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ENNO BUNGER – „Ich hatte schon immer ein Faible für Flachwitze.“

Es ist immer schön, wenn man die Möglichkeit hat, ohne weite Reisen anzutreten, ein Interview zu führen. Doch nicht nur das war gegeben, als ich mich aufmachte, ENNO BUNGER in der Hafen-City zu interviewen, sondern das Setting war erstklassig. Im „Vinylroom“ eines dort ansässigen Hotels fand das Treffen statt – und das empfand nicht nur Ennos Hund Emma als sehr passend, ich auch. Und so nahmen wir uns ein halbes Stündchen, um gemeinsam über Verluste, Helden, das Texten in deutscher Sprache und viele weitere Themen zu sprechen, die sich aus dem neuen Album „Was berührt, das bleibt“ ergaben. Daran möchte ich euch natürlich teilhaben lassen:

Du hast – wie eigentlich immer – ein sehr wortgewandtes Album gemacht, auf dem du sehr viel mit Sprache spielst. Überlegst du dir das vorher, oder entsteht das beim Schreiben?
Beides. Es ist eine Art Sport von mir, Worte zu sammeln, Neologismen zu bauen oder Wortwitze zu machen. Ich hatte schon immer ein Faible für Flachwitze, vielleicht, weil ich aus dem flachsten Landstrich Deutschlands komme, aus Ostfriesland, wo man freitags schon sehen kann, wer sonntags zum Tee kommt. Vielseitigkeit in der Sprache ist wichtig, gerade, wenn man so melancholisch ist wie ich. Da ist es gut, das immer wieder zu brechen, dann ist es nicht ganz so schwer.
Vieles entsteht im Moment des Schreibens. Da ich aber hauptberuflich Songwriter bin, arbeite ich eigentlich unentwegt an Reimen, Metaphern und ähnlichen Dingen. Ich versuche, viel aus dem Alltag aufzuschnappen und das dann für mich zu adaptieren.

Ein bisschen der Max Goldt der Musik…
Das hast du gesagt.

Der Opener verbreitet eine sehr positive Stimmung. Ist es Absicht, so einzusteigen?
Klar. Beziehungsweise stelle ich hier das Ende der Geschichte an den Anfang. Die Begründung für das, was am Anfang steht, ergibt sich dann aus den späteren Stücken. Wichtig ist, auch wenn es platt klingt, dass man die Zeit jetzt nutzt, dass man den Menschen das, was man ihnen sagen möchte, jetzt sagt, dass man den Arsch hoch bekommt. So entstand unser Trip nach Kalifornien und das war absolut richtig.
Ich bin selbst ein großer Zweifler, ab und zu brauche ich einen Song, der mich antreibt, der mich davon überzeugt, jetzt doch etwas zu machen.

Bei aller Traurigkeit und Ernsthaftigkeit macht das Album Lust aufs Leben und die Zeit zu nutzen. Ist das ein Wunsch von dir?
Es geht auch um Dankbarkeit für das, was man an Lebensqualität hat, an menschlicher Qualität. Um zum Kern des Ganzen zu kommen: Es gibt zwei Gründe, warum der Albumtitel der geworden ist, der er geworden ist. Es ist zum einen der unvorstellbare Fall eingetreten, dass von zwei besten Freunden beide Freundinnen krebskrank geworden sind, einmal mit einer schlechten, einmal mit einer besseren Prognose. Die Freundin meines besten Freundes ist nach einem Rückfall sehr schnell gestorben. Zu sehen, wie Menschen auch an einer solchen Krankheit wachsen können, mit welcher Stärke und Haltung sie sie angehen, wie man dann in den dunkelsten Stunden durch schwarzen Humor wieder lachen kann, das ist eine Erkenntnis, die ich aus dieser Zeit gezogen habe. Wie wir uns gegenseitig durch Humor gestützt haben. Das ist geblieben, das wird bleiben und dann wird mir sicherlich noch viel helfen, wenn ich mich mit Problemen befasse, die eigentlich keine sind. Auf der anderen Seite geht es darum, dass diejenigen meiner Songs, die berührt haben, auch diejenigen waren und sind, die bleiben. So, wie auch der Austausch mit einigen Fans, der uns gegenseitig gut tut. Oder auch BON IVER live zu sehen, „Philadelphia“ mit diesen beiden unglaublichen Songs zu sehen und von da an zu wissen: Ich bin Melancholiker.

Es gibt einen Song von dir, der meine beste Freundin und mich sehr geprägt hat, das war bis jetzt „Wahre Freundschaft“. Nun gibt es „Ponyhof“, deine gesungene Trauzeugenrede. Bei beiden Songs geht es um tiefe Freundschaft. Wie siehst du die Songs im Vergleich?
„Wahre Freundschaft“ habe ich mit 18 geschrieben, der ist noch ein bisschen einfacher und allgemeingültiger, nicht so konkret. Er ist mehr ein Versprechen, eine Aussicht auf das, was kommt. Ich finde ihn aber immer noch sehr wahr. „Ponyhof“ ist tiefer, hat mehr klare Beispiele, woran man eine beste Freundschaft festmachen kann. Mehr die Chronologie einer Freundschaft und die Hoffnung, dass sie noch lange anhält.

Bei „Wolken aus Beton“ geht es um Menschen, die einen umgeben und an Depressionen leiden. Ist das richtig gedeutet?
Absolut. „Wolken“ könnte allerdings auch ein Appell an mich selbst sein. Ich bin selbst auch nicht weit entfernt von Depressionen, das ist ein Teil von mir, ein Fluch und ein Segen. Deshalb muss ich mir eben auch ab und an künstlerisch in den Arsch treten und Songs schreiben, die nicht nur der Melancholie frönen. Mir liegen zwar die melancholischen Songs mehr, aber die anderen schreiben sich leichter, tun mir nicht so weh. Sie schreiben sich schneller.

Immer wieder geht es ja auch um Verlust auf deinem Album. Ich selbst habe gerade auch eine Form von Verlust erlebt, da ich meine zehnte Klasse abgeben musste, die ich sechs Jahre lang begleitet habe. Das hat richtig weh getan, und ich habe noch nicht den perfekten Umgang damit gefunden. Wie gehst du mit Verlust um?
Natürlich jedes Mal anders. Da gibt’s kein Allheilmittel, keinen immer gleichen Weg. Es war für mich etwa wesentlich „einfacher“, meine Oma gehen zu lassen, als die Frau meines besten Freundes, einfach, weil es viel zu früh war. Es kommt immer darauf an, wie schwer so ein Verlust wiegt. Ob man die Chance hatte, sich voneinander zu verabschieden, ob es plötzlich oder vorhersehbar war. Tod ist natürlich nie schön, ist immer scheiße. Für die Sterbenden kann es aber eine Befreiung sein. Als Organist empfand ich immer die Beerdigungen sehr viel authentischer und bewegender als die Hochzeiten.

Du vermittelst unheimlich überzeugend, wie ich finde, grundlegende menschliche Werte, Gefühlslagen, mit denen man innerhalb eines Lebens klarkommen muss. Daher hätte ich das Album gerne mal mit meiner Klasse gehört. Würdest du es akzeptieren, wenn Jugendliche dich als Influencer bezeichnen würden?
Das wäre dann mal eine positive Konnotation dieses… Berufs. Eine Loslösung vom kapitalistischen Influencer-Dasein, das nur Produkte verkaufen will. Ich sehe meine Songs keinesfalls als Produkte, sondern als Seelenstützen, in erster Linie für mich selbst. Tagebucheinträge, eine Form der Selbsttherapie, die vielleicht auch anderen helfen könnte.
Influencer sind für mich überwiegend und in erster Linie Hüllen, die sich verkaufen und den Inhalt den Firmen überlassen.

Man soll Zeit nicht verschwenden, das kommt immer wieder raus auf „Was berührt, das bleibt“. Ich meine, es gibt gutes und schlechtes Zeitverschwenden. Aber ist gutes Zeitverschwenden dann überhaupt noch Verschwendung?
Nee, ist es nicht. Ich meine, dass man Zeit nutzen soll, um Dinge zu tun, die einen selbst oder andere glücklich machen. Oder die etwas Gutes für die Gesellschaft bewirken. Aus dem Hamsterrad rauskommen. Die Hemmungen und Hürden, deines Glückes Schmied zu sein, entstehen eigentlich nur im Kopf. Und manchmal kann ein Song eine Hilfestellung sein, um dem zu entkommen und sie zu überwinden.

Du hast schon gesagt, dass du Songs erstmal nur für dich selbst schreibst. Wie schwer ist der Balanceakt zwischen Selbsttherapie und Nabelschau, wie kann man so persönlich sein und dennoch jeden mitnehmen?
Das ist von Song zu Song unterschiedlich. Manchmal sind es sehr persönliche Erfahrungsberichte, die aber gerade dadurch auch sehr viel Interpretationsspielraum lassen. Bei „Ponyhof“ funktioniert das unheimlich gut, trotz der sehr konkreten Beispiele, die ich nenne. Aber große Dinge, wie „die Liebe“ kann man einfach nur beschreiben, indem man ein kleines, sehr detailliertes Bild davon zeichnet, um dann einen Teil dessen, was das Große ausmacht, zu verstehen. Ohne Beispiele für Freundschaft zu kennen, kann ich nicht über Freundschaft schreiben. Das ist vielleicht auch der Unterschied zu manchen aktuellen Popsongs, die es genau darauf anlegen, dass jeder sie versteht, aber durch ihre inkonkreten Beispiele sind sie viel zu glatt und rutschen überall durch. Sie passen dadurch zwar überall rein, weswegen sie auch im Radio laufen, ja, aber sie bleiben auch nicht in der Substanz hängen, weil sie keine Ecken und Kanten haben. Mein Ansatz ist mehr der mit den Ecken und Kanten, dafür zwar an weniger Orten stattfinden, aber etwas bewirken. Formatradio hat kein Format.

Bist du Fan von „Stranger Things“? „Niemand wird dich retten“ klingt schon sehr deutlich danach.
Yes! Endlich erkennt das mal jemand. Aber nicht nur da, auch bei „One life stand“ gibt es ganz klare Referenzen, ich habe den Sound auch so genannt. Ich freu mich schon auf die dritte Staffel. Ich mag aber einfach auch dieses warme 80er-Jahre-Pad, das hat bei mir schon immer was ganz Großes ausgelöst. Diese Achtziger-Ästhetik, da bin ich großer Fan von. Das scheint gerade aber nicht nur mir so zu gehen.

Stand Bucketlist auf deiner Bucketlist?
Dass ich so ein Lied schreiben will? Na ja. Alles, was in dem Lied vorkommt, habe ich mir irgendwann mal vorgenommen. Insofern, ja.
Auf meiner musikalischen Bucketlist steht noch, dass ich ein reines Instrumentalprojekt machen werde, weil ich so viele musikalische Skizzen habe, dass ich mit den Texten gar nicht hinterherkomme. Vielleicht kann ich damit den deutschsprachigen Raum auch ein bisschen verlassen.

Credits: Dennis Dirksen

Simon-Dominik Otte

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