal-Anleihen, die sich vor allem auch in dem gutturalem Gesang widerspiegeln. Auch textliche Themenpalette aus Apokalypse, Krieg, Tod und gesellschaftlichen Missständen passen gut ins Gesamtbild und lassen bei der Hörerschaft nicht gerade Urlaubsstimmung aufkommen. Wirkt insgesamt zwar stimmig, trifft beim Blueprint aber vermutlich nicht auf die richtige Zielgruppe.
https://verrotten-metalpunk.bandcamp.com/

Simon-Dominik Otte

Mensch. Musiker (#Nullmorphem). Schauspieler (#BUSC). Rezensent (#blueprintfanzine). Come on, @effzeh! AFP-Fan. (#Amandapalmer). Lehrer. Und überhaupt. Und so.